Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die technischen Hochschulen

großen eidgenössischen Polytechnikums in Zürich die ganze Dürftigkeit der
seither geltenden Behelfe ins hellste Licht gerückt hatte.

Doch die unwiderstehliche Logik und Macht der Thatsachen, die unaus¬
haltbare Entwicklung aller ins Bereich der Technik gehörigen Wissenschaften,
die (freilich von den Juristen bis aufs äußerste bekämpfte) Notwendigkeit, Bau¬
meistern und Ingenieuren maßgebende und verantwortliche Stellungen anzuver¬
trauen, das rühmliche Drängen der Techniker selbst nach einer Vertiefung der
Fachbildung wie der allgemein wissenschaftlichen Bildung hat in den letzten
Jahrzehnten hier Wandel geschafft, hat aus den zwitterhaften höhern Ge¬
werbeschulen und polytechnischen Schule" wirkliche technische Hochschulen ent¬
stehen lassen, die sich nicht nur in Bezug auf akademische Lehr- und Lernfreiheit
und äußere Organisation mit unsern Universitäten in Einklang gesetzt baben,
sondern deren Studenten des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder Real¬
gymnasiums bedürfen und in denen sich ein wissenschaftliches Leben entfaltet
hat', das den Vergleich mit dem wissenschaftlichen Leben der ältern Hoch¬
schulen nicht zu scheuen braucht. Trotz dieser günstigen Wendung, die für
einzelne Polytechniker erst in den achtziger Jahren eingetreten ist, hat die
lange Dauer des angedeuteten Zustandes und der Grundirrtuin, der die
höchsten technischem Bildungsstätten zwischen zwei Stühle setzte, eine ganze
Reihe sehr unerfreulicher und zum Teil bis auf deu heutigen Tag dauernder
Nachwirkungen gehabt.

Es war wesentlich eine Folge der handwerksmäßigen Auffassung der
Technik, die man zwei Menschenalter hindurch hegte und begünstigte, daß an
keiner deutschen Universität der Gedanken erwachte, durch Gründung einer
neuen Fakultät, oder nach Befinden zweier Fakultäten, dein Bedürfnis nach
wissenschaftlichen Technikern genüge zu thun und so die Einheit der höchsten
Bildung zu wahren. Wenn man in Anschlag bringt, was die Universitäten
an grundlegenden und allgemein bildenden Wissenschaften (die auch die neuen
technischen Hochschulen nicht entbehren konnten) von vornherein besaßen und
mitteilen konnten, wenn man sich alle Vorteile vergegenwärtigt, die es
gehabt Hütte, wenn die aufblühenden neue" Wissenschaften dein Kreise der
alten einverleibt worden wären, wenn man die Einwirkungen der alten Tradi¬
tionen und des alten Universitätsgeistes auf die Jünger der neuen Fakultäten
einigermaßen zu würdigen versteht, so kann man noch heute beklagen, daß
falsche Anschauungen hüben und drüben die Möglichkeit der einen und alleinigen
Hochschule ausgeschlossen haben. Nachdem einmal die technischen Hochschulen
organisirt und der Hauptsache nach ausgestaltet sind, wird man freilich nicht
auf den Gedanken der Einheit zurückkommen. Seiner Zeit wäre es für unsre
alten Universitäten nicht schwerer gewesen, sich die wissenschaftliche Technik
an- und einzugliedern, als ein halbes Jahrtausend früher die Medizin.

Doch dies nebenbei. Bei den Nachwirkungen, die die Zwitternatnr der


Die technischen Hochschulen

großen eidgenössischen Polytechnikums in Zürich die ganze Dürftigkeit der
seither geltenden Behelfe ins hellste Licht gerückt hatte.

Doch die unwiderstehliche Logik und Macht der Thatsachen, die unaus¬
haltbare Entwicklung aller ins Bereich der Technik gehörigen Wissenschaften,
die (freilich von den Juristen bis aufs äußerste bekämpfte) Notwendigkeit, Bau¬
meistern und Ingenieuren maßgebende und verantwortliche Stellungen anzuver¬
trauen, das rühmliche Drängen der Techniker selbst nach einer Vertiefung der
Fachbildung wie der allgemein wissenschaftlichen Bildung hat in den letzten
Jahrzehnten hier Wandel geschafft, hat aus den zwitterhaften höhern Ge¬
werbeschulen und polytechnischen Schule» wirkliche technische Hochschulen ent¬
stehen lassen, die sich nicht nur in Bezug auf akademische Lehr- und Lernfreiheit
und äußere Organisation mit unsern Universitäten in Einklang gesetzt baben,
sondern deren Studenten des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder Real¬
gymnasiums bedürfen und in denen sich ein wissenschaftliches Leben entfaltet
hat', das den Vergleich mit dem wissenschaftlichen Leben der ältern Hoch¬
schulen nicht zu scheuen braucht. Trotz dieser günstigen Wendung, die für
einzelne Polytechniker erst in den achtziger Jahren eingetreten ist, hat die
lange Dauer des angedeuteten Zustandes und der Grundirrtuin, der die
höchsten technischem Bildungsstätten zwischen zwei Stühle setzte, eine ganze
Reihe sehr unerfreulicher und zum Teil bis auf deu heutigen Tag dauernder
Nachwirkungen gehabt.

Es war wesentlich eine Folge der handwerksmäßigen Auffassung der
Technik, die man zwei Menschenalter hindurch hegte und begünstigte, daß an
keiner deutschen Universität der Gedanken erwachte, durch Gründung einer
neuen Fakultät, oder nach Befinden zweier Fakultäten, dein Bedürfnis nach
wissenschaftlichen Technikern genüge zu thun und so die Einheit der höchsten
Bildung zu wahren. Wenn man in Anschlag bringt, was die Universitäten
an grundlegenden und allgemein bildenden Wissenschaften (die auch die neuen
technischen Hochschulen nicht entbehren konnten) von vornherein besaßen und
mitteilen konnten, wenn man sich alle Vorteile vergegenwärtigt, die es
gehabt Hütte, wenn die aufblühenden neue« Wissenschaften dein Kreise der
alten einverleibt worden wären, wenn man die Einwirkungen der alten Tradi¬
tionen und des alten Universitätsgeistes auf die Jünger der neuen Fakultäten
einigermaßen zu würdigen versteht, so kann man noch heute beklagen, daß
falsche Anschauungen hüben und drüben die Möglichkeit der einen und alleinigen
Hochschule ausgeschlossen haben. Nachdem einmal die technischen Hochschulen
organisirt und der Hauptsache nach ausgestaltet sind, wird man freilich nicht
auf den Gedanken der Einheit zurückkommen. Seiner Zeit wäre es für unsre
alten Universitäten nicht schwerer gewesen, sich die wissenschaftliche Technik
an- und einzugliedern, als ein halbes Jahrtausend früher die Medizin.

