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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Nordwestafrika und die transsaharische Bahn

in fortwährenden Grenzstreitigkeiten mit Marokko. Veranlassung dazu giebt
die die Grenzlandschaften beider Staaten bewohnende nomadisirende Bevöl¬
kerung. Es wird hier nicht eher Ruhe einkehren, als bis Frankreich die
Gegend bis zum Mulujaflusse besetzt haben wird.

In neuerer Zeit sind nun auch die Tuat-Oasen als Gegenstand des
Streites zwischen Marokko und Frankreich oft erwähnt worden. Diese Ver¬
wicklung hängt aber in keiner Weise mit der sogenannten marokkanischen Frage
zusammen, sondern sie ist die Folge des französischen Planes des Baues einer
transsaharischen Eisenbahn. Möglich ist es, daß die Bewohner der Tuat-Oasen
von diesem Plane der Franzosen gehört haben, vielleicht ist es aber auch nur
die Angst vor den immer näher rückender Franzosen, die sie gezwungen hat,
sich Marokko zu nähern. In der That haben die Bewohner von Tuat bisher
ebensowenig in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem ungefähr 700 Kilometer
entfernten Marokko gestanden, wie zu Frankreich, Wenn nun nach Nachrichten,
die im November 1891 aus Tanger kamen, sich die Bewohner von Tuat
unter den Schutz Marokkos stellten, so trieb sie dazu jedenfalls das Vor¬
schieben eines französischen Kamelreitervosteus nach dem 400 Kilometer ent¬
fernten El Goleah. Sie wollten sich für vorkommende Fälle die Hilfe eines
mächtigern mohammedanischen Staates sichern. In der That wollten sie
ebensowenig von einer Oberherrschaft Marokkos wie Frankreichs etwas wissen;
denn als eine Gesandtschaft des Sultans kam, um mit der Unterwerfung
Ernst zu machen, mußte sie unverrichteter Sache wieder abziehen. Zwar hat
vor kurzem der Sultan in einem Schreiben dem französischen Geschäftsträger
mitgeteilt, daß er trotz dieses Mißerfolgs seine Ansprüche auf Tuat festhalte
und sich verpflichte, in Zukunft für die Ruhe und Ordnung in diesen Oasen zu
sorgen, aber der französische Vertreter hat kurz erklärt, daß er jede Erörterung
dieser Frage ablehne, denn Frankreich behalte sich in diesem keineswegs von
Marokko abhängigen Landstriche vor, nach eignem Ermessen vorzugehen. Wie
wollte auch der Sultan, der nur mit bewaffneter Macht die Steuern im
eignen Lande eintreiben kann, jene ungefähr tausend Kilometer von der Haupt¬
stadt entfernten Oasen im Zaume halten!

Marokko kann durch dieses Vorgehen nur bewirken, daß die Franzosen
einen Plan früher ausführen, den sie sich erst für spätere Zeiten aufbewahrten.
Wußte doch auch die Vraueö schon zu melden, daß eine Expedition nach dem
Tnatgebiete eine beschlossene Sache sei, und zwar wären dazu sämtliche ver¬
fügbare Truppen der Division von Orrr unter dem General Thvmassin
bestimmt.

Wie dem mich sei, jedenfalls steht soviel fest, daß sich Frankreich über
kurz oder lang der Tuat-Oasen bemächtigen wird. Es hängt dies mit dem
Plane zusammen, den die Franzosen jetzt mit großem Eifer verfolgen, ihren
gesamten westafrikanischen Kolonialbesitz in Algerien, Senegambien, Guinea


Nordwestafrika und die transsaharische Bahn

in fortwährenden Grenzstreitigkeiten mit Marokko. Veranlassung dazu giebt
die die Grenzlandschaften beider Staaten bewohnende nomadisirende Bevöl¬
kerung. Es wird hier nicht eher Ruhe einkehren, als bis Frankreich die
Gegend bis zum Mulujaflusse besetzt haben wird.

In neuerer Zeit sind nun auch die Tuat-Oasen als Gegenstand des
Streites zwischen Marokko und Frankreich oft erwähnt worden. Diese Ver¬
wicklung hängt aber in keiner Weise mit der sogenannten marokkanischen Frage
zusammen, sondern sie ist die Folge des französischen Planes des Baues einer
transsaharischen Eisenbahn. Möglich ist es, daß die Bewohner der Tuat-Oasen
von diesem Plane der Franzosen gehört haben, vielleicht ist es aber auch nur
die Angst vor den immer näher rückender Franzosen, die sie gezwungen hat,
sich Marokko zu nähern. In der That haben die Bewohner von Tuat bisher
ebensowenig in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem ungefähr 700 Kilometer
entfernten Marokko gestanden, wie zu Frankreich, Wenn nun nach Nachrichten,
die im November 1891 aus Tanger kamen, sich die Bewohner von Tuat
unter den Schutz Marokkos stellten, so trieb sie dazu jedenfalls das Vor¬
schieben eines französischen Kamelreitervosteus nach dem 400 Kilometer ent¬
fernten El Goleah. Sie wollten sich für vorkommende Fälle die Hilfe eines
mächtigern mohammedanischen Staates sichern. In der That wollten sie
ebensowenig von einer Oberherrschaft Marokkos wie Frankreichs etwas wissen;
denn als eine Gesandtschaft des Sultans kam, um mit der Unterwerfung
Ernst zu machen, mußte sie unverrichteter Sache wieder abziehen. Zwar hat
vor kurzem der Sultan in einem Schreiben dem französischen Geschäftsträger
mitgeteilt, daß er trotz dieses Mißerfolgs seine Ansprüche auf Tuat festhalte
und sich verpflichte, in Zukunft für die Ruhe und Ordnung in diesen Oasen zu
sorgen, aber der französische Vertreter hat kurz erklärt, daß er jede Erörterung
dieser Frage ablehne, denn Frankreich behalte sich in diesem keineswegs von
Marokko abhängigen Landstriche vor, nach eignem Ermessen vorzugehen. Wie
wollte auch der Sultan, der nur mit bewaffneter Macht die Steuern im
eignen Lande eintreiben kann, jene ungefähr tausend Kilometer von der Haupt¬
stadt entfernten Oasen im Zaume halten!

