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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

ständen besser. Ich widersprach nicht, denn wir hatten nette Onkel: einen ganz
jungen, lustigen besonders, der noch Student war; aber mir lagen die Tanten
doch am Herzen, und ich fragte Hinrich, ob er etwas von den erwarteten
gehört hätte, worauf der Kutscher mit ernsthaftem Gesicht bemerkte, daß er
die Fräulein vor dreißig Jahren auch schon einmal gesehen habe.

Da waren sie Jungseins, setzte er hinzu, indem er mit der Peitsche eine
Fliege von Hermanns Halse fortschob; abers in dreißig Jahrens kann sich
ümmer ein büschen verändern!

Das war gewiß möglich, und so konnten wir uns jetzt den gewagtesten
Vermutungen hingeben, bis uns der scharfe Ostwind noch herber um die Ohren
pfiff und der Fährpächter uns vom Kutschbock in seine Arme springen ließ.

Sie kreuzen all lange, bemerkte er, eine hat ein blauen und eine ein
grünen Sleier, und delischen dünn sind sie auch!

Tann schraubte er sein Fernrohr zusammen, durch das er auf die sich
wild überstürzende See geblickt hatte, und wir liefen auf die Brücke, um das
Boot zu beobachten, das jetzt anscheinend still zwischen den hohen Wellen lag.

Unser Sund ist bis zum heutigen Tage ein unberechenbarer Geselle ge¬
blieben. Bei heftigem Sturme, der, nebenbei bemerkt, selten eine Richtung
beibehält und oft aller Viertelstunden umspringt, ist es gar kein Genuß auf
den grüngrauer Wellen der Ostsee im Segelboote zu tanzen. Die eine Strö¬
mung schleudert das Fahrzeug hierhin, die andre dorthin, und es gehört die
Kaltblütigkeit eines gewiegten Schiffers dazu, sein schweres Boot glatt durch
die Brandung zu führen. Aber die Insassen des Bootes fühlen sich nicht
immer wohl dabei.

Ich glaub, daß die Daumens fix seekrank sind! meinte der Fährpächter,
der neben uns stand, und wir nickten bedauernd. Mit Seekrankheit hatten wir
immer Mitleid.

Jürgen aber hatte plötzlich einen ganz neuen Gedanken. Wird man eher
seekrank, wenn man unverheiratet ist, oder eher, wenn man einen Mann hat?
fragte er.

Der Gefragte zog sich den Südwester etwas mehr über die Ohren.
Da weiß ich nix genaues von zu sagen, erwiderte er dann bedächtig.
Was mein Swägerin ihr Soester is, die mit ihr Mann nach Schina führt,
die is in ein Teifun, was ein schinesischen Sturm is, gesund wie ein Stint
geblieben, wogegen ihr Mann und der Steuermann und die Mannschaft reine¬
weg elendig gewesen sind. Sie hat mich das in ein Brief geschrieben. Und
wenn sich ein verheirateten Mann erstmal ans den Rücken legt, denn muß es
all stimm sein! Nee, mit'n Ehestand hat die Seekrankheit ganz und garnix zu
thun! Na, da kommen sie ja -- nun helft man ein büschen bei die Packenüllens,
Kinder!

Mit den Packenüllen, unter denen unser Freund alles Gepäck verstand,


Aus dänischer Zeit

ständen besser. Ich widersprach nicht, denn wir hatten nette Onkel: einen ganz
jungen, lustigen besonders, der noch Student war; aber mir lagen die Tanten
doch am Herzen, und ich fragte Hinrich, ob er etwas von den erwarteten
gehört hätte, worauf der Kutscher mit ernsthaftem Gesicht bemerkte, daß er
die Fräulein vor dreißig Jahren auch schon einmal gesehen habe.

Da waren sie Jungseins, setzte er hinzu, indem er mit der Peitsche eine
Fliege von Hermanns Halse fortschob; abers in dreißig Jahrens kann sich
ümmer ein büschen verändern!

Das war gewiß möglich, und so konnten wir uns jetzt den gewagtesten
Vermutungen hingeben, bis uns der scharfe Ostwind noch herber um die Ohren
pfiff und der Fährpächter uns vom Kutschbock in seine Arme springen ließ.

Sie kreuzen all lange, bemerkte er, eine hat ein blauen und eine ein
grünen Sleier, und delischen dünn sind sie auch!

Tann schraubte er sein Fernrohr zusammen, durch das er auf die sich
wild überstürzende See geblickt hatte, und wir liefen auf die Brücke, um das
Boot zu beobachten, das jetzt anscheinend still zwischen den hohen Wellen lag.

