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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Jenny Und

Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach ihrer Bestimmung;
Denn durch dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen,
Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret.

Wenn die hohlen Seifenblasen des deutschen Frauenvereins "Reform" längst
zersprungen sein werdeu, wird dieses verständige Wort noch unerschüttert seine
Geltung behaupten.




Jenny Lind

er Name Jenny Lind klingt denen, die sie noch gehört und gekannt
haben, wie reine Musik. Andre mag er vielleicht an die Re¬
staurationszeit, all die romantische Bewegung und Verwirrung
erinnern, an jene unglückliche Zeit, wo die Deutschen, in einem
überspannten Kultus des Virtuosentums befangen, die öffentlichen
und wichtigste" Interessen zu vergessen schienen. Sie stellen dem reichbesetzten
Kuusthimmel jener Tage, dem Andenken an Paganini, Liszt, Jenny Lind das
politische Elend gegenüber, das sich in den Worten- Frankfurter Bundestag,
Karlsbader Beschlüsse, Göttinger Sieben, Lota Moutez, Hannibal Fischer,
Malmö und Olmütz verkörpert. Die Gefahr, daß wir in nächster Zeit in
eitle solche weichliche Schwärmerei zurückfallen konnten, darf heute für ausge¬
schlossen gelten; eher droht die entgegengesetzte, daß wir in unserm Verhältnis
zu den reproduzirenden Künstlern und zur Kunst im allgemeinen die rechte
Linie überschreiten, die zwischen. Überschätzung und Unterschätzung, Zuviel und
Zuwenig, Schwärmerei und Stumpfheit die Grenze bildet. In den gelehrten
stündet! -- das ist eine Thatsache -- ist die Zahl der Knnstverächter und der
im griechischem Sinne unmusikalischen Geister in deu letzte" Jahrzehnten größer
geworden, als das die Kultur eines Volkes auf die Dauer verträgt.

Aus diesem Grunde erscheint gegenwärtig ein Rückblick auf jene Glanzzeit
des Virtuosentums unbedenklich, erlaubt, vielleicht geboten. Denn nnter ihrem
lächerlichen Treiben barg sie doch große bleibende Werte- außerordentliche
Knustbegabnug und Begeisterung; und selbst der Überschwang an Verehrung
verliert das Abstoßende, wenn matt versteht, daß jener Zeit für ihren Heroen¬
kultus kaum andre Objekte zur Verfügung standen als Sänger, Virtuosen und
Litteraten-

Weitn wir diese Betrachtung an Jenny Lind anknüpfen, so giebt uns dazu das
Erscheinen ihrer Biographie den äußern Anlaßt) Aber auch wenn die Wahl frei



"> Jenny Lind. Ihre Laufbahn als Künstlerin 1820-1 "S4. Nach Briefen, Tage¬
büchern und andern von Otto Goldschmidt gesammelten Schriftstücken. Bon t>r. H, L. Ho klaub
und W. S. Nockstro. Deutsche Übersetzung von Hedwig Schrote. 2 Bände. Leipzig,
F. A. Vroclhcms, 189t.
Jenny Und

Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach ihrer Bestimmung;
Denn durch dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen,
Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret.

Wenn die hohlen Seifenblasen des deutschen Frauenvereins „Reform" längst
zersprungen sein werdeu, wird dieses verständige Wort noch unerschüttert seine
Geltung behaupten.




Jenny Lind

er Name Jenny Lind klingt denen, die sie noch gehört und gekannt
haben, wie reine Musik. Andre mag er vielleicht an die Re¬
staurationszeit, all die romantische Bewegung und Verwirrung
erinnern, an jene unglückliche Zeit, wo die Deutschen, in einem
überspannten Kultus des Virtuosentums befangen, die öffentlichen
und wichtigste» Interessen zu vergessen schienen. Sie stellen dem reichbesetzten
Kuusthimmel jener Tage, dem Andenken an Paganini, Liszt, Jenny Lind das
politische Elend gegenüber, das sich in den Worten- Frankfurter Bundestag,
Karlsbader Beschlüsse, Göttinger Sieben, Lota Moutez, Hannibal Fischer,
Malmö und Olmütz verkörpert. Die Gefahr, daß wir in nächster Zeit in
eitle solche weichliche Schwärmerei zurückfallen konnten, darf heute für ausge¬
schlossen gelten; eher droht die entgegengesetzte, daß wir in unserm Verhältnis
zu den reproduzirenden Künstlern und zur Kunst im allgemeinen die rechte
Linie überschreiten, die zwischen. Überschätzung und Unterschätzung, Zuviel und
Zuwenig, Schwärmerei und Stumpfheit die Grenze bildet. In den gelehrten
stündet! — das ist eine Thatsache — ist die Zahl der Knnstverächter und der
im griechischem Sinne unmusikalischen Geister in deu letzte» Jahrzehnten größer
geworden, als das die Kultur eines Volkes auf die Dauer verträgt.

Aus diesem Grunde erscheint gegenwärtig ein Rückblick auf jene Glanzzeit
des Virtuosentums unbedenklich, erlaubt, vielleicht geboten. Denn nnter ihrem
lächerlichen Treiben barg sie doch große bleibende Werte- außerordentliche
Knustbegabnug und Begeisterung; und selbst der Überschwang an Verehrung
verliert das Abstoßende, wenn matt versteht, daß jener Zeit für ihren Heroen¬
kultus kaum andre Objekte zur Verfügung standen als Sänger, Virtuosen und
Litteraten-

Weitn wir diese Betrachtung an Jenny Lind anknüpfen, so giebt uns dazu das
Erscheinen ihrer Biographie den äußern Anlaßt) Aber auch wenn die Wahl frei



»> Jenny Lind. Ihre Laufbahn als Künstlerin 1820-1 »S4. Nach Briefen, Tage¬
büchern und andern von Otto Goldschmidt gesammelten Schriftstücken. Bon t>r. H, L. Ho klaub
und W. S. Nockstro. Deutsche Übersetzung von Hedwig Schrote. 2 Bände. Leipzig,
F. A. Vroclhcms, 189t.
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[0092] Jenny Und Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach ihrer Bestimmung; Denn durch dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen, Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret. Wenn die hohlen Seifenblasen des deutschen Frauenvereins „Reform" längst zersprungen sein werdeu, wird dieses verständige Wort noch unerschüttert seine Geltung behaupten. Jenny Lind er Name Jenny Lind klingt denen, die sie noch gehört und gekannt haben, wie reine Musik. Andre mag er vielleicht an die Re¬ staurationszeit, all die romantische Bewegung und Verwirrung erinnern, an jene unglückliche Zeit, wo die Deutschen, in einem überspannten Kultus des Virtuosentums befangen, die öffentlichen und wichtigste» Interessen zu vergessen schienen. Sie stellen dem reichbesetzten Kuusthimmel jener Tage, dem Andenken an Paganini, Liszt, Jenny Lind das politische Elend gegenüber, das sich in den Worten- Frankfurter Bundestag, Karlsbader Beschlüsse, Göttinger Sieben, Lota Moutez, Hannibal Fischer, Malmö und Olmütz verkörpert. Die Gefahr, daß wir in nächster Zeit in eitle solche weichliche Schwärmerei zurückfallen konnten, darf heute für ausge¬ schlossen gelten; eher droht die entgegengesetzte, daß wir in unserm Verhältnis zu den reproduzirenden Künstlern und zur Kunst im allgemeinen die rechte Linie überschreiten, die zwischen. Überschätzung und Unterschätzung, Zuviel und Zuwenig, Schwärmerei und Stumpfheit die Grenze bildet. In den gelehrten stündet! — das ist eine Thatsache — ist die Zahl der Knnstverächter und der im griechischem Sinne unmusikalischen Geister in deu letzte» Jahrzehnten größer geworden, als das die Kultur eines Volkes auf die Dauer verträgt. Aus diesem Grunde erscheint gegenwärtig ein Rückblick auf jene Glanzzeit des Virtuosentums unbedenklich, erlaubt, vielleicht geboten. Denn nnter ihrem lächerlichen Treiben barg sie doch große bleibende Werte- außerordentliche Knustbegabnug und Begeisterung; und selbst der Überschwang an Verehrung verliert das Abstoßende, wenn matt versteht, daß jener Zeit für ihren Heroen¬ kultus kaum andre Objekte zur Verfügung standen als Sänger, Virtuosen und Litteraten- Weitn wir diese Betrachtung an Jenny Lind anknüpfen, so giebt uns dazu das Erscheinen ihrer Biographie den äußern Anlaßt) Aber auch wenn die Wahl frei »> Jenny Lind. Ihre Laufbahn als Künstlerin 1820-1 »S4. Nach Briefen, Tage¬ büchern und andern von Otto Goldschmidt gesammelten Schriftstücken. Bon t>r. H, L. Ho klaub und W. S. Nockstro. Deutsche Übersetzung von Hedwig Schrote. 2 Bände. Leipzig, F. A. Vroclhcms, 189t.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/92>, abgerufen am 23.07.2024.