Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Kandidat in der Quellenkunde zu der politischen Entwicklung der vaterländischen Ich mochte ihn dabei wohl wie ein abgestochnes Kalb angesehen haben, Fritz lachte laut auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß Nein. Ich weiß nicht, wie es kam. Ich sah nur immer auf den Kalbs¬ Und Lcumnerts vernichtendes Dokument benutztest du als Wickelpapier? Auch das nicht. Es wurde mir bald vom wohllöblichen Magistrat mit Er stand aus. Das Zimmer war leer geworden. Die Studenten hatten Es war ein milder Frühlingsabend. Klarer Sternhimmel, reine, er¬ Karl blieb stehen und sah vor sich hin. Fritz, sagte er düster und lang¬ Fritz ließ seinen Arm los, musterte den Freund und klopfte ihm auf die Karl Wichtel schüttelte deu Kops und unterdrückte einen Seufzer. Sieh da! Das also ist dein Unglück. Na, mein Junge, das kennen wir. So sang er ihm pathetisch mit der klagenden Stimme eines verliebten Viel Unglück, weil zu viel Glück. Das verstehe ich nicht! Sag mal, einen kleinen Stich bekommt ihr Haus¬ Grenzlwten I 1892 76
Kandidat in der Quellenkunde zu der politischen Entwicklung der vaterländischen Ich mochte ihn dabei wohl wie ein abgestochnes Kalb angesehen haben, Fritz lachte laut auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß Nein. Ich weiß nicht, wie es kam. Ich sah nur immer auf den Kalbs¬ Und Lcumnerts vernichtendes Dokument benutztest du als Wickelpapier? Auch das nicht. Es wurde mir bald vom wohllöblichen Magistrat mit Er stand aus. Das Zimmer war leer geworden. Die Studenten hatten Es war ein milder Frühlingsabend. Klarer Sternhimmel, reine, er¬ Karl blieb stehen und sah vor sich hin. Fritz, sagte er düster und lang¬ Fritz ließ seinen Arm los, musterte den Freund und klopfte ihm auf die Karl Wichtel schüttelte deu Kops und unterdrückte einen Seufzer. Sieh da! Das also ist dein Unglück. Na, mein Junge, das kennen wir. So sang er ihm pathetisch mit der klagenden Stimme eines verliebten Viel Unglück, weil zu viel Glück. Das verstehe ich nicht! Sag mal, einen kleinen Stich bekommt ihr Haus¬ Grenzlwten I 1892 76
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211777"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1802" prev="#ID_1801"> Kandidat in der Quellenkunde zu der politischen Entwicklung der vaterländischen<lb/> Geschichte, namentlich im Zeitalter Friedrichs des Großen, ziemlich verworrene<lb/> Anschauungen und konfuse Begriffe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1803"> Ich mochte ihn dabei wohl wie ein abgestochnes Kalb angesehen haben,<lb/> denn er betonte noch einmal kräftig: Ja woll, 's steht hier: verworrene Anschau¬<lb/> ungen, konfuse Begriffe. Nee, wissen Sie, mein Bester, das vertrug ich vou<lb/> meine Viehtreiber, daß sie wissen, wer der olle Fritze gewesen ist. Und klare,<lb/> helle Koppe wollen wir in unsrer Kommune haben, verstehen Se, und keine<lb/> verworrenen Koufusionsräte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1804"> Fritz lachte laut auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß<lb/> die Gläser tanzten. Verflucht und zugenäht! Na dieser „Säule" des höhern<lb/> Schulwesens hast dus doch gründlich angestrichen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1805"> Nein. Ich weiß nicht, wie es kam. Ich sah nur immer auf den Kalbs¬<lb/> brägen und den Preßkopf; dann verlangte ich ein Viertel Pfund von dem<lb/> Preßkopf mit Sülze neben meinen Zeugnissen und ging meiner Wege.</p><lb/> <p xml:id="ID_1806"> Und Lcumnerts vernichtendes Dokument benutztest du als Wickelpapier?</p><lb/> <p xml:id="ID_1807"> Auch das nicht. Es wurde mir bald vom wohllöblichen Magistrat mit<lb/> der Bemerkung zugeschickt, daß ich die Stelle mir dann erhalten könnte, wenn<lb/> ich meine Lücken in der Geschichte ausgefüllt hätte. Da habe ich denn ge¬<lb/> schworen, dieses Brandmal aus meinem Leben zu vertilgen, es koste was es<lb/> wolle. Und so bin ich hergekommen, um von Lammert einen andern Urteils-<lb/> spruch zu erlangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1808"> Er stand aus. Das Zimmer war leer geworden. Die Studenten hatten<lb/> sich allmählich in ihre Stammkneipen verzogen, um ihre Begrüßung und Be-<lb/> gießung in engern Kreisen kommeutmüßiger fortzusetzen. Fritz nahm den Arm<lb/> seines Studienfreundes, und beide schritten die Straße hinunter dnrch die An¬<lb/> lagen, die sich wie ein Kranz um die ganze Stadt zogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1809"> Es war ein milder Frühlingsabend. Klarer Sternhimmel, reine, er¬<lb/> quickende Luft, aus den knospenden und treibenden Büschen das Locken nud<lb/> Klagen der Nachtigallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1810"> Karl blieb stehen und sah vor sich hin. Fritz, sagte er düster und lang¬<lb/> sam, ich bin ein unglücklicher Mensch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1811"> Fritz ließ seinen Arm los, musterte den Freund und klopfte ihm auf die<lb/> Schulter. Jetzt schon sentimental, alter Junge, nach drei Glas Echten? Was<lb/> muß ich an dir erleben!