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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

ein vollständiges Bild von dem, was Springer am Ende seines Lebens und
seiner Forschungen über Dürer gedacht hat. Wenn ich das Kollegienheft von
187"; mit diesen beiden Arbeiten vergleiche, so kann ich verfolgen, wie sich
Springers Ansichten ganz allmählich offenbar nnter dem anregenden Einfluß der
akademischen Thätigkeit, entwickelt haben. Um so größer ist für uns das Gewicht
seines Urteils, um so dringender aber auch die Verpflichtung, seine Ergebnisse
zu prüfen, ehe wir sie annehme".

Mit Einzelheiten brauchen wir uns dabei wenig aufzuhalten. Gelehrte
Anmerkungen, monographische Exkurse fehlen dem Buche vollständig. Zwar
beabsichtigte Springer seinem Werke "Kritische Anhänge" beizufügen, und die
drei Seiten davon, die er noch am Tage vor seinem Tode niedergeschrieben
hat, sind von dem Herausgeber, Dr. Jarv Springer, dem Sohne des Ver-
storlmen, mit abgedruckt worden. Aber diese Anhänge sollten, wie es scheint,
keinen gelehrten Charakter haben, sondern nur die Entstehungsgeschichte einzelner
Kompositionen Dürers mit Hilfe der Handzeichnungen verfolgen. So wird es
denn auch im Sinne des Verfassers sein, wenn sich die Kritik nicht mit un¬
wichtigen Einzelheiten beschäftigt, sondern gleich zu den vier wichtigsten Fragen
übergeht, die das Schaffen Dürers bestimmen: Wie verhält er sich zu seinen
Vorgängern und Zeitgenossen? wie stellt er sich zu den wissenschaftlichen
Bestrebungen seiner Zeit? welches ist sein Standpunkt gegenüber der Refor¬
mation? und wie lautet sein ästhetisches Glaubensbekenntnis?

Es war vorauszusehen, daß Springer Dürers Verhältnis zu der ältern
deutschen Kunst weniger betonen würde als das zur italienischen Renaissance.
Der Verfasser des Rafael und Michelangelo hatte zu der deutschen Kunst des
fünfzehnten Jahrhunderts weniger gefühlsmäßige Beziehungen als zu der
italienischen Kunst des Cinquecento. Ju seinen Angen war das fünfzehnte
Jahrhundert wenigstens in Deutschland vorwiegend eine Zeit des "Verfalls
der mittelalterlichen Bildung, auch im Kreise der künstlerischen Entwicklung,"
und nur soviel wollte er zugeben, daß sich damals "neben Spuren des Ab-
sterbens auch die Keime neuer Bildungen offenbaren." So mußte er denn
auch Dürer mehr in einen Gegensatz zu seinen deutschen Vorgängern stellen,
als in ihm den Abschluß der vorangegangnen Entwicklung erkennen. Aber
ich glaube, Springer würde auch nicht viel dagegen gehabt haben, wenn man
die "Keime neuer Bildungen," die er dem fünfzehnten Jahrhundert zuerkennt,
als das eigentlich Wesentliche in diesem Jugeudzeitalter der modernen Mensch¬
heit betrachten und die Bedeutung Dürers vielmehr darin erkennen wollte,
daß er einerseits zwar noch im Mittelalter wurzelt, einen Abschluß der mittel¬
alterlichen Bestrebungen darstellt, andrerseits aber auch durch seine Beziehungen
zum italienischen Humanismus und zur Reformation dem modernen Zeitalter
angehört.

Von einem Einflüsse des Lehrers Michael Wolgemut auf Dürer will der


Albrecht Dürer

ein vollständiges Bild von dem, was Springer am Ende seines Lebens und
seiner Forschungen über Dürer gedacht hat. Wenn ich das Kollegienheft von
187«; mit diesen beiden Arbeiten vergleiche, so kann ich verfolgen, wie sich
Springers Ansichten ganz allmählich offenbar nnter dem anregenden Einfluß der
akademischen Thätigkeit, entwickelt haben. Um so größer ist für uns das Gewicht
seines Urteils, um so dringender aber auch die Verpflichtung, seine Ergebnisse
zu prüfen, ehe wir sie annehme».

Mit Einzelheiten brauchen wir uns dabei wenig aufzuhalten. Gelehrte
Anmerkungen, monographische Exkurse fehlen dem Buche vollständig. Zwar
beabsichtigte Springer seinem Werke „Kritische Anhänge" beizufügen, und die
drei Seiten davon, die er noch am Tage vor seinem Tode niedergeschrieben
hat, sind von dem Herausgeber, Dr. Jarv Springer, dem Sohne des Ver-
storlmen, mit abgedruckt worden. Aber diese Anhänge sollten, wie es scheint,
keinen gelehrten Charakter haben, sondern nur die Entstehungsgeschichte einzelner
Kompositionen Dürers mit Hilfe der Handzeichnungen verfolgen. So wird es
denn auch im Sinne des Verfassers sein, wenn sich die Kritik nicht mit un¬
wichtigen Einzelheiten beschäftigt, sondern gleich zu den vier wichtigsten Fragen
übergeht, die das Schaffen Dürers bestimmen: Wie verhält er sich zu seinen
Vorgängern und Zeitgenossen? wie stellt er sich zu den wissenschaftlichen
Bestrebungen seiner Zeit? welches ist sein Standpunkt gegenüber der Refor¬
mation? und wie lautet sein ästhetisches Glaubensbekenntnis?

