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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Mitarbeit an der Gesetzgebung, namentlich der sozialpolitischen, gewöhnen zu
wollen.

So gewann es den Anschein, als ob die nationallibcrale Partei, wie sie
sich seinerzeit von der Fortschrittspartei getrennt und unter Berzichtleistung
auf manche Theorien fruchtbar an der politischen Ausgestaltung unsers Staats¬
lebens mitgewirkt hatte, auch die neuen, die sozialen Aufgaben verständnisvoll
erfassen und sich endgiltig losmachen wollte von dem unfruchtbaren Kampfe
um die parlamentarische Herrschaft. Eine sozialpolitische Mittelpartei schien
in der Bildung begriffen, die berufen war, ausgleichend und vermittelnd
zwischen den Extremen von rechts und links zu wirken. So schien es in der
That, bis -- Herr Miqnel in das Ministerium eintrat und damit die Zügel aus
den Hände" geben mußte, und Herr von Bennigsen eines schönen Tages die
Entdeckung machte, daß die liberalen Gedanken nicht die Geltung in Deutsch¬
land besäßen, die ihnen zukomme.

Auch noch eine andre, kaum weniger interessante und für die Richtung,
in der sich die Anschauungen des Herrn von Bennigsen bewegen, höchst be¬
zeichnende Entdeckung machte derselbe Herr bei dieser Gelegenheit. Während
die ganze Entwicklung der nationalliberalen Partei von dein Abfalle der
Sezessionisteu und von dem Heidelberger Programm an bis auf den heutigen
Tag den Beleg für die Wahrheit des Satzes bildete, daß die Partei in dem¬
selben Maße wieder an Ansehen und Einfluß bei Regierung und Volk gewann,
wie sie sich vou dem unverfälschten, reinen Liberalismus der linksliberalen Par¬
teien entfernte, fand Herr von Bennigsen, der doch diese Entwicklung, wenn
er in ihr auch nicht die treibende Kraft gewesen sein mochte, nutgemacht hatte,
plötzlich heraus, daß die Zwietracht innerhalb des Liberalismus, die "Zu¬
spitzung ^der innerhalb des liberalen Bürgertums vorhandnen Gegensätze" deu
Niedergang des Einflusses des Liberalismus verschuldet hätte.

Es ist nicht anders: mit seinem Appell ,,ein das liberale Bürgertum in
Stadt und Land," den er zunächst im Reichstage bei Gelegenheit der Beratung
des deutsch-schweizerischen Handelsvertrags gewissermaßen vom Zaune brach,
und den er jetzt bei dem Jubiläum der Partei wiederholt hat, ist Herr von
Bennigsen wieder zu seiner ersten Liebe zurückgekehrt; er hat den Boden des
Heidelberger Programms verlassen, um gemeinsam mit den andern liberalen
Parteien "die liberalen Einrichtungen, welche im wesentlichen ans der Kultur¬
entwicklung Europas (oder, wie es in der ersten Rede hieß: Westeuropas)
beruhen," gegen "reaktionäre" Gelüste zu verteidigen. Herr von Bennigsen hielt
den Augenblick für geeignet, den Kampf für die Parlamcntsherrschaft von
neuem zu entfachen, die positive Mitarbeit an deu gewaltigen Aufgaben der
Gegenwart hinter die veralteten politischen Machtkämpfe, die mau in still¬
schweigender Übereinkunft auf allen Seiten glücklich eingestellt hatte, wieder
zurücktreten zu lassen. Und wie der "Staatsmann" der Partei saug, so


Mitarbeit an der Gesetzgebung, namentlich der sozialpolitischen, gewöhnen zu
wollen.

So gewann es den Anschein, als ob die nationallibcrale Partei, wie sie
sich seinerzeit von der Fortschrittspartei getrennt und unter Berzichtleistung
auf manche Theorien fruchtbar an der politischen Ausgestaltung unsers Staats¬
lebens mitgewirkt hatte, auch die neuen, die sozialen Aufgaben verständnisvoll
erfassen und sich endgiltig losmachen wollte von dem unfruchtbaren Kampfe
um die parlamentarische Herrschaft. Eine sozialpolitische Mittelpartei schien
in der Bildung begriffen, die berufen war, ausgleichend und vermittelnd
zwischen den Extremen von rechts und links zu wirken. So schien es in der
That, bis — Herr Miqnel in das Ministerium eintrat und damit die Zügel aus
den Hände» geben mußte, und Herr von Bennigsen eines schönen Tages die
Entdeckung machte, daß die liberalen Gedanken nicht die Geltung in Deutsch¬
land besäßen, die ihnen zukomme.

Auch noch eine andre, kaum weniger interessante und für die Richtung,
in der sich die Anschauungen des Herrn von Bennigsen bewegen, höchst be¬
zeichnende Entdeckung machte derselbe Herr bei dieser Gelegenheit. Während
die ganze Entwicklung der nationalliberalen Partei von dein Abfalle der
Sezessionisteu und von dem Heidelberger Programm an bis auf den heutigen
Tag den Beleg für die Wahrheit des Satzes bildete, daß die Partei in dem¬
selben Maße wieder an Ansehen und Einfluß bei Regierung und Volk gewann,
wie sie sich vou dem unverfälschten, reinen Liberalismus der linksliberalen Par¬
teien entfernte, fand Herr von Bennigsen, der doch diese Entwicklung, wenn
er in ihr auch nicht die treibende Kraft gewesen sein mochte, nutgemacht hatte,
plötzlich heraus, daß die Zwietracht innerhalb des Liberalismus, die „Zu¬
spitzung ^der innerhalb des liberalen Bürgertums vorhandnen Gegensätze" deu
Niedergang des Einflusses des Liberalismus verschuldet hätte.

