Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage zwölften Jahre darin festhält, dem Gymnasium zwei bis drei Jahre verloren Aber das sind Fragen, die das Gymnasium angehen, das selbst wissen Hier entsteht nun die Frage: Wenn die soziale Frage mit der der all¬ Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage zwölften Jahre darin festhält, dem Gymnasium zwei bis drei Jahre verloren Aber das sind Fragen, die das Gymnasium angehen, das selbst wissen Hier entsteht nun die Frage: Wenn die soziale Frage mit der der all¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212592"/> <fw type="header" place="top"> Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316"> zwölften Jahre darin festhält, dem Gymnasium zwei bis drei Jahre verloren<lb/> Man sagt, das schade nichts, und hat auch insofern Recht, als das Gymnasium<lb/> mit kürzerer Zeit auskommen könnte, wenn es besser vorbereitete und reifere<lb/> Kinder in die Sexta bekäme. Es fragt sich in der That, ob die Plage mit<lb/> dem Lateinischen nicht zu zeitig anfängt. Man kann auch annehmen, daß ein<lb/> ordentlicher deutscher Unterricht, durch den die Kinder die Gesetze ihrer Mutter¬<lb/> sprache verstehen und handhaben lernen, dem Latein wirksam vorarbeiten, ja<lb/> der fremden Sprache einen großen Teil ihrer Schwierigkeiten wegnehmen würde.<lb/> Aber es fragt sich, ob die Volksschule diesen Unterricht geben würde. Rich¬<lb/> tiger würde es sein, den Arbeiten der Vorschule mehr Raum zu lassen und<lb/> diese bis in die Mittelklassen des Gymnasiums planmäßig fortzuführen. neuer-<lb/> dings hat man in den Oberklassen dem deutschen Unterrichte mehr Raum ge¬<lb/> schaffen. Dasselbe könnte auch mit der Sexta und Quinta geschehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_318"> Aber das sind Fragen, die das Gymnasium angehen, das selbst wissen<lb/> muß, was ihm frommt. Die Volksschule hat offenbar keinen Beruf, hineinzu¬<lb/> reden. Die Volksschule mag über ihren Elementarunterricht urteilen; wie aber<lb/> dieser Unterricht beschaffen sein muß, um als Unterlage für den höher» Unter¬<lb/> richt zu dienen, das weiß sie nicht. Sie thäte also besser, die Hände davon<lb/> zu lassen. Was würde der Volksschullehrer sagen, wenn der Philologe ihm<lb/> ins Konzept fahren wollte!</p><lb/> <p xml:id="ID_319"> Hier entsteht nun die Frage: Wenn die soziale Frage mit der der all¬<lb/> gemeinen Volksschule ernstlich nicht verbunden werden kann, wenn innere Gym¬<lb/> nasialfragen den Elementarlehrer nicht interessiren können, wie kommt es, daß die<lb/> Forderung einer allgemeinen Volksschule in Lehrerkreisen so populär geworden<lb/> ist? Die Sache hat einen persönlichen Grund. Man denke sich einen Land¬<lb/> schullehrer, der es erlebt, daß alle seine bessern Schiller ans der Schule ge¬<lb/> nommen und in die Stadt geschickt werden, während er mit dem Schund<lb/> zurückbleibt. Oder man denke sich einen Elementarlehrer in der Stadt, dem<lb/> die Vorschulen die besten Schiller wegnehmen. Daß beide auf die Stadtschule<lb/> und auf die Vorschule nicht gut zu sprechen sind, ist begreiflich. Der Wunsch,<lb/> nicht bloß mit den Elementen zu thun zu haben, die die niedrigsten Vevöl-<lb/> kerungsklassen liefern, ist berechtigt. Aber es ist ein persönlicher Wunsch.<lb/> Man berücksichtige, daß jene Lehrer, denen man weismacht, sie stünden an<lb/> Bildung allen andern gleich, überträfen aber mit der Methode alle Welt, es<lb/> schwer empfinden müssen, wenn sie nur die Kinder der Ungebildeten unter¬<lb/> richten müssen. Sie möchten in die Reihen der höhern Lehrer, von denen sie<lb/> sich ja nur in Bezug auf das Fach unterscheiden. Es berührt sie angenehm,<lb/> wenn erstrebt wird, daß die Volksschule nicht eine niedere Bildungsanstalt,<lb/> sondern die Grundlage aller Schulen sein solle, wenn also die gesamte Volks¬<lb/> schule zur Vorschule für Gymnasium und Universität wird. Aber das sind<lb/> eben mir persönliche Gründe, die die Frage selbst nicht entscheiden können.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage
zwölften Jahre darin festhält, dem Gymnasium zwei bis drei Jahre verloren
Man sagt, das schade nichts, und hat auch insofern Recht, als das Gymnasium
mit kürzerer Zeit auskommen könnte, wenn es besser vorbereitete und reifere
Kinder in die Sexta bekäme. Es fragt sich in der That, ob die Plage mit
dem Lateinischen nicht zu zeitig anfängt. Man kann auch annehmen, daß ein
ordentlicher deutscher Unterricht, durch den die Kinder die Gesetze ihrer Mutter¬
sprache verstehen und handhaben lernen, dem Latein wirksam vorarbeiten, ja
der fremden Sprache einen großen Teil ihrer Schwierigkeiten wegnehmen würde.
Aber es fragt sich, ob die Volksschule diesen Unterricht geben würde. Rich¬
tiger würde es sein, den Arbeiten der Vorschule mehr Raum zu lassen und
diese bis in die Mittelklassen des Gymnasiums planmäßig fortzuführen. neuer-
dings hat man in den Oberklassen dem deutschen Unterrichte mehr Raum ge¬
schaffen. Dasselbe könnte auch mit der Sexta und Quinta geschehen.
Aber das sind Fragen, die das Gymnasium angehen, das selbst wissen
muß, was ihm frommt. Die Volksschule hat offenbar keinen Beruf, hineinzu¬
reden. Die Volksschule mag über ihren Elementarunterricht urteilen; wie aber
dieser Unterricht beschaffen sein muß, um als Unterlage für den höher» Unter¬
richt zu dienen, das weiß sie nicht. Sie thäte also besser, die Hände davon
zu lassen. Was würde der Volksschullehrer sagen, wenn der Philologe ihm
ins Konzept fahren wollte!
Hier entsteht nun die Frage: Wenn die soziale Frage mit der der all¬
gemeinen Volksschule ernstlich nicht verbunden werden kann, wenn innere Gym¬
nasialfragen den Elementarlehrer nicht interessiren können, wie kommt es, daß die
Forderung einer allgemeinen Volksschule in Lehrerkreisen so populär geworden
ist? Die Sache hat einen persönlichen Grund. Man denke sich einen Land¬
schullehrer, der es erlebt, daß alle seine bessern Schiller ans der Schule ge¬
nommen und in die Stadt geschickt werden, während er mit dem Schund
zurückbleibt. Oder man denke sich einen Elementarlehrer in der Stadt, dem
die Vorschulen die besten Schiller wegnehmen. Daß beide auf die Stadtschule
und auf die Vorschule nicht gut zu sprechen sind, ist begreiflich. Der Wunsch,
nicht bloß mit den Elementen zu thun zu haben, die die niedrigsten Vevöl-
kerungsklassen liefern, ist berechtigt. Aber es ist ein persönlicher Wunsch.
Man berücksichtige, daß jene Lehrer, denen man weismacht, sie stünden an
Bildung allen andern gleich, überträfen aber mit der Methode alle Welt, es
schwer empfinden müssen, wenn sie nur die Kinder der Ungebildeten unter¬
richten müssen. Sie möchten in die Reihen der höhern Lehrer, von denen sie
sich ja nur in Bezug auf das Fach unterscheiden. Es berührt sie angenehm,
wenn erstrebt wird, daß die Volksschule nicht eine niedere Bildungsanstalt,
sondern die Grundlage aller Schulen sein solle, wenn also die gesamte Volks¬
schule zur Vorschule für Gymnasium und Universität wird. Aber das sind
eben mir persönliche Gründe, die die Frage selbst nicht entscheiden können.
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