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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

sitzt, die steckt ihr Kind ein Stück Kron^) in Mund, und der Bengel, der auf
mein Knie sitzt, das all lange eingeslafen war, der wird blau ins Gesicht,
weil daß er ein von mein Knöpfe in Hals hat. Die Mutter legt ihn denn
auch aufn Leib und prügelt so lang an ihm herum, bis daß allens wieder
herauskommt. Der Herr steht noch immer und sieht an den Wagen in die
Höchte -- da war kein büschen Platz vor ihn, und von achterm klettern noch
ein ganzen Berg Jungens hinein, die in den Wagenkorb sitzen wollen.

Alle heraus! schreit der Herr. Er hat ne hellsehe Stimme, wenn er
doll is; abers die Frauensleute dachten sich da garnix bei. Eine kleine
Madam fing an zu heulen. Mein besten Herrn Stizrat, lassen Sie mir doch
man bloß mit! Ich mach ja die Haubens für Frau Stizrätin, und weil ich
doch was von den Kopf verstehe, muß ich mich das ansehen, wie Herr Stiz¬
rat das macht!

Wie ich was mache? sagt der Herr und sieht die Person son büschen
ungläubig an.

Wie Herr Stizrat den gräßlichen Kerl seinen Kopf abhaut!

Ja, das müssen wir alle sehen! schreien die andern Weihers, und das
war ein Spektakel, als würden zwanzig Sweine auf einmal abgestochen.

Abers nun ward tasten Herrn doch zu bunt. Er sagt was zu die beiden
Polizeidieners, die eben angelaufen kamen, und bald kriegte er Platz; denn
Weber und Lauritzen hatten dazumal noch Kraft in die Uraeus. Abers son
Weibsvolk ist doch falsch -- was haben sie gescholten! Hier wär nie was
los, sagten sie, und wenn mal was nettes käme, denn wollte Herr Stizrat
sie das nich mal gönnen. Und den Wagen haben sie auch kaput gemacht!
Mit Willen!

Hinrich schwieg; er war ganz atemlos vom Sprechen geworden.

Hat denn Großvater dem Mörder wirklich den Kopf abgeschlagen ? fragte ich.

Hinrich lachte höhnisch. Na was denkst du dich denn eigentlich? Mit
sowas haben der Herr und ich uns niemals abgegeben. Da kam ein Mann
aus Kiel zu! Ja, das war ein Leben! Den ganzen Weg nach Petersdorf sah
Swarz aus, bloß von all das Volk, und hinter unsern Wagen liefen woll an
fufzig Kinder, die mitwollten!

Du hast wohl nichts von der Hinrichtung gesehen? fragte Jürgen halb
ungläubig, und Hinrich sah ihn böse an.

Warum nich? Das war ja gerade von den König bestimmt, daß der
Herr und ich bei Bohnsack sein Ende sein sollten: ich aufn Wagen, und Herr
Stizrat helf Schafott. Und was diesen alten kaputeu Wagen is, der is auch
bei gewesen, von Anfang bis Ende. Bei die Richtstätte hielt ich, und allens
kam drektemang bei mich vorüber. Zuerst läuteten schon die Glocken, was mich



*) Brot aus ""gesiebtem Weizenmehl.
Aus dänischer Zeit

sitzt, die steckt ihr Kind ein Stück Kron^) in Mund, und der Bengel, der auf
mein Knie sitzt, das all lange eingeslafen war, der wird blau ins Gesicht,
weil daß er ein von mein Knöpfe in Hals hat. Die Mutter legt ihn denn
auch aufn Leib und prügelt so lang an ihm herum, bis daß allens wieder
herauskommt. Der Herr steht noch immer und sieht an den Wagen in die
Höchte — da war kein büschen Platz vor ihn, und von achterm klettern noch
ein ganzen Berg Jungens hinein, die in den Wagenkorb sitzen wollen.

Alle heraus! schreit der Herr. Er hat ne hellsehe Stimme, wenn er
doll is; abers die Frauensleute dachten sich da garnix bei. Eine kleine
Madam fing an zu heulen. Mein besten Herrn Stizrat, lassen Sie mir doch
man bloß mit! Ich mach ja die Haubens für Frau Stizrätin, und weil ich
doch was von den Kopf verstehe, muß ich mich das ansehen, wie Herr Stiz¬
rat das macht!

Wie ich was mache? sagt der Herr und sieht die Person son büschen
ungläubig an.

Wie Herr Stizrat den gräßlichen Kerl seinen Kopf abhaut!

Ja, das müssen wir alle sehen! schreien die andern Weihers, und das
war ein Spektakel, als würden zwanzig Sweine auf einmal abgestochen.

Abers nun ward tasten Herrn doch zu bunt. Er sagt was zu die beiden
Polizeidieners, die eben angelaufen kamen, und bald kriegte er Platz; denn
Weber und Lauritzen hatten dazumal noch Kraft in die Uraeus. Abers son
Weibsvolk ist doch falsch — was haben sie gescholten! Hier wär nie was
los, sagten sie, und wenn mal was nettes käme, denn wollte Herr Stizrat
sie das nich mal gönnen. Und den Wagen haben sie auch kaput gemacht!
Mit Willen!

Hinrich schwieg; er war ganz atemlos vom Sprechen geworden.

Hat denn Großvater dem Mörder wirklich den Kopf abgeschlagen ? fragte ich.

Hinrich lachte höhnisch. Na was denkst du dich denn eigentlich? Mit
sowas haben der Herr und ich uns niemals abgegeben. Da kam ein Mann
aus Kiel zu! Ja, das war ein Leben! Den ganzen Weg nach Petersdorf sah
Swarz aus, bloß von all das Volk, und hinter unsern Wagen liefen woll an
fufzig Kinder, die mitwollten!

Du hast wohl nichts von der Hinrichtung gesehen? fragte Jürgen halb
ungläubig, und Hinrich sah ihn böse an.

Warum nich? Das war ja gerade von den König bestimmt, daß der
Herr und ich bei Bohnsack sein Ende sein sollten: ich aufn Wagen, und Herr
Stizrat helf Schafott. Und was diesen alten kaputeu Wagen is, der is auch
bei gewesen, von Anfang bis Ende. Bei die Richtstätte hielt ich, und allens
kam drektemang bei mich vorüber. Zuerst läuteten schon die Glocken, was mich



*) Brot aus »»gesiebtem Weizenmehl.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/652>, abgerufen am 23.07.2024.