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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Jenny Lind

werden. Unter ihnen ragen die an Charlotte Birch-Pfeiffer, die die Schwedin
im Deutschen unterrichtet hatte, durch kindliches Wesen und herzlichen Ton
hervor. Sie wird in der Regel als "teure Mutter" angeredet. Einmal schreibt
sie von Frankfurt aus die Bitte, einen mit Wien abgeschlossenen Gastspielvertrag
rückgängig zu machen si, 252Z, nicht etwa um ein höheres Honorar zu erpressen,
sondern weil sie das ganze Geschäft satt hat. "Denn sehen Sie, Mutter Birch --
heißt es --, dies Leben paßt mir nicht! Wenn Sie mich uur sehen konnten, in
welcher Verzweiflung ich bin, jedesmal, daß ich ins Theater gehe, um zu singen.
Das ist mir zuviel. Diese abscheuliche Angst.... Ich begreife es nicht, da
mir alles doch so gut geht. Alle Meuschen tragen mich ja ans den Händen.
Das hilft alles nichts!"

Schon die unverfälschte Natur dieses Stils giebt ein Bild von der einfachen,
naiven Seele dieser Fran. Aber das Erstaunliche ist die Naturrichtigkeit ihres
Empfindens. Sind diese paar Zeilen nicht ein köstlichen Beitrag zur Geschichte
und zum Wesen der sogenannten Frauenfrage? Das alte weise Untier et>,volle
in eevlesia kann keine glänzendere Bestätigung finden als durch dieses Be¬
kenntnis aus dem Herzen einer Frau, deren öffentliches Wirken einem Triumph-
zuge glich. Stärker als alles Beifallstosen sprach zu ihr die innere Stimme:
"Dn bist nicht ans dem Platze, auf den das Weib gehört." Es kaun niemand
einfallen wollen, diesen Fall zu verallgemeinern, namentlich die Musik kann die
Mitwirkung der Frauen gar nicht mehr entbehren. Aber ihn zur weitern
Kenntnis zu bringen, empfiehlt sich doch, sei es auch nur, um stumpfere Ge¬
müter einmal darauf hinzuweisen, wieviel uicht bloß geistige, sondern auch mo¬
ralische Kraft die darstellende Kunst von ihren Vertretern in Anspruch nimmt.
Diese Betrachtung könnte uns Hörer und Kritiker manchmal vor nnnvtiger
Härte bewahren.

Jener Bries an Frau Birch-Pfeiffer wurde im Jahre 1815 geschrieben.
Sechs Jahre .später zog sich Jenny Lind von der Öffentlichkeit zurück. Für
die Kunst zu früh und zu gründlich. Darüber ist kein Zweifel. Bei ihrer
Gesinnung über das Virtuosentum kauu aber niemand über die Gründe dieses
Rücktritts im Unklaren sein. Die Biographen hätten sich die Mühe ersparen
können, dieser Frage ein ganzes Kapitel zu widmen. Eher muß man staunen,
daß sie es noch so lange ausgehalten hat. Das war zum Teil eine Folge ihrer
religiösen Denkungsart. Sie betrachtete sich als eine Priesterin im Dienste der
Kunst. Ehe sie ihre amerikanische Reise (mit Barnum) antritt, schreibt sie ein¬
mal, daß sie auch in dem neuen Lande "dem Reiche Gottes dienen" wolle. Um
Mammon wars ihr uicht zu thun. Von Jngend aus verwendete sie den größten
Teil ihrer Einnahmen zinn Wohlthun. Noch in der knappen Stockholmer Stel¬
lung machte sie die Eltern, die es gar nicht um sie verdient hatten, sorgenfrei
und unabhängig, ließ den jungen Josephson, den später als Komponisten bekannt
gewordenen Uuiversitätsmnsikdirektor von Upsala, zu seiner Ausbildung ins Ans-


Grenzbotm I 18!)2 12
Jenny Lind

werden. Unter ihnen ragen die an Charlotte Birch-Pfeiffer, die die Schwedin
im Deutschen unterrichtet hatte, durch kindliches Wesen und herzlichen Ton
hervor. Sie wird in der Regel als „teure Mutter" angeredet. Einmal schreibt
sie von Frankfurt aus die Bitte, einen mit Wien abgeschlossenen Gastspielvertrag
rückgängig zu machen si, 252Z, nicht etwa um ein höheres Honorar zu erpressen,
sondern weil sie das ganze Geschäft satt hat. „Denn sehen Sie, Mutter Birch —
heißt es —, dies Leben paßt mir nicht! Wenn Sie mich uur sehen konnten, in
welcher Verzweiflung ich bin, jedesmal, daß ich ins Theater gehe, um zu singen.
Das ist mir zuviel. Diese abscheuliche Angst.... Ich begreife es nicht, da
mir alles doch so gut geht. Alle Meuschen tragen mich ja ans den Händen.
Das hilft alles nichts!"

Schon die unverfälschte Natur dieses Stils giebt ein Bild von der einfachen,
naiven Seele dieser Fran. Aber das Erstaunliche ist die Naturrichtigkeit ihres
Empfindens. Sind diese paar Zeilen nicht ein köstlichen Beitrag zur Geschichte
und zum Wesen der sogenannten Frauenfrage? Das alte weise Untier et>,volle
in eevlesia kann keine glänzendere Bestätigung finden als durch dieses Be¬
kenntnis aus dem Herzen einer Frau, deren öffentliches Wirken einem Triumph-
zuge glich. Stärker als alles Beifallstosen sprach zu ihr die innere Stimme:
„Dn bist nicht ans dem Platze, auf den das Weib gehört." Es kaun niemand
einfallen wollen, diesen Fall zu verallgemeinern, namentlich die Musik kann die
Mitwirkung der Frauen gar nicht mehr entbehren. Aber ihn zur weitern
Kenntnis zu bringen, empfiehlt sich doch, sei es auch nur, um stumpfere Ge¬
müter einmal darauf hinzuweisen, wieviel uicht bloß geistige, sondern auch mo¬
ralische Kraft die darstellende Kunst von ihren Vertretern in Anspruch nimmt.
Diese Betrachtung könnte uns Hörer und Kritiker manchmal vor nnnvtiger
Härte bewahren.

