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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen

Sommer vorigen Jahres eine Reise von Görlitz über Reichenberg nach
Trnutenau antrat, war in der Nähe von Liebenau ein Bergrutsch vor¬
gekommen, so daß das Gleis längere Zeit gesperrt war, und als ich drei
Wochen später zurückfuhr, war in Alt-Paka, einem großem Kreuzungspunkte,
hart neben dem Bahnhofsgebäude vor den Augen der dort täglich zur Stelle
befindlichen höhern Beamten ein ähnlicher Erdrutsch zu verzeichnen gewesen.
Es wird eben überall gespart. Da ist bei dein Durchstich uur gerade soviel
von dem Gebirge auf beiden Seiten weggenommen worden, daß die Züge
bequem Passiren können. Das an und für sich nicht zu feste Sandsteingefüge
lockert sich in Folge der Erschütterungen, denen es ohne Unterlaß aus größter
Nähe ausgesetzt ist. Jahrelang widersteht es, aber mit einem Male giebt
es nach.

Das wird so lange so fortgehen, bis einmal ein größeres Unglück ge¬
schehen sein wird, meinte ein Techniker, mit dem ich damals die Rückreise
zusammen machte. Ich bin, offen gestanden, nicht ängstlicher nennr und lasse
mich uicht so leicht in Schrecken versetzen. Aber angenehm berührt war
ich doch an jenem Tage, als an der böhmischen Grenze auf der Strecke der
sächsischen Staatseisenbahn die Felsmassen rechts und links weiter zurücktraten.
Und das Gefühl der Sicherheit und auch des nationalen Stolzes verließ
mich nicht, als es dann von Görlitz ans in beschleunigterem Tempo der
deutschen und preußischen Hauptstadt entgegenging. Sind auch die Spuren
noch nicht völlig vertilgt, die ihr von ihrem Gründer, dein verkrachten Eisen¬
bahnkönig anhasteten, den Vergleich mit Reichenberg-Josephstadt und Chlnmetz-
Parschnitz hält sie noch immer aus, unsre Berlin-Görlitzer Staatseisenbahu.


Lrnst Uirchberg


Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen

urch den Spruch des Ehrengerichtshofs zu Leipzig hat kürzlich
die Disziplinaruntersuchnng gegen die beiden Rechtsanwälte ihre
Erledigung gefunden, die durch die Art ihrer Verteidigung in
dem Heinzischen Prozeß eine wenig ehrenvolle Berühmtheit er¬
langt haben. Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte
ging dahin, sie hätten sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden
Pflichten dadurch schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung
der Aussage zu bestimmen versucht hätte". Von dieser Anklage wurden
die Verteidiger jedoch freigesprochen, weil sie -- so berichten die Zeitungen --
"bereit waren, die an und für sich verfängliche Natserteilung sofort zu be-


Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen

Sommer vorigen Jahres eine Reise von Görlitz über Reichenberg nach
Trnutenau antrat, war in der Nähe von Liebenau ein Bergrutsch vor¬
gekommen, so daß das Gleis längere Zeit gesperrt war, und als ich drei
Wochen später zurückfuhr, war in Alt-Paka, einem großem Kreuzungspunkte,
hart neben dem Bahnhofsgebäude vor den Augen der dort täglich zur Stelle
befindlichen höhern Beamten ein ähnlicher Erdrutsch zu verzeichnen gewesen.
Es wird eben überall gespart. Da ist bei dein Durchstich uur gerade soviel
von dem Gebirge auf beiden Seiten weggenommen worden, daß die Züge
bequem Passiren können. Das an und für sich nicht zu feste Sandsteingefüge
lockert sich in Folge der Erschütterungen, denen es ohne Unterlaß aus größter
Nähe ausgesetzt ist. Jahrelang widersteht es, aber mit einem Male giebt
es nach.

