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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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daß mein ihm seine Behauptung der Notwehr nicht glauben werde, und ist des¬
halb entschlossen, vor Gericht die That, die er dem Verteidiger gegenüber zu¬
gestanden hat, zu leugnen, er fragt den Verteidiger, ob er nicht am besten
daran thäte, jede Antwort auf die Anklage zu verweigern. Der Verteidiger
weist ihn zunächst auf das Gefährliche eines solchen Verhaltens, weist ihn
namentlich darauf hin, daß das Gericht, wenn es die geleugnete Thäterschaft
für erwiesen halte, um so weniger geneigt sein werde, an eine Notwehr zu
glauben, deren Behauptung ueben dem Bestreiter der That in den meisten
Fällen überhaupt nicht möglich sein wird. Der Angeklagte erwidert, er sei
sich der Gefahr wohl bewußt, aber für noch größer halte er die Gefahr, wenn
er die That einräume; er kenne den Vorsitzenden des Schwurgerichts und er
kenne den Staatsanwalt, beide hielten es für ein Unglück oder eine Schande,
wenn ein Angeklagter freigesprochen werde, und wenn er ein halbes Geständnis
ablege, so sei er seiner Verurteilung vollständig sicher, denn dem vereinigten
Einfluß des voreingenommenen Vorsitzenden und des leidenschaftlichen Staats¬
anwalts könnten die Geschworenen nicht widerstehen. Der Verteidiger kann
die Befürchtung des Angeklagten nicht für grundlos erklären, aber er meint,
der Angeklagte müsse es doch darauf ankommen lassen und die volle Wahrheit
sagen. Der Angeklagte weigert sich. Jetzt erklärt ihm der Verteidiger, unter
diesen Umständen könne er die Verteidigung nicht führen. Der Angeklagte
bestürmt ihn, ihm zur Seite zu bleiben: es würde den schlimmsten Eindruck
machen, wenn es bekannt würde, daß der angesehenste Anwalt der Stadt die
Verteidigung abgelehnt oder niedergelegt habe. Der Anwalt läßt sich erweichen;
null der Angeklagte das gefährliche Spiel wagen, so ist es allerdings am
besten, wen" er auf die Frage, ob er auf die Anklage etwas erwidern wolle,
mit einem Nein antwortet; er, der Verteidiger, greift dann, von der Notwehr
und darum von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, den vom Staatsan¬
walt unternommenen Beweis der Thäterschaft mit allen Mitteln feines Scharf¬
sinns und seiner Beredtsamkeit an, und es gelingt ihm ein "Nichtschuldig" der
Geschwornen zu erzielen. Später kommt an den Tag, daß der Freigesprochne
wirklich den Getöteten erstochen, aber auch, daß er in Notwehr gehandelt hat;
gegen den Verteidiger wird das Disziplinarverfahren eingeleitet, er kann nicht
leugnen, dem damaligen Angeklagten den Rat zur Verweigerung der Aussage
gegeben zu haben, er beruft sich aber auf die notorische Voreingenommenheit
des damaligen Vorsitzenden gegen jeden Angeklagten und macht geltend, daß
er mit vollem Recht ans ein "Nichtschuldig" platirt habe, da er die, wie jetzt
erwiesen sei, wohlbegründete Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten,
d. h. davon, daß er in Notwehr gehandelt, gehabt habe.

Vor dem Richterstuhl einer strengen Moral kann diese auf den Satz
"Der Zweck heiligt das Mittel" gebaute Verteidigung nicht bestehen; der An¬
walt hatte gefehlt, weniger durch den dem Angeklagten gegebenen Rat, als dadurch


daß mein ihm seine Behauptung der Notwehr nicht glauben werde, und ist des¬
halb entschlossen, vor Gericht die That, die er dem Verteidiger gegenüber zu¬
gestanden hat, zu leugnen, er fragt den Verteidiger, ob er nicht am besten
daran thäte, jede Antwort auf die Anklage zu verweigern. Der Verteidiger
weist ihn zunächst auf das Gefährliche eines solchen Verhaltens, weist ihn
namentlich darauf hin, daß das Gericht, wenn es die geleugnete Thäterschaft
für erwiesen halte, um so weniger geneigt sein werde, an eine Notwehr zu
glauben, deren Behauptung ueben dem Bestreiter der That in den meisten
Fällen überhaupt nicht möglich sein wird. Der Angeklagte erwidert, er sei
sich der Gefahr wohl bewußt, aber für noch größer halte er die Gefahr, wenn
er die That einräume; er kenne den Vorsitzenden des Schwurgerichts und er
kenne den Staatsanwalt, beide hielten es für ein Unglück oder eine Schande,
wenn ein Angeklagter freigesprochen werde, und wenn er ein halbes Geständnis
ablege, so sei er seiner Verurteilung vollständig sicher, denn dem vereinigten
Einfluß des voreingenommenen Vorsitzenden und des leidenschaftlichen Staats¬
anwalts könnten die Geschworenen nicht widerstehen. Der Verteidiger kann
die Befürchtung des Angeklagten nicht für grundlos erklären, aber er meint,
der Angeklagte müsse es doch darauf ankommen lassen und die volle Wahrheit
sagen. Der Angeklagte weigert sich. Jetzt erklärt ihm der Verteidiger, unter
diesen Umständen könne er die Verteidigung nicht führen. Der Angeklagte
bestürmt ihn, ihm zur Seite zu bleiben: es würde den schlimmsten Eindruck
machen, wenn es bekannt würde, daß der angesehenste Anwalt der Stadt die
Verteidigung abgelehnt oder niedergelegt habe. Der Anwalt läßt sich erweichen;
null der Angeklagte das gefährliche Spiel wagen, so ist es allerdings am
besten, wen» er auf die Frage, ob er auf die Anklage etwas erwidern wolle,
mit einem Nein antwortet; er, der Verteidiger, greift dann, von der Notwehr
und darum von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, den vom Staatsan¬
walt unternommenen Beweis der Thäterschaft mit allen Mitteln feines Scharf¬
sinns und seiner Beredtsamkeit an, und es gelingt ihm ein „Nichtschuldig" der
Geschwornen zu erzielen. Später kommt an den Tag, daß der Freigesprochne
wirklich den Getöteten erstochen, aber auch, daß er in Notwehr gehandelt hat;
gegen den Verteidiger wird das Disziplinarverfahren eingeleitet, er kann nicht
leugnen, dem damaligen Angeklagten den Rat zur Verweigerung der Aussage
gegeben zu haben, er beruft sich aber auf die notorische Voreingenommenheit
des damaligen Vorsitzenden gegen jeden Angeklagten und macht geltend, daß
er mit vollem Recht ans ein „Nichtschuldig" platirt habe, da er die, wie jetzt
erwiesen sei, wohlbegründete Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten,
d. h. davon, daß er in Notwehr gehandelt, gehabt habe.

