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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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vorbereitende Atzung hinzuweisen. Auch Lehrs, den ich um seine Meinung
befragte, bestätigte mir, daß er sowohl wie die Fachleute, mit denen er darüber
gesprochen habe, hier eine Atzung nicht erkennen könnte.

Stärker als den Einfluß der ältern deutschen Meister betont Springer
den der italienischen Zeitgenossen. Dürers Beziehungen zu Jacopo de' Barbari
sind ja durchaus nicht zu bezweifeln, wenn auch Springer vorsichtigerweise
nicht entscheiden will, in welchem Maße der eine der spendende, der andre
der Empfangende gewesen sei. Daß Meister Jakobus den jungen Maler zuerst
zu Proportivnsstudien angeregt habe, sagt dieser ja selber, und daß er es war,
der ihn wahrscheinlich zum erstenmale auf die Antike hinwies, erkennt man an
mehreren Zeichnungen. Ob Springer an seiner Hypothese festgehalten hat,
daß Dürer auf seiner Wanderschaft in Venedig als Holzschneider oder Kupfer¬
stecher in die Werkstatt des venezianischen Malers eingetreten sei, geht aus
der Biographie nicht deutlich hervor.

Den ersten Lehrer von durchgreifenden Einfluß erblickt Springer da¬
gegen in dem großen Andrea Mantegna, dessen Wahrheit und Kühnheit den
jungen Künstler mächtig gepackt, ihn auf die Wiedergabe kräftiger Leiber,
heftiger Bewegungen, erregten Mieuenspieles hingewiesen habe. In der That
nimmt Mantegna neben Schongauer und Wolgemut in Dürers Entwicklung
die erste Stelle ein.

Dagegen hat wohl der Einfluß Leonardo da Vincis eine zu starke Be¬
tonung erfahren. Allerdings scheint sich Dürer bei seinem seltsam barocken
Bilde: Christus unter den Schriftgelehrten (in der Galerie Barberiui zu Rom)
ein echt Leonardosches Problem, das des lebhaften Ausdrucks der Hände, ge¬
stellt zu haben. Auch kann man in den Holzschnitten der sogenannten Knoten
und in einigen Zeichnungen Dürers Auklünge an Leonardo nachweisen. Endlich
finden sich in Dürers theoretischen Schriften einige Sätze, die, wie es scheint,
Leonardo zum erstenmale vorgetragen hat. Aber das genügt nicht, mit
Springer zu behaupte,,, an Leonardo habe Dürer (im Gegensatz zu den
andern Meistern) "seine ganze Künstlerschaft hingegeben." Nicht einmal das
phantastische Element in Dürer mochte ich (wie es Springer thut) auf
Leonardos Einfluß zurückführen. Im Gegenteil glaube ich, daß dies bei dem
deutschen Maler von vornherein viel stärker entwickelt gewesen sei als bei dem
vorwiegend verstaudesmüßigen Italiener. Auch der Hang zum Grübeln und
Träumen war Dürer gewiß schon eigen, ehe er mit Leonardo, sei es un¬
mittelbar, sei es mittelbar, in Beziehungen trat. In dieser Hinsicht waren
beide offenbar Geistesverwandte. Auch schränkt Springer seine Behauptung
schon selbst ziemlich stark ein, wenn er hinzufügt, daß dabei "die eigentliche
Kunst der Malerei aus dem Spiele bleibe." Offenbar will er damit andeuten,
daß es mehr die theoretische Seite von Dürers Thätigkeit sei, die auf An¬
regungen Leonardos zurückgeführt werden müsse. In der That ist es ja sehr


Albrecht purer

vorbereitende Atzung hinzuweisen. Auch Lehrs, den ich um seine Meinung
befragte, bestätigte mir, daß er sowohl wie die Fachleute, mit denen er darüber
gesprochen habe, hier eine Atzung nicht erkennen könnte.

Stärker als den Einfluß der ältern deutschen Meister betont Springer
den der italienischen Zeitgenossen. Dürers Beziehungen zu Jacopo de' Barbari
sind ja durchaus nicht zu bezweifeln, wenn auch Springer vorsichtigerweise
nicht entscheiden will, in welchem Maße der eine der spendende, der andre
der Empfangende gewesen sei. Daß Meister Jakobus den jungen Maler zuerst
zu Proportivnsstudien angeregt habe, sagt dieser ja selber, und daß er es war,
der ihn wahrscheinlich zum erstenmale auf die Antike hinwies, erkennt man an
mehreren Zeichnungen. Ob Springer an seiner Hypothese festgehalten hat,
daß Dürer auf seiner Wanderschaft in Venedig als Holzschneider oder Kupfer¬
stecher in die Werkstatt des venezianischen Malers eingetreten sei, geht aus
der Biographie nicht deutlich hervor.

Den ersten Lehrer von durchgreifenden Einfluß erblickt Springer da¬
gegen in dem großen Andrea Mantegna, dessen Wahrheit und Kühnheit den
jungen Künstler mächtig gepackt, ihn auf die Wiedergabe kräftiger Leiber,
heftiger Bewegungen, erregten Mieuenspieles hingewiesen habe. In der That
nimmt Mantegna neben Schongauer und Wolgemut in Dürers Entwicklung
die erste Stelle ein.