Das wird so lange so fortgehen, bis einmal ein größeres Unglück ge¬
schehen sein wird, meinte ein Techniker, mit dem ich damals die Rückreise
zusammen machte. Ich bin, offen gestanden, nicht ängstlicher nennr und lasse
mich uicht so leicht in Schrecken versetzen. Aber angenehm berührt war
ich doch an jenem Tage, als an der böhmischen Grenze auf der Strecke der
sächsischen Staatseisenbahn die Felsmassen rechts und links weiter zurücktraten.
Und das Gefühl der Sicherheit und auch des nationalen Stolzes verließ
mich nicht, als es dann von Görlitz ans in beschleunigterem Tempo der
deutschen und preußischen Hauptstadt entgegenging. Sind auch die Spuren
noch nicht völlig vertilgt, die ihr von ihrem Gründer, dein verkrachten Eisen¬
bahnkönig anhasteten, den Vergleich mit Reichenberg-Josephstadt und Chlnmetz-
Parschnitz hält sie noch immer aus, unsre Berlin-Görlitzer Staatseisenbahu.


Lrnst Uirchberg


Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen

urch den Spruch des Ehrengerichtshofs zu Leipzig hat kürzlich
die Disziplinaruntersuchnng gegen die beiden Rechtsanwälte ihre
Erledigung gefunden, die durch die Art ihrer Verteidigung in
dem Heinzischen Prozeß eine wenig ehrenvolle Berühmtheit er¬
langt haben. Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte
ging dahin, sie hätten sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden
Pflichten dadurch schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung
der Aussage zu bestimmen versucht hätte». Von dieser Anklage wurden
die Verteidiger jedoch freigesprochen, weil sie — so berichten die Zeitungen —
„bereit waren, die an und für sich verfängliche Natserteilung sofort zu be-


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[0381] Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen Sommer vorigen Jahres eine Reise von Görlitz über Reichenberg nach Trnutenau antrat, war in der Nähe von Liebenau ein Bergrutsch vor¬ gekommen, so daß das Gleis längere Zeit gesperrt war, und als ich drei Wochen später zurückfuhr, war in Alt-Paka, einem großem Kreuzungspunkte, hart neben dem Bahnhofsgebäude vor den Augen der dort täglich zur Stelle befindlichen höhern Beamten ein ähnlicher Erdrutsch zu verzeichnen gewesen. Es wird eben überall gespart. Da ist bei dein Durchstich uur gerade soviel von dem Gebirge auf beiden Seiten weggenommen worden, daß die Züge bequem Passiren können. Das an und für sich nicht zu feste Sandsteingefüge lockert sich in Folge der Erschütterungen, denen es ohne Unterlaß aus größter Nähe ausgesetzt ist. Jahrelang widersteht es, aber mit einem Male giebt es nach. Das wird so lange so fortgehen, bis einmal ein größeres Unglück ge¬ schehen sein wird, meinte ein Techniker, mit dem ich damals die Rückreise zusammen machte. Ich bin, offen gestanden, nicht ängstlicher nennr und lasse mich uicht so leicht in Schrecken versetzen. Aber angenehm berührt war ich doch an jenem Tage, als an der böhmischen Grenze auf der Strecke der sächsischen Staatseisenbahn die Felsmassen rechts und links weiter zurücktraten. Und das Gefühl der Sicherheit und auch des nationalen Stolzes verließ mich nicht, als es dann von Görlitz ans in beschleunigterem Tempo der deutschen und preußischen Hauptstadt entgegenging. Sind auch die Spuren noch nicht völlig vertilgt, die ihr von ihrem Gründer, dein verkrachten Eisen¬ bahnkönig anhasteten, den Vergleich mit Reichenberg-Josephstadt und Chlnmetz- Parschnitz hält sie noch immer aus, unsre Berlin-Görlitzer Staatseisenbahu. Lrnst Uirchberg Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen urch den Spruch des Ehrengerichtshofs zu Leipzig hat kürzlich die Disziplinaruntersuchnng gegen die beiden Rechtsanwälte ihre Erledigung gefunden, die durch die Art ihrer Verteidigung in dem Heinzischen Prozeß eine wenig ehrenvolle Berühmtheit er¬ langt haben. Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte ging dahin, sie hätten sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden Pflichten dadurch schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung der Aussage zu bestimmen versucht hätte». Von dieser Anklage wurden die Verteidiger jedoch freigesprochen, weil sie — so berichten die Zeitungen — „bereit waren, die an und für sich verfängliche Natserteilung sofort zu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/381>, abgerufen am 23.07.2024.