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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Nach den Tanten, die die glücklichen Besitzer dieses Schatzes waren, fragten
wir übrigens wenig. Nicht weil es uns an allgemeiner Menschenliebe ge¬
fehlt hätte, sondern weil wir nach unsrer Ansicht genug Tanten hatten. Wir
hatten, wie alle Sterbliche:?, verschiedne Arten von Tanten. Einige waren sehr
lieb, sehr gut und liebenswürdig; andre mäkelten beständig an uns herum
und fanden uns unliebenswürdig, unartig und unbescheiden. Es gab gewisse
Tanten, die niemals mit uns zufrieden waren, die uns beständig fühlen ließen,
wie weit wir uns alle Tage vom Wege der Tugend entfernten, und die uns
von unheimlich artigen Kindern lange Geschichter erzählten, deren Sinn darin
bestand, daß wir mit diesen Tugendbolden auch nicht die entfernteste Ähnlich¬
keit besäßen. Wir empfanden nicht leicht Müdigkeit; diese Tanten aber
wirkten ermüdend auf unsre Gemüter. Wir waren ihnen nicht gerade böse,
sie mochten ja Recht haben mit ihrer schlechten Meinung von uns; aber
wir liebten sie auch nicht. Kinder sollen aber nur lieben, und deshalb war
ihr Einfluß nicht gut. Noch jetzt empfinde ich nur Kälte, wenn ich zurück¬
denke an jene liebeleeren, tadelsüchtigen Tanten, und wie warm durchströmt
mich dankbare Liebe, wenn ich jener Tante gedenke, die mich mit liebender,
weicher Hand einführte in die Geheimnisse des Alphabets, die alles Gute in
mir sorgsam hegte, der keine Unart verschwiegen wurde, und die niemals
Moralpredigten hielt. Dafür wird sie auch wieder geliebt werden bis in die
Ewigkeit. Fremden Tanten standen wir immer mit einem gewissen Mißtrauen
gegenüber. Jürgen meinte allerdings, die Tanten, die Fräulein hießen, seien
meistens die nettesten. Meinen Erfahrungen entsprach das nicht ganz. So
gingen unsre Ansichten über diesen Punkt aus einander, und die Frage, ob eine
unverheiratete Tante einer verheirateten vorzuziehen sei, ist bis heute von uns
nicht gelöst worden.

Als wir Tante Julie und Tante Auguste vom Sunde abholen sollten,
fiel uns plötzlich unterwegs ein, daß wir gar nicht wüßten, ob sie verheiratet
wären. Es waren die Koffertanten, die erwartet wurden, und wir hatten uns
auf die endliche Eröffnung des geheimnisvollen Gegenstandes so gefreut, daß
uns die Frage, wer Tante Julie und Auguste eigentlich wären, ziemlich gleich-
giltig schien. Jetzt aber, wo wir bei Hinrich auf dem Bock saßen, während
die Glaskutsche einsam prächtig hinter uns herrollte, empfanden wir doch das
Bedürfnis, etwas von den Damen zu erfahren, mit denen wir nachher artig
im Wagen fitzen sollten. Ich hatte kürzlich eine etwas erregte Auseinandersetzung
mit der unverheirateten Tante gehabt, die das Hauswesen unsers Großvaters
leitete, und daher ging mein Wunsch dahin, daß sich die neuen Tanten im
Stande der Ehe befinden möchten. Jürgen bemerkte aber init dem ihm eignen
Widerspruchsgeist, daß ihm die neuen Tanten überhaupt gleichgiltig wären.
Er könnte keine Tanten mehr leiden, möchten sie nun verheiratet oder unver¬
heiratet sein, die meisten taugten doch nichts. Onkel wären unter allen Um-


Aus dänischer Zeit

Nach den Tanten, die die glücklichen Besitzer dieses Schatzes waren, fragten
wir übrigens wenig. Nicht weil es uns an allgemeiner Menschenliebe ge¬
fehlt hätte, sondern weil wir nach unsrer Ansicht genug Tanten hatten. Wir
hatten, wie alle Sterbliche:?, verschiedne Arten von Tanten. Einige waren sehr
lieb, sehr gut und liebenswürdig; andre mäkelten beständig an uns herum
und fanden uns unliebenswürdig, unartig und unbescheiden. Es gab gewisse
Tanten, die niemals mit uns zufrieden waren, die uns beständig fühlen ließen,
wie weit wir uns alle Tage vom Wege der Tugend entfernten, und die uns
von unheimlich artigen Kindern lange Geschichter erzählten, deren Sinn darin
bestand, daß wir mit diesen Tugendbolden auch nicht die entfernteste Ähnlich¬
keit besäßen. Wir empfanden nicht leicht Müdigkeit; diese Tanten aber
wirkten ermüdend auf unsre Gemüter. Wir waren ihnen nicht gerade böse,
sie mochten ja Recht haben mit ihrer schlechten Meinung von uns; aber
wir liebten sie auch nicht. Kinder sollen aber nur lieben, und deshalb war
ihr Einfluß nicht gut. Noch jetzt empfinde ich nur Kälte, wenn ich zurück¬
denke an jene liebeleeren, tadelsüchtigen Tanten, und wie warm durchströmt
mich dankbare Liebe, wenn ich jener Tante gedenke, die mich mit liebender,
weicher Hand einführte in die Geheimnisse des Alphabets, die alles Gute in
mir sorgsam hegte, der keine Unart verschwiegen wurde, und die niemals
Moralpredigten hielt. Dafür wird sie auch wieder geliebt werden bis in die
Ewigkeit. Fremden Tanten standen wir immer mit einem gewissen Mißtrauen
gegenüber. Jürgen meinte allerdings, die Tanten, die Fräulein hießen, seien
meistens die nettesten. Meinen Erfahrungen entsprach das nicht ganz. So
gingen unsre Ansichten über diesen Punkt aus einander, und die Frage, ob eine
unverheiratete Tante einer verheirateten vorzuziehen sei, ist bis heute von uns
nicht gelöst worden.

Als wir Tante Julie und Tante Auguste vom Sunde abholen sollten,
fiel uns plötzlich unterwegs ein, daß wir gar nicht wüßten, ob sie verheiratet
wären. Es waren die Koffertanten, die erwartet wurden, und wir hatten uns
auf die endliche Eröffnung des geheimnisvollen Gegenstandes so gefreut, daß
uns die Frage, wer Tante Julie und Auguste eigentlich wären, ziemlich gleich-
giltig schien. Jetzt aber, wo wir bei Hinrich auf dem Bock saßen, während
die Glaskutsche einsam prächtig hinter uns herrollte, empfanden wir doch das
Bedürfnis, etwas von den Damen zu erfahren, mit denen wir nachher artig
im Wagen fitzen sollten. Ich hatte kürzlich eine etwas erregte Auseinandersetzung
mit der unverheirateten Tante gehabt, die das Hauswesen unsers Großvaters
leitete, und daher ging mein Wunsch dahin, daß sich die neuen Tanten im
Stande der Ehe befinden möchten. Jürgen bemerkte aber init dem ihm eignen
Widerspruchsgeist, daß ihm die neuen Tanten überhaupt gleichgiltig wären.
Er könnte keine Tanten mehr leiden, möchten sie nun verheiratet oder unver¬
heiratet sein, die meisten taugten doch nichts. Onkel wären unter allen Um-


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[0405] Aus dänischer Zeit Nach den Tanten, die die glücklichen Besitzer dieses Schatzes waren, fragten wir übrigens wenig. Nicht weil es uns an allgemeiner Menschenliebe ge¬ fehlt hätte, sondern weil wir nach unsrer Ansicht genug Tanten hatten. Wir hatten, wie alle Sterbliche:?, verschiedne Arten von Tanten. Einige waren sehr lieb, sehr gut und liebenswürdig; andre mäkelten beständig an uns herum und fanden uns unliebenswürdig, unartig und unbescheiden. Es gab gewisse Tanten, die niemals mit uns zufrieden waren, die uns beständig fühlen ließen, wie weit wir uns alle Tage vom Wege der Tugend entfernten, und die uns von unheimlich artigen Kindern lange Geschichter erzählten, deren Sinn darin bestand, daß wir mit diesen Tugendbolden auch nicht die entfernteste Ähnlich¬ keit besäßen. Wir empfanden nicht leicht Müdigkeit; diese Tanten aber wirkten ermüdend auf unsre Gemüter. Wir waren ihnen nicht gerade böse, sie mochten ja Recht haben mit ihrer schlechten Meinung von uns; aber wir liebten sie auch nicht. Kinder sollen aber nur lieben, und deshalb war ihr Einfluß nicht gut. Noch jetzt empfinde ich nur Kälte, wenn ich zurück¬ denke an jene liebeleeren, tadelsüchtigen Tanten, und wie warm durchströmt mich dankbare Liebe, wenn ich jener Tante gedenke, die mich mit liebender, weicher Hand einführte in die Geheimnisse des Alphabets, die alles Gute in mir sorgsam hegte, der keine Unart verschwiegen wurde, und die niemals Moralpredigten hielt. Dafür wird sie auch wieder geliebt werden bis in die Ewigkeit. Fremden Tanten standen wir immer mit einem gewissen Mißtrauen gegenüber. Jürgen meinte allerdings, die Tanten, die Fräulein hießen, seien meistens die nettesten. Meinen Erfahrungen entsprach das nicht ganz. So gingen unsre Ansichten über diesen Punkt aus einander, und die Frage, ob eine unverheiratete Tante einer verheirateten vorzuziehen sei, ist bis heute von uns nicht gelöst worden. Als wir Tante Julie und Tante Auguste vom Sunde abholen sollten, fiel uns plötzlich unterwegs ein, daß wir gar nicht wüßten, ob sie verheiratet wären. Es waren die Koffertanten, die erwartet wurden, und wir hatten uns auf die endliche Eröffnung des geheimnisvollen Gegenstandes so gefreut, daß uns die Frage, wer Tante Julie und Auguste eigentlich wären, ziemlich gleich- giltig schien. Jetzt aber, wo wir bei Hinrich auf dem Bock saßen, während die Glaskutsche einsam prächtig hinter uns herrollte, empfanden wir doch das Bedürfnis, etwas von den Damen zu erfahren, mit denen wir nachher artig im Wagen fitzen sollten. Ich hatte kürzlich eine etwas erregte Auseinandersetzung mit der unverheirateten Tante gehabt, die das Hauswesen unsers Großvaters leitete, und daher ging mein Wunsch dahin, daß sich die neuen Tanten im Stande der Ehe befinden möchten. Jürgen bemerkte aber init dem ihm eignen Widerspruchsgeist, daß ihm die neuen Tanten überhaupt gleichgiltig wären. Er könnte keine Tanten mehr leiden, möchten sie nun verheiratet oder unver¬ heiratet sein, die meisten taugten doch nichts. Onkel wären unter allen Um-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/405>, abgerufen am 23.07.2024.