Jener Bries an Frau Birch-Pfeiffer wurde im Jahre 1815 geschrieben.
Sechs Jahre .später zog sich Jenny Lind von der Öffentlichkeit zurück. Für
die Kunst zu früh und zu gründlich. Darüber ist kein Zweifel. Bei ihrer
Gesinnung über das Virtuosentum kauu aber niemand über die Gründe dieses
Rücktritts im Unklaren sein. Die Biographen hätten sich die Mühe ersparen
können, dieser Frage ein ganzes Kapitel zu widmen. Eher muß man staunen,
daß sie es noch so lange ausgehalten hat. Das war zum Teil eine Folge ihrer
religiösen Denkungsart. Sie betrachtete sich als eine Priesterin im Dienste der
Kunst. Ehe sie ihre amerikanische Reise (mit Barnum) antritt, schreibt sie ein¬
mal, daß sie auch in dem neuen Lande „dem Reiche Gottes dienen" wolle. Um
Mammon wars ihr uicht zu thun. Von Jngend aus verwendete sie den größten
Teil ihrer Einnahmen zinn Wohlthun. Noch in der knappen Stockholmer Stel¬
lung machte sie die Eltern, die es gar nicht um sie verdient hatten, sorgenfrei
und unabhängig, ließ den jungen Josephson, den später als Komponisten bekannt
gewordenen Uuiversitätsmnsikdirektor von Upsala, zu seiner Ausbildung ins Ans-


Grenzbotm I 18!)2 12
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[0097] Jenny Lind werden. Unter ihnen ragen die an Charlotte Birch-Pfeiffer, die die Schwedin im Deutschen unterrichtet hatte, durch kindliches Wesen und herzlichen Ton hervor. Sie wird in der Regel als „teure Mutter" angeredet. Einmal schreibt sie von Frankfurt aus die Bitte, einen mit Wien abgeschlossenen Gastspielvertrag rückgängig zu machen si, 252Z, nicht etwa um ein höheres Honorar zu erpressen, sondern weil sie das ganze Geschäft satt hat. „Denn sehen Sie, Mutter Birch — heißt es —, dies Leben paßt mir nicht! Wenn Sie mich uur sehen konnten, in welcher Verzweiflung ich bin, jedesmal, daß ich ins Theater gehe, um zu singen. Das ist mir zuviel. Diese abscheuliche Angst.... Ich begreife es nicht, da mir alles doch so gut geht. Alle Meuschen tragen mich ja ans den Händen. Das hilft alles nichts!" Schon die unverfälschte Natur dieses Stils giebt ein Bild von der einfachen, naiven Seele dieser Fran. Aber das Erstaunliche ist die Naturrichtigkeit ihres Empfindens. Sind diese paar Zeilen nicht ein köstlichen Beitrag zur Geschichte und zum Wesen der sogenannten Frauenfrage? Das alte weise Untier et>,volle in eevlesia kann keine glänzendere Bestätigung finden als durch dieses Be¬ kenntnis aus dem Herzen einer Frau, deren öffentliches Wirken einem Triumph- zuge glich. Stärker als alles Beifallstosen sprach zu ihr die innere Stimme: „Dn bist nicht ans dem Platze, auf den das Weib gehört." Es kaun niemand einfallen wollen, diesen Fall zu verallgemeinern, namentlich die Musik kann die Mitwirkung der Frauen gar nicht mehr entbehren. Aber ihn zur weitern Kenntnis zu bringen, empfiehlt sich doch, sei es auch nur, um stumpfere Ge¬ müter einmal darauf hinzuweisen, wieviel uicht bloß geistige, sondern auch mo¬ ralische Kraft die darstellende Kunst von ihren Vertretern in Anspruch nimmt. Diese Betrachtung könnte uns Hörer und Kritiker manchmal vor nnnvtiger Härte bewahren. Jener Bries an Frau Birch-Pfeiffer wurde im Jahre 1815 geschrieben. Sechs Jahre .später zog sich Jenny Lind von der Öffentlichkeit zurück. Für die Kunst zu früh und zu gründlich. Darüber ist kein Zweifel. Bei ihrer Gesinnung über das Virtuosentum kauu aber niemand über die Gründe dieses Rücktritts im Unklaren sein. Die Biographen hätten sich die Mühe ersparen können, dieser Frage ein ganzes Kapitel zu widmen. Eher muß man staunen, daß sie es noch so lange ausgehalten hat. Das war zum Teil eine Folge ihrer religiösen Denkungsart. Sie betrachtete sich als eine Priesterin im Dienste der Kunst. Ehe sie ihre amerikanische Reise (mit Barnum) antritt, schreibt sie ein¬ mal, daß sie auch in dem neuen Lande „dem Reiche Gottes dienen" wolle. Um Mammon wars ihr uicht zu thun. Von Jngend aus verwendete sie den größten Teil ihrer Einnahmen zinn Wohlthun. Noch in der knappen Stockholmer Stel¬ lung machte sie die Eltern, die es gar nicht um sie verdient hatten, sorgenfrei und unabhängig, ließ den jungen Josephson, den später als Komponisten bekannt gewordenen Uuiversitätsmnsikdirektor von Upsala, zu seiner Ausbildung ins Ans- Grenzbotm I 18!)2 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/97>, abgerufen am 23.07.2024.