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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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dagewesen! Außerdem traute man ihnen noch alle möglichen sonstigen Teufe¬
leien zu, und deshalb mußte mau die Empörung Empörung sein lasse" und
sich zunächst mit aller Kraft die Fremden von Halse zu halten suchen. Als
sich dann aber die Anstrengungen, sich ihrer zu erwehren, als vergeblich er¬
wiesen hatten, stieg das Mißtrauen, die Sieger könnten mit den Taipings
gemeinschaftliche Sache machen, aufs höchste. Welch ein Wunder nun, daß
diese Barbaren nach ihre" Erfolgen so viel Anstandsgefühl besaßen, der recht¬
mäßige" Regierung nicht nur nicht weiter entgegenzutreten, sondern ihr sogar
zu helfen! Das hatte mau nicht erwartet, und selbst bei sehr verstockten
chinesischen Beamten fing darüber allmählich das Vorurteil, daß die Ausländer
gar keine guten Seiten haben könnten, zu schwinden an. Das Hauptverdienst
hieran gebührt ohne Zweifel Gordon. Es wäre ihm ein leichtes gewesen,
Verrat zu üben und dann im Bunde mit den Empörern große Erfolge über
die kaiserliche Partei zu erringen. Doch ließ seine zwar etwas schwärmerische,
aber durchaus wahre und tiefe Religiosität niemals auch nur den Gedanken
des Treubruchs in ihm aufkommen. Als er dann die Waffe" niederlegte in
dem Bewußtsein, einfach seine Pflicht gethan zu haben, aber um nichts reicher,
als er vorher gewesen war, da mochten die Chinesen in sprachlosem Staunen
denken: Solch einen Mann hätten wir unter den fremden Teufeln nicht zu
finden geglaubt! Dieser gewaltige Eindruck von Gordvns schlichter Persönlich¬
keit auf die Chinesen war um so wichtiger, als er unmittelbar auf den zweiten
Krieg folgte, den sie gegen europäische Mächte zu führen hatten; er hat
wesentlich mit dazu beigetragen, daß die Mandarinen eine beßre Meinung von
den Abendländern im allgemeinen bekamen.

Dies war ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn die Zustände waren
kurz vor dem Kriege wieder einmal unerträglich geworden. Wirkte auch in
Peking der Schreck über die unerwartete erste Niederlage noch nach, so kam
doch der alte Hochmut bald genug wieder zum Vorschein, und der sich hieraus
notwendig ergebende Zwiespalt erzeugte nun die verkehrtesten Maßregeln, die
es geben konnte. Ganz konnte man die verhaßten Fremden zwar nicht wieder
loswerden, das leuchtete auch dem hartnäckigste" Mandarinen ein; aber man
brauchte sich ja einfach nicht um sie zu bekümmern. Der, der diesen schlauen
Ratschlag in Peking gegeben hat, wird wahrscheinlich gut dafür belohnt worden
sein; allmählich verfuhr man ganz darnach, indem grundsätzlich nur fremden¬
feindliche Beamte in die fünf dem auswärtigen Verkehr geöffneten Häfen
geschickt wurden. Von irgend welchem ersprießlichen Umgange zwischen den
Mandarinen und den fremden Konsuln konnte daher bald keine Rede mehr
sein. Schließlich weigerte sich der Generalgouvemeur von Kanton, Ach, den
englischen oder den französischen Bevollmächtigten überhaupt noch zu sehen,
obgleich eine Menge von kleinen Streitigkeiten am einfachsten und natürlichsten
durch persönliche Besprechung zu schlichten gewesen wäre. Jeder, der sich


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dagewesen! Außerdem traute man ihnen noch alle möglichen sonstigen Teufe¬
leien zu, und deshalb mußte mau die Empörung Empörung sein lasse» und
sich zunächst mit aller Kraft die Fremden von Halse zu halten suchen. Als
sich dann aber die Anstrengungen, sich ihrer zu erwehren, als vergeblich er¬
wiesen hatten, stieg das Mißtrauen, die Sieger könnten mit den Taipings
gemeinschaftliche Sache machen, aufs höchste. Welch ein Wunder nun, daß
diese Barbaren nach ihre» Erfolgen so viel Anstandsgefühl besaßen, der recht¬
mäßige» Regierung nicht nur nicht weiter entgegenzutreten, sondern ihr sogar
zu helfen! Das hatte mau nicht erwartet, und selbst bei sehr verstockten
chinesischen Beamten fing darüber allmählich das Vorurteil, daß die Ausländer
gar keine guten Seiten haben könnten, zu schwinden an. Das Hauptverdienst
hieran gebührt ohne Zweifel Gordon. Es wäre ihm ein leichtes gewesen,
Verrat zu üben und dann im Bunde mit den Empörern große Erfolge über
die kaiserliche Partei zu erringen. Doch ließ seine zwar etwas schwärmerische,
aber durchaus wahre und tiefe Religiosität niemals auch nur den Gedanken
des Treubruchs in ihm aufkommen. Als er dann die Waffe» niederlegte in
dem Bewußtsein, einfach seine Pflicht gethan zu haben, aber um nichts reicher,
als er vorher gewesen war, da mochten die Chinesen in sprachlosem Staunen
denken: Solch einen Mann hätten wir unter den fremden Teufeln nicht zu
finden geglaubt! Dieser gewaltige Eindruck von Gordvns schlichter Persönlich¬
keit auf die Chinesen war um so wichtiger, als er unmittelbar auf den zweiten
Krieg folgte, den sie gegen europäische Mächte zu führen hatten; er hat
wesentlich mit dazu beigetragen, daß die Mandarinen eine beßre Meinung von
den Abendländern im allgemeinen bekamen.