Es ist nicht anders: mit seinem Appell ,,ein das liberale Bürgertum in
Stadt und Land," den er zunächst im Reichstage bei Gelegenheit der Beratung
des deutsch-schweizerischen Handelsvertrags gewissermaßen vom Zaune brach,
und den er jetzt bei dem Jubiläum der Partei wiederholt hat, ist Herr von
Bennigsen wieder zu seiner ersten Liebe zurückgekehrt; er hat den Boden des
Heidelberger Programms verlassen, um gemeinsam mit den andern liberalen
Parteien „die liberalen Einrichtungen, welche im wesentlichen ans der Kultur¬
entwicklung Europas (oder, wie es in der ersten Rede hieß: Westeuropas)
beruhen," gegen „reaktionäre" Gelüste zu verteidigen. Herr von Bennigsen hielt
den Augenblick für geeignet, den Kampf für die Parlamcntsherrschaft von
neuem zu entfachen, die positive Mitarbeit an deu gewaltigen Aufgaben der
Gegenwart hinter die veralteten politischen Machtkämpfe, die mau in still¬
schweigender Übereinkunft auf allen Seiten glücklich eingestellt hatte, wieder
zurücktreten zu lassen. Und wie der „Staatsmann" der Partei saug, so


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[0620] Mitarbeit an der Gesetzgebung, namentlich der sozialpolitischen, gewöhnen zu wollen. So gewann es den Anschein, als ob die nationallibcrale Partei, wie sie sich seinerzeit von der Fortschrittspartei getrennt und unter Berzichtleistung auf manche Theorien fruchtbar an der politischen Ausgestaltung unsers Staats¬ lebens mitgewirkt hatte, auch die neuen, die sozialen Aufgaben verständnisvoll erfassen und sich endgiltig losmachen wollte von dem unfruchtbaren Kampfe um die parlamentarische Herrschaft. Eine sozialpolitische Mittelpartei schien in der Bildung begriffen, die berufen war, ausgleichend und vermittelnd zwischen den Extremen von rechts und links zu wirken. So schien es in der That, bis — Herr Miqnel in das Ministerium eintrat und damit die Zügel aus den Hände» geben mußte, und Herr von Bennigsen eines schönen Tages die Entdeckung machte, daß die liberalen Gedanken nicht die Geltung in Deutsch¬ land besäßen, die ihnen zukomme. Auch noch eine andre, kaum weniger interessante und für die Richtung, in der sich die Anschauungen des Herrn von Bennigsen bewegen, höchst be¬ zeichnende Entdeckung machte derselbe Herr bei dieser Gelegenheit. Während die ganze Entwicklung der nationalliberalen Partei von dein Abfalle der Sezessionisteu und von dem Heidelberger Programm an bis auf den heutigen Tag den Beleg für die Wahrheit des Satzes bildete, daß die Partei in dem¬ selben Maße wieder an Ansehen und Einfluß bei Regierung und Volk gewann, wie sie sich vou dem unverfälschten, reinen Liberalismus der linksliberalen Par¬ teien entfernte, fand Herr von Bennigsen, der doch diese Entwicklung, wenn er in ihr auch nicht die treibende Kraft gewesen sein mochte, nutgemacht hatte, plötzlich heraus, daß die Zwietracht innerhalb des Liberalismus, die „Zu¬ spitzung ^der innerhalb des liberalen Bürgertums vorhandnen Gegensätze" deu Niedergang des Einflusses des Liberalismus verschuldet hätte. Es ist nicht anders: mit seinem Appell ,,ein das liberale Bürgertum in Stadt und Land," den er zunächst im Reichstage bei Gelegenheit der Beratung des deutsch-schweizerischen Handelsvertrags gewissermaßen vom Zaune brach, und den er jetzt bei dem Jubiläum der Partei wiederholt hat, ist Herr von Bennigsen wieder zu seiner ersten Liebe zurückgekehrt; er hat den Boden des Heidelberger Programms verlassen, um gemeinsam mit den andern liberalen Parteien „die liberalen Einrichtungen, welche im wesentlichen ans der Kultur¬ entwicklung Europas (oder, wie es in der ersten Rede hieß: Westeuropas) beruhen," gegen „reaktionäre" Gelüste zu verteidigen. Herr von Bennigsen hielt den Augenblick für geeignet, den Kampf für die Parlamcntsherrschaft von neuem zu entfachen, die positive Mitarbeit an deu gewaltigen Aufgaben der Gegenwart hinter die veralteten politischen Machtkämpfe, die mau in still¬ schweigender Übereinkunft auf allen Seiten glücklich eingestellt hatte, wieder zurücktreten zu lassen. Und wie der „Staatsmann" der Partei saug, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/620>, abgerufen am 23.07.2024.