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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Lateinische Volksetymologie und Verwandtes

Als drittes ist in der Volksetymologie der Volkswitz bei der Neubildung
und Umbildung von Wörtern wirksam, zwar nicht in allen Sprachen in
gleicher Stärke, aber er fehlt doch nirgends ganz. Am mächtigsten ist er wohl
im Deutschen, und Ausdrücke, die der Volkswitz bei uns geschaffen hat, wie
Zuvielverdienstorden für Civilverdienstorden, Ziehjarrn für Cigarren, Zank-
thippe für Xanthippe, Bibelapothek für Bibliothek und Jnmfernautc für
Gouvernante, oder Verdrehungen, die dem Witz eines Einzelnen entsprungen
sind, wie die Fischartschen Bildungen Jesuwider für Jesuiter, Pfotengraiu für
Podngra und Unteuamend für Fundament gehören zu den heitersten Schöpfungen
der Volksetymologie und des Wortwitzes.

Am schwächsten scheint dieser Trieb im Lateinischen gewirkt zu haben.
Die geistige Anlage des Römers war dem harmlosen Witze nicht günstig.
Sein Witz war fast immer persönlich und entweder boshaft oder unanständig,
am liebsten beides zugleich. Der unschuldige und harmlose Witz ist dem
römischen Volke fremd. Ein Witzblatt wie die Fliegenden Blätter würde noch
jetzt in Italien geringen Beifall finden.

Auch Otto Keller, der das weite Gebiet der lateinischen Volksetymologie
mit Fleiß und Sachkenntnis durchforscht hat, kann nicht eben viele Beispiel
beibringen. Verhältnismäßig um häufigsten sind Wortspiele, wie pÄni^örlvnA
Brotträger für xg.vsMri<;u8, Lobhudler; areuidueulus, Erzochs für ürLbibuoolos,
Erzpriester; äisplioirm mit Anlehnung an clisplioeM (mißfallen) für si8oipliim.
Hierher gehören auch Nameusverdrehungeu wie litibicmus si'irbios, Wut! für
I^l"ihnn8 und die Umwandlung des Namens libsrius OlÄuclius 5!in'v -- der
Kaiser Tiberius ist gemeint -- in Libsrius (üuMus Nsro, prvpwr uimmm
vini g-vicUtÄkonr.

In diesen Beispielen tritt das Boshafte im römischen Witz deutlich
hervor. Die Vorliebe für das Unanständige hat nach Kellers Meinung die
Anwendung vou oulirm, Küche für 1g.t,riim, Abtritt begünstigt; der Römer soll
dabei an oulu8 gedacht haben. Es ist ja möglich, daß dieser Klang in culiim
mitwirkte. Aber man darf vielleicht bei dieser Redensart einen harmlosern
Ursprung vermuten. Wie man noch in Pompeji sehen kaun, war im römischen
Hause der Abtritt unmittelbar neben der Küche, in einer für uns wunderlich
nahen Verbindung. Wie wir nun zum Beispiel im Walde "abtreten" und
zwischen den Büschen ein "Veilchen" oder ein "Vergißmeinnicht suchen", so
ging vielleicht der Römer angeblich in ouliimin, wenn er seine Schritte nach
dem nahen Örtchen lenkte. Diese harmlose Erklärung der Redensart wird
noch dnrch die Bemerkung gestützt, daß auch im Lateinischen die kraftvollen
und klangvollen Wörter dieses Schlags gern durch mildere ersetzt wurden.
So heißt ja Ig,triim. eigentlich Waschraum, und für "A<Z!U'u sagte man clss"
nrgsrö und g.8L<zIlg.i's, aufs Stühlchen gehen.

Unanständig aber und zugleich boshaft war es, wenn die Römer die


Lateinische Volksetymologie und Verwandtes

Als drittes ist in der Volksetymologie der Volkswitz bei der Neubildung
und Umbildung von Wörtern wirksam, zwar nicht in allen Sprachen in
gleicher Stärke, aber er fehlt doch nirgends ganz. Am mächtigsten ist er wohl
im Deutschen, und Ausdrücke, die der Volkswitz bei uns geschaffen hat, wie
Zuvielverdienstorden für Civilverdienstorden, Ziehjarrn für Cigarren, Zank-
thippe für Xanthippe, Bibelapothek für Bibliothek und Jnmfernautc für
Gouvernante, oder Verdrehungen, die dem Witz eines Einzelnen entsprungen
sind, wie die Fischartschen Bildungen Jesuwider für Jesuiter, Pfotengraiu für
Podngra und Unteuamend für Fundament gehören zu den heitersten Schöpfungen
der Volksetymologie und des Wortwitzes.

Am schwächsten scheint dieser Trieb im Lateinischen gewirkt zu haben.
Die geistige Anlage des Römers war dem harmlosen Witze nicht günstig.
Sein Witz war fast immer persönlich und entweder boshaft oder unanständig,
am liebsten beides zugleich. Der unschuldige und harmlose Witz ist dem
römischen Volke fremd. Ein Witzblatt wie die Fliegenden Blätter würde noch
jetzt in Italien geringen Beifall finden.