Vor dem Richterstuhl einer strengen Moral kann diese auf den Satz
„Der Zweck heiligt das Mittel" gebaute Verteidigung nicht bestehen; der An¬
walt hatte gefehlt, weniger durch den dem Angeklagten gegebenen Rat, als dadurch


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[0388] daß mein ihm seine Behauptung der Notwehr nicht glauben werde, und ist des¬ halb entschlossen, vor Gericht die That, die er dem Verteidiger gegenüber zu¬ gestanden hat, zu leugnen, er fragt den Verteidiger, ob er nicht am besten daran thäte, jede Antwort auf die Anklage zu verweigern. Der Verteidiger weist ihn zunächst auf das Gefährliche eines solchen Verhaltens, weist ihn namentlich darauf hin, daß das Gericht, wenn es die geleugnete Thäterschaft für erwiesen halte, um so weniger geneigt sein werde, an eine Notwehr zu glauben, deren Behauptung ueben dem Bestreiter der That in den meisten Fällen überhaupt nicht möglich sein wird. Der Angeklagte erwidert, er sei sich der Gefahr wohl bewußt, aber für noch größer halte er die Gefahr, wenn er die That einräume; er kenne den Vorsitzenden des Schwurgerichts und er kenne den Staatsanwalt, beide hielten es für ein Unglück oder eine Schande, wenn ein Angeklagter freigesprochen werde, und wenn er ein halbes Geständnis ablege, so sei er seiner Verurteilung vollständig sicher, denn dem vereinigten Einfluß des voreingenommenen Vorsitzenden und des leidenschaftlichen Staats¬ anwalts könnten die Geschworenen nicht widerstehen. Der Verteidiger kann die Befürchtung des Angeklagten nicht für grundlos erklären, aber er meint, der Angeklagte müsse es doch darauf ankommen lassen und die volle Wahrheit sagen. Der Angeklagte weigert sich. Jetzt erklärt ihm der Verteidiger, unter diesen Umständen könne er die Verteidigung nicht führen. Der Angeklagte bestürmt ihn, ihm zur Seite zu bleiben: es würde den schlimmsten Eindruck machen, wenn es bekannt würde, daß der angesehenste Anwalt der Stadt die Verteidigung abgelehnt oder niedergelegt habe. Der Anwalt läßt sich erweichen; null der Angeklagte das gefährliche Spiel wagen, so ist es allerdings am besten, wen» er auf die Frage, ob er auf die Anklage etwas erwidern wolle, mit einem Nein antwortet; er, der Verteidiger, greift dann, von der Notwehr und darum von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, den vom Staatsan¬ walt unternommenen Beweis der Thäterschaft mit allen Mitteln feines Scharf¬ sinns und seiner Beredtsamkeit an, und es gelingt ihm ein „Nichtschuldig" der Geschwornen zu erzielen. Später kommt an den Tag, daß der Freigesprochne wirklich den Getöteten erstochen, aber auch, daß er in Notwehr gehandelt hat; gegen den Verteidiger wird das Disziplinarverfahren eingeleitet, er kann nicht leugnen, dem damaligen Angeklagten den Rat zur Verweigerung der Aussage gegeben zu haben, er beruft sich aber auf die notorische Voreingenommenheit des damaligen Vorsitzenden gegen jeden Angeklagten und macht geltend, daß er mit vollem Recht ans ein „Nichtschuldig" platirt habe, da er die, wie jetzt erwiesen sei, wohlbegründete Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten, d. h. davon, daß er in Notwehr gehandelt, gehabt habe. Vor dem Richterstuhl einer strengen Moral kann diese auf den Satz „Der Zweck heiligt das Mittel" gebaute Verteidigung nicht bestehen; der An¬ walt hatte gefehlt, weniger durch den dem Angeklagten gegebenen Rat, als dadurch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/388>, abgerufen am 23.07.2024.