Doch dies nebenbei. Bei den Nachwirkungen, die die Zwitternatnr der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211602"/>
          <fw type="header" place="top"> Die technischen Hochschulen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1298" prev="#ID_1297"> großen eidgenössischen Polytechnikums in Zürich die ganze Dürftigkeit der<lb/>
seither geltenden Behelfe ins hellste Licht gerückt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1299"> Doch die unwiderstehliche Logik und Macht der Thatsachen, die unaus¬<lb/>
haltbare Entwicklung aller ins Bereich der Technik gehörigen Wissenschaften,<lb/>
die (freilich von den Juristen bis aufs äußerste bekämpfte) Notwendigkeit, Bau¬<lb/>
meistern und Ingenieuren maßgebende und verantwortliche Stellungen anzuver¬<lb/>
trauen, das rühmliche Drängen der Techniker selbst nach einer Vertiefung der<lb/>
Fachbildung wie der allgemein wissenschaftlichen Bildung hat in den letzten<lb/>
Jahrzehnten hier Wandel geschafft, hat aus den zwitterhaften höhern Ge¬<lb/>
werbeschulen und polytechnischen Schule» wirkliche technische Hochschulen ent¬<lb/>
stehen lassen, die sich nicht nur in Bezug auf akademische Lehr- und Lernfreiheit<lb/>
und äußere Organisation mit unsern Universitäten in Einklang gesetzt baben,<lb/>
sondern deren Studenten des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder Real¬<lb/>
gymnasiums bedürfen und in denen sich ein wissenschaftliches Leben entfaltet<lb/>
hat', das den Vergleich mit dem wissenschaftlichen Leben der ältern Hoch¬<lb/>
schulen nicht zu scheuen braucht. Trotz dieser günstigen Wendung, die für<lb/>
einzelne Polytechniker erst in den achtziger Jahren eingetreten ist, hat die<lb/>
lange Dauer des angedeuteten Zustandes und der Grundirrtuin, der die<lb/>
höchsten technischem Bildungsstätten zwischen zwei Stühle setzte, eine ganze<lb/>
Reihe sehr unerfreulicher und zum Teil bis auf deu heutigen Tag dauernder<lb/>
Nachwirkungen gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300"> Es war wesentlich eine Folge der handwerksmäßigen Auffassung der<lb/>
Technik, die man zwei Menschenalter hindurch hegte und begünstigte, daß an<lb/>
keiner deutschen Universität der Gedanken erwachte, durch Gründung einer<lb/>
neuen Fakultät, oder nach Befinden zweier Fakultäten, dein Bedürfnis nach<lb/>
wissenschaftlichen Technikern genüge zu thun und so die Einheit der höchsten<lb/>
Bildung zu wahren. Wenn man in Anschlag bringt, was die Universitäten<lb/>
an grundlegenden und allgemein bildenden Wissenschaften (die auch die neuen<lb/>
technischen Hochschulen nicht entbehren konnten) von vornherein besaßen und<lb/>
mitteilen konnten, wenn man sich alle Vorteile vergegenwärtigt, die es<lb/>
gehabt Hütte, wenn die aufblühenden neue« Wissenschaften dein Kreise der<lb/>
alten einverleibt worden wären, wenn man die Einwirkungen der alten Tradi¬<lb/>
tionen und des alten Universitätsgeistes auf die Jünger der neuen Fakultäten<lb/>
einigermaßen zu würdigen versteht, so kann man noch heute beklagen, daß<lb/>
falsche Anschauungen hüben und drüben die Möglichkeit der einen und alleinigen<lb/>
Hochschule ausgeschlossen haben. Nachdem einmal die technischen Hochschulen<lb/>
organisirt und der Hauptsache nach ausgestaltet sind, wird man freilich nicht<lb/>
auf den Gedanken der Einheit zurückkommen. Seiner Zeit wäre es für unsre<lb/>
alten Universitäten nicht schwerer gewesen, sich die wissenschaftliche Technik<lb/>
an- und einzugliedern, als ein halbes Jahrtausend früher die Medizin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1301" next="#ID_1302"> Doch dies nebenbei.  Bei den Nachwirkungen, die die Zwitternatnr der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] Die technischen Hochschulen großen eidgenössischen Polytechnikums in Zürich die ganze Dürftigkeit der seither geltenden Behelfe ins hellste Licht gerückt hatte. Doch die unwiderstehliche Logik und Macht der Thatsachen, die unaus¬ haltbare Entwicklung aller ins Bereich der Technik gehörigen Wissenschaften, die (freilich von den Juristen bis aufs äußerste bekämpfte) Notwendigkeit, Bau¬ meistern und Ingenieuren maßgebende und verantwortliche Stellungen anzuver¬ trauen, das rühmliche Drängen der Techniker selbst nach einer Vertiefung der Fachbildung wie der allgemein wissenschaftlichen Bildung hat in den letzten Jahrzehnten hier Wandel geschafft, hat aus den zwitterhaften höhern Ge¬ werbeschulen und polytechnischen Schule» wirkliche technische Hochschulen ent¬ stehen lassen, die sich nicht nur in Bezug auf akademische Lehr- und Lernfreiheit und äußere Organisation mit unsern Universitäten in Einklang gesetzt baben, sondern deren Studenten des Reifezeugnisses eines Gymnasiums oder Real¬ gymnasiums bedürfen und in denen sich ein wissenschaftliches Leben entfaltet hat', das den Vergleich mit dem wissenschaftlichen Leben der ältern Hoch¬ schulen nicht zu scheuen braucht. Trotz dieser günstigen Wendung, die für einzelne Polytechniker erst in den achtziger Jahren eingetreten ist, hat die lange Dauer des angedeuteten Zustandes und der Grundirrtuin, der die höchsten technischem Bildungsstätten zwischen zwei Stühle setzte, eine ganze Reihe sehr unerfreulicher und zum Teil bis auf deu heutigen Tag dauernder Nachwirkungen gehabt. Es war wesentlich eine Folge der handwerksmäßigen Auffassung der Technik, die man zwei Menschenalter hindurch hegte und begünstigte, daß an keiner deutschen Universität der Gedanken erwachte, durch Gründung einer neuen Fakultät, oder nach Befinden zweier Fakultäten, dein Bedürfnis nach wissenschaftlichen Technikern genüge zu thun und so die Einheit der höchsten Bildung zu wahren. Wenn man in Anschlag bringt, was die Universitäten an grundlegenden und allgemein bildenden Wissenschaften (die auch die neuen technischen Hochschulen nicht entbehren konnten) von vornherein besaßen und mitteilen konnten, wenn man sich alle Vorteile vergegenwärtigt, die es gehabt Hütte, wenn die aufblühenden neue« Wissenschaften dein Kreise der alten einverleibt worden wären, wenn man die Einwirkungen der alten Tradi¬ tionen und des alten Universitätsgeistes auf die Jünger der neuen Fakultäten einigermaßen zu würdigen versteht, so kann man noch heute beklagen, daß falsche Anschauungen hüben und drüben die Möglichkeit der einen und alleinigen Hochschule ausgeschlossen haben. Nachdem einmal die technischen Hochschulen organisirt und der Hauptsache nach ausgestaltet sind, wird man freilich nicht auf den Gedanken der Einheit zurückkommen. Seiner Zeit wäre es für unsre alten Universitäten nicht schwerer gewesen, sich die wissenschaftliche Technik an- und einzugliedern, als ein halbes Jahrtausend früher die Medizin. Doch dies nebenbei. Bei den Nachwirkungen, die die Zwitternatnr der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/434>, abgerufen am 23.07.2024.