Auch Otto Keller, der das weite Gebiet der lateinischen Volksetymologie
mit Fleiß und Sachkenntnis durchforscht hat, kann nicht eben viele Beispiel
beibringen. Verhältnismäßig um häufigsten sind Wortspiele, wie pÄni^örlvnA
Brotträger für xg.vsMri<;u8, Lobhudler; areuidueulus, Erzochs für ürLbibuoolos,
Erzpriester; äisplioirm mit Anlehnung an clisplioeM (mißfallen) für si8oipliim.
Hierher gehören auch Nameusverdrehungeu wie litibicmus si'irbios, Wut! für
I^l»ihnn8 und die Umwandlung des Namens libsrius OlÄuclius 5!in'v — der
Kaiser Tiberius ist gemeint — in Libsrius (üuMus Nsro, prvpwr uimmm
vini g-vicUtÄkonr.

In diesen Beispielen tritt das Boshafte im römischen Witz deutlich
hervor. Die Vorliebe für das Unanständige hat nach Kellers Meinung die
Anwendung vou oulirm, Küche für 1g.t,riim, Abtritt begünstigt; der Römer soll
dabei an oulu8 gedacht haben. Es ist ja möglich, daß dieser Klang in culiim
mitwirkte. Aber man darf vielleicht bei dieser Redensart einen harmlosern
Ursprung vermuten. Wie man noch in Pompeji sehen kaun, war im römischen
Hause der Abtritt unmittelbar neben der Küche, in einer für uns wunderlich
nahen Verbindung. Wie wir nun zum Beispiel im Walde „abtreten" und
zwischen den Büschen ein „Veilchen" oder ein „Vergißmeinnicht suchen", so
ging vielleicht der Römer angeblich in ouliimin, wenn er seine Schritte nach
dem nahen Örtchen lenkte. Diese harmlose Erklärung der Redensart wird
noch dnrch die Bemerkung gestützt, daß auch im Lateinischen die kraftvollen
und klangvollen Wörter dieses Schlags gern durch mildere ersetzt wurden.
So heißt ja Ig,triim. eigentlich Waschraum, und für «A<Z!U'u sagte man clss»
nrgsrö und g.8L<zIlg.i's, aufs Stühlchen gehen.

Unanständig aber und zugleich boshaft war es, wenn die Römer die


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[0454] Lateinische Volksetymologie und Verwandtes Als drittes ist in der Volksetymologie der Volkswitz bei der Neubildung und Umbildung von Wörtern wirksam, zwar nicht in allen Sprachen in gleicher Stärke, aber er fehlt doch nirgends ganz. Am mächtigsten ist er wohl im Deutschen, und Ausdrücke, die der Volkswitz bei uns geschaffen hat, wie Zuvielverdienstorden für Civilverdienstorden, Ziehjarrn für Cigarren, Zank- thippe für Xanthippe, Bibelapothek für Bibliothek und Jnmfernautc für Gouvernante, oder Verdrehungen, die dem Witz eines Einzelnen entsprungen sind, wie die Fischartschen Bildungen Jesuwider für Jesuiter, Pfotengraiu für Podngra und Unteuamend für Fundament gehören zu den heitersten Schöpfungen der Volksetymologie und des Wortwitzes. Am schwächsten scheint dieser Trieb im Lateinischen gewirkt zu haben. Die geistige Anlage des Römers war dem harmlosen Witze nicht günstig. Sein Witz war fast immer persönlich und entweder boshaft oder unanständig, am liebsten beides zugleich. Der unschuldige und harmlose Witz ist dem römischen Volke fremd. Ein Witzblatt wie die Fliegenden Blätter würde noch jetzt in Italien geringen Beifall finden. Auch Otto Keller, der das weite Gebiet der lateinischen Volksetymologie mit Fleiß und Sachkenntnis durchforscht hat, kann nicht eben viele Beispiel beibringen. Verhältnismäßig um häufigsten sind Wortspiele, wie pÄni^örlvnA Brotträger für xg.vsMri<;u8, Lobhudler; areuidueulus, Erzochs für ürLbibuoolos, Erzpriester; äisplioirm mit Anlehnung an clisplioeM (mißfallen) für si8oipliim. Hierher gehören auch Nameusverdrehungeu wie litibicmus si'irbios, Wut! für I^l»ihnn8 und die Umwandlung des Namens libsrius OlÄuclius 5!in'v — der Kaiser Tiberius ist gemeint — in Libsrius (üuMus Nsro, prvpwr uimmm vini g-vicUtÄkonr. In diesen Beispielen tritt das Boshafte im römischen Witz deutlich hervor. Die Vorliebe für das Unanständige hat nach Kellers Meinung die Anwendung vou oulirm, Küche für 1g.t,riim, Abtritt begünstigt; der Römer soll dabei an oulu8 gedacht haben. Es ist ja möglich, daß dieser Klang in culiim mitwirkte. Aber man darf vielleicht bei dieser Redensart einen harmlosern Ursprung vermuten. Wie man noch in Pompeji sehen kaun, war im römischen Hause der Abtritt unmittelbar neben der Küche, in einer für uns wunderlich nahen Verbindung. Wie wir nun zum Beispiel im Walde „abtreten" und zwischen den Büschen ein „Veilchen" oder ein „Vergißmeinnicht suchen", so ging vielleicht der Römer angeblich in ouliimin, wenn er seine Schritte nach dem nahen Örtchen lenkte. Diese harmlose Erklärung der Redensart wird noch dnrch die Bemerkung gestützt, daß auch im Lateinischen die kraftvollen und klangvollen Wörter dieses Schlags gern durch mildere ersetzt wurden. So heißt ja Ig,triim. eigentlich Waschraum, und für «A<Z!U'u sagte man clss» nrgsrö und g.8L<zIlg.i's, aufs Stühlchen gehen. Unanständig aber und zugleich boshaft war es, wenn die Römer die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/454>, abgerufen am 23.07.2024.