Dies war ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn die Zustände waren
kurz vor dem Kriege wieder einmal unerträglich geworden. Wirkte auch in
Peking der Schreck über die unerwartete erste Niederlage noch nach, so kam
doch der alte Hochmut bald genug wieder zum Vorschein, und der sich hieraus
notwendig ergebende Zwiespalt erzeugte nun die verkehrtesten Maßregeln, die
es geben konnte. Ganz konnte man die verhaßten Fremden zwar nicht wieder
loswerden, das leuchtete auch dem hartnäckigste» Mandarinen ein; aber man
brauchte sich ja einfach nicht um sie zu bekümmern. Der, der diesen schlauen
Ratschlag in Peking gegeben hat, wird wahrscheinlich gut dafür belohnt worden
sein; allmählich verfuhr man ganz darnach, indem grundsätzlich nur fremden¬
feindliche Beamte in die fünf dem auswärtigen Verkehr geöffneten Häfen
geschickt wurden. Von irgend welchem ersprießlichen Umgange zwischen den
Mandarinen und den fremden Konsuln konnte daher bald keine Rede mehr
sein. Schließlich weigerte sich der Generalgouvemeur von Kanton, Ach, den
englischen oder den französischen Bevollmächtigten überhaupt noch zu sehen,
obgleich eine Menge von kleinen Streitigkeiten am einfachsten und natürlichsten
durch persönliche Besprechung zu schlichten gewesen wäre. Jeder, der sich


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[0123] «Lhma und das Abendland dagewesen! Außerdem traute man ihnen noch alle möglichen sonstigen Teufe¬ leien zu, und deshalb mußte mau die Empörung Empörung sein lasse» und sich zunächst mit aller Kraft die Fremden von Halse zu halten suchen. Als sich dann aber die Anstrengungen, sich ihrer zu erwehren, als vergeblich er¬ wiesen hatten, stieg das Mißtrauen, die Sieger könnten mit den Taipings gemeinschaftliche Sache machen, aufs höchste. Welch ein Wunder nun, daß diese Barbaren nach ihre» Erfolgen so viel Anstandsgefühl besaßen, der recht¬ mäßige» Regierung nicht nur nicht weiter entgegenzutreten, sondern ihr sogar zu helfen! Das hatte mau nicht erwartet, und selbst bei sehr verstockten chinesischen Beamten fing darüber allmählich das Vorurteil, daß die Ausländer gar keine guten Seiten haben könnten, zu schwinden an. Das Hauptverdienst hieran gebührt ohne Zweifel Gordon. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, Verrat zu üben und dann im Bunde mit den Empörern große Erfolge über die kaiserliche Partei zu erringen. Doch ließ seine zwar etwas schwärmerische, aber durchaus wahre und tiefe Religiosität niemals auch nur den Gedanken des Treubruchs in ihm aufkommen. Als er dann die Waffe» niederlegte in dem Bewußtsein, einfach seine Pflicht gethan zu haben, aber um nichts reicher, als er vorher gewesen war, da mochten die Chinesen in sprachlosem Staunen denken: Solch einen Mann hätten wir unter den fremden Teufeln nicht zu finden geglaubt! Dieser gewaltige Eindruck von Gordvns schlichter Persönlich¬ keit auf die Chinesen war um so wichtiger, als er unmittelbar auf den zweiten Krieg folgte, den sie gegen europäische Mächte zu führen hatten; er hat wesentlich mit dazu beigetragen, daß die Mandarinen eine beßre Meinung von den Abendländern im allgemeinen bekamen. Dies war ein nicht zu unterschätzender Vorteil, denn die Zustände waren kurz vor dem Kriege wieder einmal unerträglich geworden. Wirkte auch in Peking der Schreck über die unerwartete erste Niederlage noch nach, so kam doch der alte Hochmut bald genug wieder zum Vorschein, und der sich hieraus notwendig ergebende Zwiespalt erzeugte nun die verkehrtesten Maßregeln, die es geben konnte. Ganz konnte man die verhaßten Fremden zwar nicht wieder loswerden, das leuchtete auch dem hartnäckigste» Mandarinen ein; aber man brauchte sich ja einfach nicht um sie zu bekümmern. Der, der diesen schlauen Ratschlag in Peking gegeben hat, wird wahrscheinlich gut dafür belohnt worden sein; allmählich verfuhr man ganz darnach, indem grundsätzlich nur fremden¬ feindliche Beamte in die fünf dem auswärtigen Verkehr geöffneten Häfen geschickt wurden. Von irgend welchem ersprießlichen Umgange zwischen den Mandarinen und den fremden Konsuln konnte daher bald keine Rede mehr sein. Schließlich weigerte sich der Generalgouvemeur von Kanton, Ach, den englischen oder den französischen Bevollmächtigten überhaupt noch zu sehen, obgleich eine Menge von kleinen Streitigkeiten am einfachsten und natürlichsten durch persönliche Besprechung zu schlichten gewesen wäre. Jeder, der sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/123>, abgerufen am 06.01.2025.