Unser Sund ist bis zum heutigen Tage ein unberechenbarer Geselle ge¬
blieben. Bei heftigem Sturme, der, nebenbei bemerkt, selten eine Richtung
beibehält und oft aller Viertelstunden umspringt, ist es gar kein Genuß auf
den grüngrauer Wellen der Ostsee im Segelboote zu tanzen. Die eine Strö¬
mung schleudert das Fahrzeug hierhin, die andre dorthin, und es gehört die
Kaltblütigkeit eines gewiegten Schiffers dazu, sein schweres Boot glatt durch
die Brandung zu führen. Aber die Insassen des Bootes fühlen sich nicht
immer wohl dabei.

Ich glaub, daß die Daumens fix seekrank sind! meinte der Fährpächter,
der neben uns stand, und wir nickten bedauernd. Mit Seekrankheit hatten wir
immer Mitleid.

Jürgen aber hatte plötzlich einen ganz neuen Gedanken. Wird man eher
seekrank, wenn man unverheiratet ist, oder eher, wenn man einen Mann hat?
fragte er.

Der Gefragte zog sich den Südwester etwas mehr über die Ohren.
Da weiß ich nix genaues von zu sagen, erwiderte er dann bedächtig.
Was mein Swägerin ihr Soester is, die mit ihr Mann nach Schina führt,
die is in ein Teifun, was ein schinesischen Sturm is, gesund wie ein Stint
geblieben, wogegen ihr Mann und der Steuermann und die Mannschaft reine¬
weg elendig gewesen sind. Sie hat mich das in ein Brief geschrieben. Und
wenn sich ein verheirateten Mann erstmal ans den Rücken legt, denn muß es
all stimm sein! Nee, mit'n Ehestand hat die Seekrankheit ganz und garnix zu
thun! Na, da kommen sie ja — nun helft man ein büschen bei die Packenüllens,
Kinder!

Mit den Packenüllen, unter denen unser Freund alles Gepäck verstand,


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[0406] Aus dänischer Zeit ständen besser. Ich widersprach nicht, denn wir hatten nette Onkel: einen ganz jungen, lustigen besonders, der noch Student war; aber mir lagen die Tanten doch am Herzen, und ich fragte Hinrich, ob er etwas von den erwarteten gehört hätte, worauf der Kutscher mit ernsthaftem Gesicht bemerkte, daß er die Fräulein vor dreißig Jahren auch schon einmal gesehen habe. Da waren sie Jungseins, setzte er hinzu, indem er mit der Peitsche eine Fliege von Hermanns Halse fortschob; abers in dreißig Jahrens kann sich ümmer ein büschen verändern! Das war gewiß möglich, und so konnten wir uns jetzt den gewagtesten Vermutungen hingeben, bis uns der scharfe Ostwind noch herber um die Ohren pfiff und der Fährpächter uns vom Kutschbock in seine Arme springen ließ. Sie kreuzen all lange, bemerkte er, eine hat ein blauen und eine ein grünen Sleier, und delischen dünn sind sie auch! Tann schraubte er sein Fernrohr zusammen, durch das er auf die sich wild überstürzende See geblickt hatte, und wir liefen auf die Brücke, um das Boot zu beobachten, das jetzt anscheinend still zwischen den hohen Wellen lag. Unser Sund ist bis zum heutigen Tage ein unberechenbarer Geselle ge¬ blieben. Bei heftigem Sturme, der, nebenbei bemerkt, selten eine Richtung beibehält und oft aller Viertelstunden umspringt, ist es gar kein Genuß auf den grüngrauer Wellen der Ostsee im Segelboote zu tanzen. Die eine Strö¬ mung schleudert das Fahrzeug hierhin, die andre dorthin, und es gehört die Kaltblütigkeit eines gewiegten Schiffers dazu, sein schweres Boot glatt durch die Brandung zu führen. Aber die Insassen des Bootes fühlen sich nicht immer wohl dabei. Ich glaub, daß die Daumens fix seekrank sind! meinte der Fährpächter, der neben uns stand, und wir nickten bedauernd. Mit Seekrankheit hatten wir immer Mitleid. Jürgen aber hatte plötzlich einen ganz neuen Gedanken. Wird man eher seekrank, wenn man unverheiratet ist, oder eher, wenn man einen Mann hat? fragte er. Der Gefragte zog sich den Südwester etwas mehr über die Ohren. Da weiß ich nix genaues von zu sagen, erwiderte er dann bedächtig. Was mein Swägerin ihr Soester is, die mit ihr Mann nach Schina führt, die is in ein Teifun, was ein schinesischen Sturm is, gesund wie ein Stint geblieben, wogegen ihr Mann und der Steuermann und die Mannschaft reine¬ weg elendig gewesen sind. Sie hat mich das in ein Brief geschrieben. Und wenn sich ein verheirateten Mann erstmal ans den Rücken legt, denn muß es all stimm sein! Nee, mit'n Ehestand hat die Seekrankheit ganz und garnix zu thun! Na, da kommen sie ja — nun helft man ein büschen bei die Packenüllens, Kinder! Mit den Packenüllen, unter denen unser Freund alles Gepäck verstand,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/406>, abgerufen am 23.07.2024.