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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Frauenverein Reform

anders sein kann, wenigstens die Männer zu Frauen erziehen, damit die unab-
weisliche Forderung völliger Gleichheit endlich einmal erfüllt werde. Und nnn
kommt eine Hochflut leidenschaftlicher Ausfälle gegen die "gesetzgebende Hälfte
der Nation," die wahre "Kerkermeister der Frauen" siud und die von ihnen "bc-
vormundeten Geschöpfe degradiren," indem sie "unter dem Deckmantel der Nächsten¬
liebe Teufeleien an ihnen ausübe"," sie "täglich und stündlich an Leib und
Seele rilniiren," ja "zum Tode verurteile"/' Diese gewaltsamen "Feinde aller
Kultur, die ihre Gewalt widerrechtlich behalten wollen," lassen "kraft ihrer Macht¬
stellung" den armen Frauen "eine Behandlung widerfahren," deren "Ungerechtigkeit
und Härte felbst unwissende Kinder empören muß," sie haben als "schlechte Er¬
zieher" die Frauen "miserabel unterrichtet," gehen nnr darauf aus, sie "durch
Anachronismus der Erziehung" "künstlich unten zu halten," und geben den
Frauen "von ihrem rechtmäßigen Eigentum nur fo viel heraus, als ihnen zum
eignen Vorteil gut erscheint," Kurz, es ist ein wahrer Jammer aus Erden um
die bedciueruswerteu, "zu schwachen, unmündigen Kindern erzoguen Frauen," und
da unser lieber Herrgott gar keine Anstalten treffen will, "den klugen und wohl¬
wollenden Mann," d. h. den der mit ins Horn der Frauenemanzipation bläst,
"von der Kameradschaft des rohen und beschränkten Mannes," d. h. dessen, der
sich der Emanzipation entgegenstellt, zu erlösen, so ist der Frau Kcttler nichts
andres übrig geblieben, als den "entwürdigenden, infamirenden, blamabel" Zu¬
ständen" selbst auf de" Leib zu rücken, indem sie das den Frauen "vorenthaltene
Recht nicht etwa als Gnade erbettelt und erwinselt, fondern erusthnst und auf¬
recht fordert," Schade uur, daß die Verfasserin offenbar sehr weit von hier
zu Hause ist; el" i" unsern Verhältnissen aufgewachsener Sterblicher hat Mühe,
sich in solche orientalische Beschaffenheit der Dinge hineinzudenken. Die deutsche
Männerwelt, die so eigenartige Höflichkeiten bisher nur aus deu Deklamationen
eines Fräulein Wabnitz und ähnlicher Damen zu hören gewohnt war, quittirt
über den Empfang der auserlesenen Schmeicheleien und wird ihnen mit Ver¬
gnügen ein Plätzchen im Raritätenschranke*) ciuweifen, im übrigen aber darüber
wohl zur Tagesordnung übergehen.

Durch die gereizten Vorwürfe, mit denen Fran Kettler in ihrer Vorein¬
genommenheit die Männer überschüttet, wühlte sie herumzukommen um beweis¬
kräftige Gründe für das, was sie selbst glaubt und andern einreden möchte,
daß nämlich "die Verschiedenheit zwischen Mann und Frau durch die Kultur
hervorgebracht," nicht aber ursprünglich begründet sei. Frau Kettler scheint sich den
Unterschied der beide" Geschlechter etwa so vorzustellen, wie deu zwischen der rechten
und der linken Hand eines Menschen. Beide Gliedmaßen stimmen anatomisch



*) Dahin gehört auch der köstliche Ausspruch, den Frau Ihrer neulich in einer sozialde-
mokratislhcu Versammlung in Hamburg gethan hat: Haben wir Frauen da" Recht, das Schafott
zu besteigen, so müssen wir auch das Recht haben, die ^Tribüne zu besteigen.
Der deutsche Frauenverein Reform

anders sein kann, wenigstens die Männer zu Frauen erziehen, damit die unab-
weisliche Forderung völliger Gleichheit endlich einmal erfüllt werde. Und nnn
kommt eine Hochflut leidenschaftlicher Ausfälle gegen die „gesetzgebende Hälfte
der Nation," die wahre „Kerkermeister der Frauen" siud und die von ihnen „bc-
vormundeten Geschöpfe degradiren," indem sie „unter dem Deckmantel der Nächsten¬
liebe Teufeleien an ihnen ausübe»," sie „täglich und stündlich an Leib und
Seele rilniiren," ja „zum Tode verurteile«/' Diese gewaltsamen „Feinde aller
Kultur, die ihre Gewalt widerrechtlich behalten wollen," lassen „kraft ihrer Macht¬
stellung" den armen Frauen „eine Behandlung widerfahren," deren „Ungerechtigkeit
und Härte felbst unwissende Kinder empören muß," sie haben als „schlechte Er¬
zieher" die Frauen „miserabel unterrichtet," gehen nnr darauf aus, sie „durch
Anachronismus der Erziehung" „künstlich unten zu halten," und geben den
Frauen „von ihrem rechtmäßigen Eigentum nur fo viel heraus, als ihnen zum
eignen Vorteil gut erscheint," Kurz, es ist ein wahrer Jammer aus Erden um
die bedciueruswerteu, „zu schwachen, unmündigen Kindern erzoguen Frauen," und
da unser lieber Herrgott gar keine Anstalten treffen will, „den klugen und wohl¬
wollenden Mann," d. h. den der mit ins Horn der Frauenemanzipation bläst,
„von der Kameradschaft des rohen und beschränkten Mannes," d. h. dessen, der
sich der Emanzipation entgegenstellt, zu erlösen, so ist der Frau Kcttler nichts
andres übrig geblieben, als den „entwürdigenden, infamirenden, blamabel» Zu¬
ständen" selbst auf de» Leib zu rücken, indem sie das den Frauen „vorenthaltene
Recht nicht etwa als Gnade erbettelt und erwinselt, fondern erusthnst und auf¬
recht fordert," Schade uur, daß die Verfasserin offenbar sehr weit von hier
zu Hause ist; el» i» unsern Verhältnissen aufgewachsener Sterblicher hat Mühe,
sich in solche orientalische Beschaffenheit der Dinge hineinzudenken. Die deutsche
Männerwelt, die so eigenartige Höflichkeiten bisher nur aus deu Deklamationen
eines Fräulein Wabnitz und ähnlicher Damen zu hören gewohnt war, quittirt
über den Empfang der auserlesenen Schmeicheleien und wird ihnen mit Ver¬
gnügen ein Plätzchen im Raritätenschranke*) ciuweifen, im übrigen aber darüber
wohl zur Tagesordnung übergehen.

Durch die gereizten Vorwürfe, mit denen Fran Kettler in ihrer Vorein¬
genommenheit die Männer überschüttet, wühlte sie herumzukommen um beweis¬
kräftige Gründe für das, was sie selbst glaubt und andern einreden möchte,
daß nämlich „die Verschiedenheit zwischen Mann und Frau durch die Kultur
hervorgebracht," nicht aber ursprünglich begründet sei. Frau Kettler scheint sich den
Unterschied der beide« Geschlechter etwa so vorzustellen, wie deu zwischen der rechten
und der linken Hand eines Menschen. Beide Gliedmaßen stimmen anatomisch



*) Dahin gehört auch der köstliche Ausspruch, den Frau Ihrer neulich in einer sozialde-
mokratislhcu Versammlung in Hamburg gethan hat: Haben wir Frauen da« Recht, das Schafott
zu besteigen, so müssen wir auch das Recht haben, die ^Tribüne zu besteigen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/84>, abgerufen am 23.07.2024.