Es war vorauszusehen, daß Springer Dürers Verhältnis zu der ältern
deutschen Kunst weniger betonen würde als das zur italienischen Renaissance.
Der Verfasser des Rafael und Michelangelo hatte zu der deutschen Kunst des
fünfzehnten Jahrhunderts weniger gefühlsmäßige Beziehungen als zu der
italienischen Kunst des Cinquecento. Ju seinen Angen war das fünfzehnte
Jahrhundert wenigstens in Deutschland vorwiegend eine Zeit des „Verfalls
der mittelalterlichen Bildung, auch im Kreise der künstlerischen Entwicklung,"
und nur soviel wollte er zugeben, daß sich damals „neben Spuren des Ab-
sterbens auch die Keime neuer Bildungen offenbaren." So mußte er denn
auch Dürer mehr in einen Gegensatz zu seinen deutschen Vorgängern stellen,
als in ihm den Abschluß der vorangegangnen Entwicklung erkennen. Aber
ich glaube, Springer würde auch nicht viel dagegen gehabt haben, wenn man
die „Keime neuer Bildungen," die er dem fünfzehnten Jahrhundert zuerkennt,
als das eigentlich Wesentliche in diesem Jugeudzeitalter der modernen Mensch¬
heit betrachten und die Bedeutung Dürers vielmehr darin erkennen wollte,
daß er einerseits zwar noch im Mittelalter wurzelt, einen Abschluß der mittel¬
alterlichen Bestrebungen darstellt, andrerseits aber auch durch seine Beziehungen
zum italienischen Humanismus und zur Reformation dem modernen Zeitalter
angehört.

Von einem Einflüsse des Lehrers Michael Wolgemut auf Dürer will der


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[0341] Albrecht Dürer ein vollständiges Bild von dem, was Springer am Ende seines Lebens und seiner Forschungen über Dürer gedacht hat. Wenn ich das Kollegienheft von 187«; mit diesen beiden Arbeiten vergleiche, so kann ich verfolgen, wie sich Springers Ansichten ganz allmählich offenbar nnter dem anregenden Einfluß der akademischen Thätigkeit, entwickelt haben. Um so größer ist für uns das Gewicht seines Urteils, um so dringender aber auch die Verpflichtung, seine Ergebnisse zu prüfen, ehe wir sie annehme». Mit Einzelheiten brauchen wir uns dabei wenig aufzuhalten. Gelehrte Anmerkungen, monographische Exkurse fehlen dem Buche vollständig. Zwar beabsichtigte Springer seinem Werke „Kritische Anhänge" beizufügen, und die drei Seiten davon, die er noch am Tage vor seinem Tode niedergeschrieben hat, sind von dem Herausgeber, Dr. Jarv Springer, dem Sohne des Ver- storlmen, mit abgedruckt worden. Aber diese Anhänge sollten, wie es scheint, keinen gelehrten Charakter haben, sondern nur die Entstehungsgeschichte einzelner Kompositionen Dürers mit Hilfe der Handzeichnungen verfolgen. So wird es denn auch im Sinne des Verfassers sein, wenn sich die Kritik nicht mit un¬ wichtigen Einzelheiten beschäftigt, sondern gleich zu den vier wichtigsten Fragen übergeht, die das Schaffen Dürers bestimmen: Wie verhält er sich zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen? wie stellt er sich zu den wissenschaftlichen Bestrebungen seiner Zeit? welches ist sein Standpunkt gegenüber der Refor¬ mation? und wie lautet sein ästhetisches Glaubensbekenntnis? Es war vorauszusehen, daß Springer Dürers Verhältnis zu der ältern deutschen Kunst weniger betonen würde als das zur italienischen Renaissance. Der Verfasser des Rafael und Michelangelo hatte zu der deutschen Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts weniger gefühlsmäßige Beziehungen als zu der italienischen Kunst des Cinquecento. Ju seinen Angen war das fünfzehnte Jahrhundert wenigstens in Deutschland vorwiegend eine Zeit des „Verfalls der mittelalterlichen Bildung, auch im Kreise der künstlerischen Entwicklung," und nur soviel wollte er zugeben, daß sich damals „neben Spuren des Ab- sterbens auch die Keime neuer Bildungen offenbaren." So mußte er denn auch Dürer mehr in einen Gegensatz zu seinen deutschen Vorgängern stellen, als in ihm den Abschluß der vorangegangnen Entwicklung erkennen. Aber ich glaube, Springer würde auch nicht viel dagegen gehabt haben, wenn man die „Keime neuer Bildungen," die er dem fünfzehnten Jahrhundert zuerkennt, als das eigentlich Wesentliche in diesem Jugeudzeitalter der modernen Mensch¬ heit betrachten und die Bedeutung Dürers vielmehr darin erkennen wollte, daß er einerseits zwar noch im Mittelalter wurzelt, einen Abschluß der mittel¬ alterlichen Bestrebungen darstellt, andrerseits aber auch durch seine Beziehungen zum italienischen Humanismus und zur Reformation dem modernen Zeitalter angehört. Von einem Einflüsse des Lehrers Michael Wolgemut auf Dürer will der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/341>, abgerufen am 26.08.2024.