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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zweck des Staates daS Gesetz des Sittliche" u. s. w. ^Dann folgen die bekannten
Moralgrundsätze Kants und Hegels j. Unter der Einwirkung der christlichen
Lehren abergewaun der Staat einen umfassender,! und tiefern Gehalt, als er
im Altertume besessen hatte, indem er den christlichen Gedanken der allgemeinen
Menschenliebe zum leitenden Grundsätze seiner Gesetzgebung machte. Die Gleich¬
stellung aller Staatsangehörigen vor dem Gesetz und die soziale Gesetzgebung der
Gegenwart.... sind nichts als eine praktische Ausführung der christlichen
Sittenlehre." Es thut mir leid, behaupten zu müssen, daß dem verdienst- und
geistvollen Elater ans dieser W1. Seite seines schonen und großartigen Werkes
etwas recht Lächerliches entschlüpft ist. Der Staat, dessen Symbol ein von
Tintenfaß und Geldbeutel fiankirtes Magazingewehr ist, als Liebesgott! Nein,
das ist kein Ideal, sondern eine komische Figur! Ein absoluter König und
Kaiser kann aus Liebe zum Volke handeln -- weit kommt er damit gewöhnlich
nicht --, aber nicht der unpersönliche, ans lauter unpersönlichen Kollegien
bestehende moderne Staat, wo es dein Monarchen schon sehr übel genommen
wird, wenn er seine pu äeÄAorm durch den Druck bekannt macht, ohne durch
die Gegenzeichnung eines Ministers die Verantwortung dafür von sich abge¬
wälzt zu haben. Ein Herrscher früherer Zeiten, der als Großgrundbesitzer
über viele tausend Menschen väterlich waltete und die übrigen Großgrund¬
besitzer seines Reiches dnrch seinen überlegneu Geist oder durch Waffengewalt
zur Nachahmung zwingen konnte, dem führte wohl bei der Abfassung seiner
Gesetze sein wohlwollendes Herz die Feder, wie denn Karls des Großen Kapi-
tularien vielfach diesen Charakter zeigen; hier herrschten persönliche, rein mensch¬
liche Verhältnisse vor. Aus der modernen Bureaukratie sind solche grundsätzlich
ausgeschlossen; das verfügende Kollegium hat als Kvllektivwesen keine Em¬
pfindung, und der ausführende Beamte macht sich lächerlich oder verletzt seine
Pflicht, wenn er statt des Reglements oder Gesetzes sein Herz sprechen läßt.
In der "Gleichstellung aller vor dein Gesetz" sind drei verschiedne Dinge ver¬
mischt. Die Anerkennung jedes vernünftigen Wesens, also auch des Sklaven,
als Rechtssubjekts ist mehr als tausend Jahre vor der Entstehung des modernen
Staates von der Kirche durchgesetzt worden. Die Vorrechte der Privilegien
Klassen zu brechen, sind die absoluten Monarchen des vorigen Jahrhunderts
mit verschiednen Erfolg thätig gewesen, bis dann die Jakobiner aus ganz
andern Gründen das Werk vollendeten. Und die Verleihung aller staats¬
bürgerlichen Rechte an alle ungeflügelten Zweifüßler (Mg.8ouum Ksngiis, das
teinminum folgt nächstens nach), wie sich der selige Blankenburg in der
Schlesischen Zeitung immer ausdrückte, ist weder eine Forderung der christ-
lichen Nächstenliebe, noch wird sie von der Mehrzahl der denkenden Geister
für zweckmäßig erachtet. Was endlich die soziale Gesetzgebung anlangt, so
ehren wir zwar die berühmten Erlasse Wilhelms I. und II. als Ausflüsse
landesväterlichcr Gesinnung, aber die daraufhin gegebnen Gesetze sind wie die


Zweck des Staates daS Gesetz des Sittliche» u. s. w. ^Dann folgen die bekannten
Moralgrundsätze Kants und Hegels j. Unter der Einwirkung der christlichen
Lehren abergewaun der Staat einen umfassender,! und tiefern Gehalt, als er
im Altertume besessen hatte, indem er den christlichen Gedanken der allgemeinen
Menschenliebe zum leitenden Grundsätze seiner Gesetzgebung machte. Die Gleich¬
stellung aller Staatsangehörigen vor dem Gesetz und die soziale Gesetzgebung der
Gegenwart.... sind nichts als eine praktische Ausführung der christlichen
Sittenlehre." Es thut mir leid, behaupten zu müssen, daß dem verdienst- und
geistvollen Elater ans dieser W1. Seite seines schonen und großartigen Werkes
etwas recht Lächerliches entschlüpft ist. Der Staat, dessen Symbol ein von
Tintenfaß und Geldbeutel fiankirtes Magazingewehr ist, als Liebesgott! Nein,
das ist kein Ideal, sondern eine komische Figur! Ein absoluter König und
Kaiser kann aus Liebe zum Volke handeln — weit kommt er damit gewöhnlich
nicht —, aber nicht der unpersönliche, ans lauter unpersönlichen Kollegien
bestehende moderne Staat, wo es dein Monarchen schon sehr übel genommen
wird, wenn er seine pu äeÄAorm durch den Druck bekannt macht, ohne durch
die Gegenzeichnung eines Ministers die Verantwortung dafür von sich abge¬
wälzt zu haben. Ein Herrscher früherer Zeiten, der als Großgrundbesitzer
über viele tausend Menschen väterlich waltete und die übrigen Großgrund¬
besitzer seines Reiches dnrch seinen überlegneu Geist oder durch Waffengewalt
zur Nachahmung zwingen konnte, dem führte wohl bei der Abfassung seiner
Gesetze sein wohlwollendes Herz die Feder, wie denn Karls des Großen Kapi-
tularien vielfach diesen Charakter zeigen; hier herrschten persönliche, rein mensch¬
liche Verhältnisse vor. Aus der modernen Bureaukratie sind solche grundsätzlich
ausgeschlossen; das verfügende Kollegium hat als Kvllektivwesen keine Em¬
pfindung, und der ausführende Beamte macht sich lächerlich oder verletzt seine
Pflicht, wenn er statt des Reglements oder Gesetzes sein Herz sprechen läßt.
In der „Gleichstellung aller vor dein Gesetz" sind drei verschiedne Dinge ver¬
mischt. Die Anerkennung jedes vernünftigen Wesens, also auch des Sklaven,
als Rechtssubjekts ist mehr als tausend Jahre vor der Entstehung des modernen
Staates von der Kirche durchgesetzt worden. Die Vorrechte der Privilegien
Klassen zu brechen, sind die absoluten Monarchen des vorigen Jahrhunderts
mit verschiednen Erfolg thätig gewesen, bis dann die Jakobiner aus ganz
andern Gründen das Werk vollendeten. Und die Verleihung aller staats¬
bürgerlichen Rechte an alle ungeflügelten Zweifüßler (Mg.8ouum Ksngiis, das
teinminum folgt nächstens nach), wie sich der selige Blankenburg in der
Schlesischen Zeitung immer ausdrückte, ist weder eine Forderung der christ-
lichen Nächstenliebe, noch wird sie von der Mehrzahl der denkenden Geister
für zweckmäßig erachtet. Was endlich die soziale Gesetzgebung anlangt, so
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landesväterlichcr Gesinnung, aber die daraufhin gegebnen Gesetze sind wie die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/445>, abgerufen am 23.07.2024.