</p><lb/> <p xml:id="ID_1812"> Karl Wichtel schüttelte deu Kops und unterdrückte einen Seufzer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1813"> Sieh da! Das also ist dein Unglück. Na, mein Junge, das kennen wir.<lb/> Dem ist mein Herz! Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!</p><lb/> <p xml:id="ID_1814"> So sang er ihm pathetisch mit der klagenden Stimme eines verliebten<lb/> Dachdeckers ins Ohr, indem er den linken Arm hvchstreckte und mit der rechten<lb/> Hand die bebenden Bewegungen des Herzens nachmachte. Aber Scherz bei¬<lb/> seite! Du hast also mit deiner Hauslehrerei Unglück gehabt? Wie?</p><lb/> <p xml:id="ID_1815"> Viel Unglück, weil zu viel Glück.</p><lb/> <p xml:id="ID_1816" next="#ID_1817"> Das verstehe ich nicht! Sag mal, einen kleinen Stich bekommt ihr Haus¬<lb/> lehrer doch alle ans dem Lande! Nimm mirs nicht übel, aber es muß etwas<lb/> in der Landlust liegen, was die Gedanken und Gefühle eines Büchermenschen<lb/> zu Entgleisungen bringt. Solche entgleiste Menschen sind mir schon oft<lb/> begegnet. Ein bischen problematische Naturen — Spielhagen ^ wie? Was</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwten I 1892 76</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0609]
Kandidat in der Quellenkunde zu der politischen Entwicklung der vaterländischen
Geschichte, namentlich im Zeitalter Friedrichs des Großen, ziemlich verworrene
Anschauungen und konfuse Begriffe.
Ich mochte ihn dabei wohl wie ein abgestochnes Kalb angesehen haben,
denn er betonte noch einmal kräftig: Ja woll, 's steht hier: verworrene Anschau¬
ungen, konfuse Begriffe. Nee, wissen Sie, mein Bester, das vertrug ich vou
meine Viehtreiber, daß sie wissen, wer der olle Fritze gewesen ist. Und klare,
helle Koppe wollen wir in unsrer Kommune haben, verstehen Se, und keine
verworrenen Koufusionsräte.
Fritz lachte laut auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß
die Gläser tanzten. Verflucht und zugenäht! Na dieser „Säule" des höhern
Schulwesens hast dus doch gründlich angestrichen?
Nein. Ich weiß nicht, wie es kam. Ich sah nur immer auf den Kalbs¬
brägen und den Preßkopf; dann verlangte ich ein Viertel Pfund von dem
Preßkopf mit Sülze neben meinen Zeugnissen und ging meiner Wege.
Und Lcumnerts vernichtendes Dokument benutztest du als Wickelpapier?
Auch das nicht. Es wurde mir bald vom wohllöblichen Magistrat mit
der Bemerkung zugeschickt, daß ich die Stelle mir dann erhalten könnte, wenn
ich meine Lücken in der Geschichte ausgefüllt hätte. Da habe ich denn ge¬
schworen, dieses Brandmal aus meinem Leben zu vertilgen, es koste was es
wolle. Und so bin ich hergekommen, um von Lammert einen andern Urteils-
spruch zu erlangen.
Er stand aus. Das Zimmer war leer geworden. Die Studenten hatten
sich allmählich in ihre Stammkneipen verzogen, um ihre Begrüßung und Be-
gießung in engern Kreisen kommeutmüßiger fortzusetzen. Fritz nahm den Arm
seines Studienfreundes, und beide schritten die Straße hinunter dnrch die An¬
lagen, die sich wie ein Kranz um die ganze Stadt zogen.
Es war ein milder Frühlingsabend. Klarer Sternhimmel, reine, er¬
quickende Luft, aus den knospenden und treibenden Büschen das Locken nud
Klagen der Nachtigallen.
Karl blieb stehen und sah vor sich hin. Fritz, sagte er düster und lang¬
sam, ich bin ein unglücklicher Mensch.
Fritz ließ seinen Arm los, musterte den Freund und klopfte ihm auf die
Schulter. Jetzt schon sentimental, alter Junge, nach drei Glas Echten? Was
muß ich an dir erleben!
Karl Wichtel schüttelte deu Kops und unterdrückte einen Seufzer.
Sieh da! Das also ist dein Unglück. Na, mein Junge, das kennen wir.
Dem ist mein Herz! Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben!
So sang er ihm pathetisch mit der klagenden Stimme eines verliebten
Dachdeckers ins Ohr, indem er den linken Arm hvchstreckte und mit der rechten
Hand die bebenden Bewegungen des Herzens nachmachte. Aber Scherz bei¬
seite! Du hast also mit deiner Hauslehrerei Unglück gehabt? Wie?
Viel Unglück, weil zu viel Glück.
Das verstehe ich nicht! Sag mal, einen kleinen Stich bekommt ihr Haus¬
lehrer doch alle ans dem Lande! Nimm mirs nicht übel, aber es muß etwas
in der Landlust liegen, was die Gedanken und Gefühle eines Büchermenschen
zu Entgleisungen bringt. Solche entgleiste Menschen sind mir schon oft
begegnet. Ein bischen problematische Naturen — Spielhagen ^ wie? Was
Grenzlwten I 1892 76
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |