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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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lich die Parlamentsherrschaft hervorginge war beiläufig gesagt eine Macht-,
aber keine Rechtsfrage. Die Whigs wiederum konstruirten sich ein Recht auf
Revolution, das die "große Rebellion" und die sogenannte "glorreiche Revo¬
lution" von l688 (an der dieser Name wohl das glorreichste ist) rechtfertigen
sollte, und zwar aus der Theorie von der Entstehung des Staats durch Ver¬
trag zwischen dem Herrscher und dein Volke, dessen Rechtsverbindlichkeit auf¬
höre, sobald er von der einen Seite, in diesem Falle vom König, verletzt
worden sei. Whigistisch aber waren die großen Städte und ein Teil des hohen
Adels, die trotz der königstreuen Gesinnung eines großen Teils der Bevölke¬
rung die "glorreiche Revolution" machten, weil ihnen an der Behauptung
ihrer parlamentarischen Rechte, d. h. ihrer Macht, alles lag. Welchen ver-
hnngnisvvllen Einfluß die radikal-demokratischen Theorien Rousseaus auf deu
Gang der französischen Revolution gehabt haben, ist bekannt, aber sie würden
ihn niemals geübt huben, wenn sie uicht den Interessen des großstädtische"
Proletariats entsprochen Hütten. In Deutschland gewannen politische Theorie"
erst in diesem Jahrhundert praktische Bedeutung, namentlich seit dein Ein¬
brüche des französischen Liberalismus in den dreißiger Jahren; aber anch hier
wurzeln die Parteien, die sich allmählich gebildet haben, weniger in bestimmten
Theorien, als in den Interessen der einzelnen Gesellschaftsgruppen. Die
Konservativen vertreten im ganzen die Elemente einer ältern Kultur, also das
platte Land, Adel und Bauern mit ihren landwirtschaftlichen Interessen, und
das städtische Handwerk, die Liberalen der verschiednen Schattirnngen die neu
aufkommende Kultnrmacht des Bürgertums oder vielmehr seine kapitalistischen
und industriellen obern Schichten, die Sozialdemokratin" die städtische Arbeiter-
bevölkerung. Nur die Ultramontanen wissen die verschiedensten Elemente in
Stadt und Land unter einem Banner zu vereinigen. Ähnliche Gruppen sind
im christlichen Europa immer vorhanden gewesen. Im früheren Mittelalter
stand das nltmmvntane Papsttum mit einem Teil des Klerus gegen das
deutsche Königtum, d. h. den deutschen Staat, in deu später" Jahrhunderten
der Adel gegen die Städte, "ut in den Städten die Handwerker gegen die
Großhändler. Damals wurde der Kampf oft mit den Waffen in der Hand
geführt; heute, wo die staatliche Souveränität allein das Waffenrecht übt,
sind die alten Gegensätze zu parlamentarischen Parteien abgestumpft.

Allerdings habe" alle diese Parteien in der Neuzeit immer bestimmte
allgemeine Ziele, Theorien, Ideale ans ihr Banner geschrieben, was ihnen im
Mittelalter nicht einfiel, und sie thun es noch. Dabei sind aber mehrere von
ihnen allmählich in eine gewisse Verlegenheit geraten. Denn wenn man fragt,
welche Parteien heute "och wirklich volkstümliche, die Massen bewegende und
beherrschende Ideale habe", gleichviel ob ihre Verwirklichung im allgemeinen
wünschenswert ist oder nicht, so können darnnf leider eigentlich nur noch zwei
im vollsten Sinne Anspruch erheben, nämlich die Ultramontanen und die


G>,ne Ideale

lich die Parlamentsherrschaft hervorginge war beiläufig gesagt eine Macht-,
aber keine Rechtsfrage. Die Whigs wiederum konstruirten sich ein Recht auf
Revolution, das die „große Rebellion" und die sogenannte „glorreiche Revo¬
lution" von l688 (an der dieser Name wohl das glorreichste ist) rechtfertigen
sollte, und zwar aus der Theorie von der Entstehung des Staats durch Ver¬
trag zwischen dem Herrscher und dein Volke, dessen Rechtsverbindlichkeit auf¬
höre, sobald er von der einen Seite, in diesem Falle vom König, verletzt
worden sei. Whigistisch aber waren die großen Städte und ein Teil des hohen
Adels, die trotz der königstreuen Gesinnung eines großen Teils der Bevölke¬
rung die „glorreiche Revolution" machten, weil ihnen an der Behauptung
ihrer parlamentarischen Rechte, d. h. ihrer Macht, alles lag. Welchen ver-
hnngnisvvllen Einfluß die radikal-demokratischen Theorien Rousseaus auf deu
Gang der französischen Revolution gehabt haben, ist bekannt, aber sie würden
ihn niemals geübt huben, wenn sie uicht den Interessen des großstädtische»
Proletariats entsprochen Hütten. In Deutschland gewannen politische Theorie»
erst in diesem Jahrhundert praktische Bedeutung, namentlich seit dein Ein¬
brüche des französischen Liberalismus in den dreißiger Jahren; aber anch hier
wurzeln die Parteien, die sich allmählich gebildet haben, weniger in bestimmten
Theorien, als in den Interessen der einzelnen Gesellschaftsgruppen. Die
Konservativen vertreten im ganzen die Elemente einer ältern Kultur, also das
platte Land, Adel und Bauern mit ihren landwirtschaftlichen Interessen, und
das städtische Handwerk, die Liberalen der verschiednen Schattirnngen die neu
aufkommende Kultnrmacht des Bürgertums oder vielmehr seine kapitalistischen
und industriellen obern Schichten, die Sozialdemokratin» die städtische Arbeiter-
bevölkerung. Nur die Ultramontanen wissen die verschiedensten Elemente in
Stadt und Land unter einem Banner zu vereinigen. Ähnliche Gruppen sind
im christlichen Europa immer vorhanden gewesen. Im früheren Mittelalter
stand das nltmmvntane Papsttum mit einem Teil des Klerus gegen das
deutsche Königtum, d. h. den deutschen Staat, in deu später» Jahrhunderten
der Adel gegen die Städte, »ut in den Städten die Handwerker gegen die
Großhändler. Damals wurde der Kampf oft mit den Waffen in der Hand
geführt; heute, wo die staatliche Souveränität allein das Waffenrecht übt,
sind die alten Gegensätze zu parlamentarischen Parteien abgestumpft.

Allerdings habe» alle diese Parteien in der Neuzeit immer bestimmte
allgemeine Ziele, Theorien, Ideale ans ihr Banner geschrieben, was ihnen im
Mittelalter nicht einfiel, und sie thun es noch. Dabei sind aber mehrere von
ihnen allmählich in eine gewisse Verlegenheit geraten. Denn wenn man fragt,
welche Parteien heute »och wirklich volkstümliche, die Massen bewegende und
beherrschende Ideale habe», gleichviel ob ihre Verwirklichung im allgemeinen
wünschenswert ist oder nicht, so können darnnf leider eigentlich nur noch zwei
im vollsten Sinne Anspruch erheben, nämlich die Ultramontanen und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/10>, abgerufen am 06.01.2025.