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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die sozialdemckratische Presse

Wäre es, den Proletariern den Segen eines kleinen Besitztums anzupreisen,
denn weiter wollen sie ja gar nichts, als ein solches. schenkt jedem Sozial¬
demokraten ein Bauerngut oder eine eigne Werkstatt, und ihr habt die Sozial¬
demokratie mit einem Schlage ans der Welt geschafft! Nicht ihnen muß man
den Segen des Besitzes schildern, sondern den Gesetzgebern, Verwaltungsbeamten
und Juristen, die mir zu oft durch ihre Thätigkeit deu verhängnisvollen Zug
der Zeit noch verstärken und dazu beitragen, die Reichen immer reicher und
die kleinen Besitzer zu besitzlosen Proletariern zu machen.

Proben aus deu Blättern, von deren Charakteristik nur etwas abgeschweift
sind, mitzuteilen, ist kaum nötig; weiß doch ohnehin jedermann, wie Dema¬
gogen reden und schreiben. Nur eine Kraftstelle wollen wir anführen, als
Warnung vor Dummheiten, wie neulich der "Kölnischen Zeitung" eine begegnet
ist. Wir meinen den berühmten Artikel, worin sie den Reichskanzler auffordert,
umzukehren vou seinen bösen Wegen, widrigenfalls die Nation sich von der
Monarchie ab- und der Republik zuwenden würde. Die Drohung war
um so unvorsichtiger, als dasselbe Blatt kurz vorher die Steuerbehörden an¬
gefleht hatte, doch ja bei der Selbsteinschntzuug ein Auge zuzudrücken, sodaß
also angesichts der Bvchnmerei jedermann deutlich sehen konnte, woher die
Schmerzen der rheinischen Herren rührten. In jenein Artikel heißt es
nun: "Wir verstehen unter Nation die nach Besitz und Bildung ma߬
gebenden Schichten des deutschen Volkes." Darauf antwortet der "Vorwärts":
"Ihr habt euch bisher als Nation aufgespielt. Ihr wart alles, und wir
waren nichts. Das muß anders werden. Das ist eine freventliche Umdrehung
des Rechts und der Thatsachen. Ihr lebt von uns, ihr besteht nnr durch
unsre Gnade. Ihr seid überflüssig im Staat. Wir, die wir bisher nichts
waren, wir wollen alles sein. Wir wollen euch aber uicht vergewaltigen --
wir bieten euch gleiches Recht bei gleichen Pflichten. Wollt ihr ehrlich
mitarbeiten, dann gut. Wo nicht, so geht nach Ostafrika oder ins Land, wo
der Pfeffer wächst -- Deutschland verliert nichts, wenn es euch verliert --
es kann nur gewinnen. Wo wir sind, da ist der Staat, da ist die Gesellschaft.
Wir sind die Nation!"

Es ist ja sehr fraglich, wie weit die Arbeiter ohne die herrschenden Klassen
kommen, ob sie auch nur den technischen Aufgaben der Produktion, geschweige
denn den höhern Kulturaufgaben gewachsen sein würden. Aber richtig bleibt
es immerhin, daß Rumpf und Gliedmaßen noch eher einen klugen Kopf, als
kluge Köpfe des Rumpfes und der Gliedmaßen entbehren können, und darum
ist es wirklich recht unklug, wenn sich einige Herren, die noch dazu nur einen
kleinen Teil der deutscheu Intelligenz ausmachen, als die Nation aufspielen.
Ja wenn wir wenigstens belgisches Wahlrecht hätten oder das englische aus
der Zeit vor der Parlamentsreform! Dann könnte sich so eine Auffassung in
der Praxis allenfalls noch hervorwagen.


Die sozialdemckratische Presse

Wäre es, den Proletariern den Segen eines kleinen Besitztums anzupreisen,
denn weiter wollen sie ja gar nichts, als ein solches. schenkt jedem Sozial¬
demokraten ein Bauerngut oder eine eigne Werkstatt, und ihr habt die Sozial¬
demokratie mit einem Schlage ans der Welt geschafft! Nicht ihnen muß man
den Segen des Besitzes schildern, sondern den Gesetzgebern, Verwaltungsbeamten
und Juristen, die mir zu oft durch ihre Thätigkeit deu verhängnisvollen Zug
der Zeit noch verstärken und dazu beitragen, die Reichen immer reicher und
die kleinen Besitzer zu besitzlosen Proletariern zu machen.

Proben aus deu Blättern, von deren Charakteristik nur etwas abgeschweift
sind, mitzuteilen, ist kaum nötig; weiß doch ohnehin jedermann, wie Dema¬
gogen reden und schreiben. Nur eine Kraftstelle wollen wir anführen, als
Warnung vor Dummheiten, wie neulich der „Kölnischen Zeitung" eine begegnet
ist. Wir meinen den berühmten Artikel, worin sie den Reichskanzler auffordert,
umzukehren vou seinen bösen Wegen, widrigenfalls die Nation sich von der
Monarchie ab- und der Republik zuwenden würde. Die Drohung war
um so unvorsichtiger, als dasselbe Blatt kurz vorher die Steuerbehörden an¬
gefleht hatte, doch ja bei der Selbsteinschntzuug ein Auge zuzudrücken, sodaß
also angesichts der Bvchnmerei jedermann deutlich sehen konnte, woher die
Schmerzen der rheinischen Herren rührten. In jenein Artikel heißt es
nun: „Wir verstehen unter Nation die nach Besitz und Bildung ma߬
gebenden Schichten des deutschen Volkes." Darauf antwortet der „Vorwärts":
„Ihr habt euch bisher als Nation aufgespielt. Ihr wart alles, und wir
waren nichts. Das muß anders werden. Das ist eine freventliche Umdrehung
des Rechts und der Thatsachen. Ihr lebt von uns, ihr besteht nnr durch
unsre Gnade. Ihr seid überflüssig im Staat. Wir, die wir bisher nichts
waren, wir wollen alles sein. Wir wollen euch aber uicht vergewaltigen —
wir bieten euch gleiches Recht bei gleichen Pflichten. Wollt ihr ehrlich
mitarbeiten, dann gut. Wo nicht, so geht nach Ostafrika oder ins Land, wo
der Pfeffer wächst — Deutschland verliert nichts, wenn es euch verliert —
es kann nur gewinnen. Wo wir sind, da ist der Staat, da ist die Gesellschaft.
Wir sind die Nation!"

Es ist ja sehr fraglich, wie weit die Arbeiter ohne die herrschenden Klassen
kommen, ob sie auch nur den technischen Aufgaben der Produktion, geschweige
denn den höhern Kulturaufgaben gewachsen sein würden. Aber richtig bleibt
es immerhin, daß Rumpf und Gliedmaßen noch eher einen klugen Kopf, als
kluge Köpfe des Rumpfes und der Gliedmaßen entbehren können, und darum
ist es wirklich recht unklug, wenn sich einige Herren, die noch dazu nur einen
kleinen Teil der deutscheu Intelligenz ausmachen, als die Nation aufspielen.
Ja wenn wir wenigstens belgisches Wahlrecht hätten oder das englische aus
der Zeit vor der Parlamentsreform! Dann könnte sich so eine Auffassung in
der Praxis allenfalls noch hervorwagen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/363>, abgerufen am 23.07.2024.