Dagegen hat wohl der Einfluß Leonardo da Vincis eine zu starke Be¬
tonung erfahren. Allerdings scheint sich Dürer bei seinem seltsam barocken
Bilde: Christus unter den Schriftgelehrten (in der Galerie Barberiui zu Rom)
ein echt Leonardosches Problem, das des lebhaften Ausdrucks der Hände, ge¬
stellt zu haben. Auch kann man in den Holzschnitten der sogenannten Knoten
und in einigen Zeichnungen Dürers Auklünge an Leonardo nachweisen. Endlich
finden sich in Dürers theoretischen Schriften einige Sätze, die, wie es scheint,
Leonardo zum erstenmale vorgetragen hat. Aber das genügt nicht, mit
Springer zu behaupte,,, an Leonardo habe Dürer (im Gegensatz zu den
andern Meistern) „seine ganze Künstlerschaft hingegeben." Nicht einmal das
phantastische Element in Dürer mochte ich (wie es Springer thut) auf
Leonardos Einfluß zurückführen. Im Gegenteil glaube ich, daß dies bei dem
deutschen Maler von vornherein viel stärker entwickelt gewesen sei als bei dem
vorwiegend verstaudesmüßigen Italiener. Auch der Hang zum Grübeln und
Träumen war Dürer gewiß schon eigen, ehe er mit Leonardo, sei es un¬
mittelbar, sei es mittelbar, in Beziehungen trat. In dieser Hinsicht waren
beide offenbar Geistesverwandte. Auch schränkt Springer seine Behauptung
schon selbst ziemlich stark ein, wenn er hinzufügt, daß dabei „die eigentliche
Kunst der Malerei aus dem Spiele bleibe." Offenbar will er damit andeuten,
daß es mehr die theoretische Seite von Dürers Thätigkeit sei, die auf An¬
regungen Leonardos zurückgeführt werden müsse. In der That ist es ja sehr


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[0344] Albrecht purer vorbereitende Atzung hinzuweisen. Auch Lehrs, den ich um seine Meinung befragte, bestätigte mir, daß er sowohl wie die Fachleute, mit denen er darüber gesprochen habe, hier eine Atzung nicht erkennen könnte. Stärker als den Einfluß der ältern deutschen Meister betont Springer den der italienischen Zeitgenossen. Dürers Beziehungen zu Jacopo de' Barbari sind ja durchaus nicht zu bezweifeln, wenn auch Springer vorsichtigerweise nicht entscheiden will, in welchem Maße der eine der spendende, der andre der Empfangende gewesen sei. Daß Meister Jakobus den jungen Maler zuerst zu Proportivnsstudien angeregt habe, sagt dieser ja selber, und daß er es war, der ihn wahrscheinlich zum erstenmale auf die Antike hinwies, erkennt man an mehreren Zeichnungen. Ob Springer an seiner Hypothese festgehalten hat, daß Dürer auf seiner Wanderschaft in Venedig als Holzschneider oder Kupfer¬ stecher in die Werkstatt des venezianischen Malers eingetreten sei, geht aus der Biographie nicht deutlich hervor. Den ersten Lehrer von durchgreifenden Einfluß erblickt Springer da¬ gegen in dem großen Andrea Mantegna, dessen Wahrheit und Kühnheit den jungen Künstler mächtig gepackt, ihn auf die Wiedergabe kräftiger Leiber, heftiger Bewegungen, erregten Mieuenspieles hingewiesen habe. In der That nimmt Mantegna neben Schongauer und Wolgemut in Dürers Entwicklung die erste Stelle ein. Dagegen hat wohl der Einfluß Leonardo da Vincis eine zu starke Be¬ tonung erfahren. Allerdings scheint sich Dürer bei seinem seltsam barocken Bilde: Christus unter den Schriftgelehrten (in der Galerie Barberiui zu Rom) ein echt Leonardosches Problem, das des lebhaften Ausdrucks der Hände, ge¬ stellt zu haben. Auch kann man in den Holzschnitten der sogenannten Knoten und in einigen Zeichnungen Dürers Auklünge an Leonardo nachweisen. Endlich finden sich in Dürers theoretischen Schriften einige Sätze, die, wie es scheint, Leonardo zum erstenmale vorgetragen hat. Aber das genügt nicht, mit Springer zu behaupte,,, an Leonardo habe Dürer (im Gegensatz zu den andern Meistern) „seine ganze Künstlerschaft hingegeben." Nicht einmal das phantastische Element in Dürer mochte ich (wie es Springer thut) auf Leonardos Einfluß zurückführen. Im Gegenteil glaube ich, daß dies bei dem deutschen Maler von vornherein viel stärker entwickelt gewesen sei als bei dem vorwiegend verstaudesmüßigen Italiener. Auch der Hang zum Grübeln und Träumen war Dürer gewiß schon eigen, ehe er mit Leonardo, sei es un¬ mittelbar, sei es mittelbar, in Beziehungen trat. In dieser Hinsicht waren beide offenbar Geistesverwandte. Auch schränkt Springer seine Behauptung schon selbst ziemlich stark ein, wenn er hinzufügt, daß dabei „die eigentliche Kunst der Malerei aus dem Spiele bleibe." Offenbar will er damit andeuten, daß es mehr die theoretische Seite von Dürers Thätigkeit sei, die auf An¬ regungen Leonardos zurückgeführt werden müsse. In der That ist es ja sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/344>, abgerufen am 23.07.2024.