Marokko kann durch dieses Vorgehen nur bewirken, daß die Franzosen
einen Plan früher ausführen, den sie sich erst für spätere Zeiten aufbewahrten.
Wußte doch auch die Vraueö schon zu melden, daß eine Expedition nach dem
Tnatgebiete eine beschlossene Sache sei, und zwar wären dazu sämtliche ver¬
fügbare Truppen der Division von Orrr unter dem General Thvmassin
bestimmt.

Wie dem mich sei, jedenfalls steht soviel fest, daß sich Frankreich über
kurz oder lang der Tuat-Oasen bemächtigen wird. Es hängt dies mit dem
Plane zusammen, den die Franzosen jetzt mit großem Eifer verfolgen, ihren
gesamten westafrikanischen Kolonialbesitz in Algerien, Senegambien, Guinea


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[0323] Nordwestafrika und die transsaharische Bahn in fortwährenden Grenzstreitigkeiten mit Marokko. Veranlassung dazu giebt die die Grenzlandschaften beider Staaten bewohnende nomadisirende Bevöl¬ kerung. Es wird hier nicht eher Ruhe einkehren, als bis Frankreich die Gegend bis zum Mulujaflusse besetzt haben wird. In neuerer Zeit sind nun auch die Tuat-Oasen als Gegenstand des Streites zwischen Marokko und Frankreich oft erwähnt worden. Diese Ver¬ wicklung hängt aber in keiner Weise mit der sogenannten marokkanischen Frage zusammen, sondern sie ist die Folge des französischen Planes des Baues einer transsaharischen Eisenbahn. Möglich ist es, daß die Bewohner der Tuat-Oasen von diesem Plane der Franzosen gehört haben, vielleicht ist es aber auch nur die Angst vor den immer näher rückender Franzosen, die sie gezwungen hat, sich Marokko zu nähern. In der That haben die Bewohner von Tuat bisher ebensowenig in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem ungefähr 700 Kilometer entfernten Marokko gestanden, wie zu Frankreich, Wenn nun nach Nachrichten, die im November 1891 aus Tanger kamen, sich die Bewohner von Tuat unter den Schutz Marokkos stellten, so trieb sie dazu jedenfalls das Vor¬ schieben eines französischen Kamelreitervosteus nach dem 400 Kilometer ent¬ fernten El Goleah. Sie wollten sich für vorkommende Fälle die Hilfe eines mächtigern mohammedanischen Staates sichern. In der That wollten sie ebensowenig von einer Oberherrschaft Marokkos wie Frankreichs etwas wissen; denn als eine Gesandtschaft des Sultans kam, um mit der Unterwerfung Ernst zu machen, mußte sie unverrichteter Sache wieder abziehen. Zwar hat vor kurzem der Sultan in einem Schreiben dem französischen Geschäftsträger mitgeteilt, daß er trotz dieses Mißerfolgs seine Ansprüche auf Tuat festhalte und sich verpflichte, in Zukunft für die Ruhe und Ordnung in diesen Oasen zu sorgen, aber der französische Vertreter hat kurz erklärt, daß er jede Erörterung dieser Frage ablehne, denn Frankreich behalte sich in diesem keineswegs von Marokko abhängigen Landstriche vor, nach eignem Ermessen vorzugehen. Wie wollte auch der Sultan, der nur mit bewaffneter Macht die Steuern im eignen Lande eintreiben kann, jene ungefähr tausend Kilometer von der Haupt¬ stadt entfernten Oasen im Zaume halten! Marokko kann durch dieses Vorgehen nur bewirken, daß die Franzosen einen Plan früher ausführen, den sie sich erst für spätere Zeiten aufbewahrten. Wußte doch auch die Vraueö schon zu melden, daß eine Expedition nach dem Tnatgebiete eine beschlossene Sache sei, und zwar wären dazu sämtliche ver¬ fügbare Truppen der Division von Orrr unter dem General Thvmassin bestimmt. Wie dem mich sei, jedenfalls steht soviel fest, daß sich Frankreich über kurz oder lang der Tuat-Oasen bemächtigen wird. Es hängt dies mit dem Plane zusammen, den die Franzosen jetzt mit großem Eifer verfolgen, ihren gesamten westafrikanischen Kolonialbesitz in Algerien, Senegambien, Guinea

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/323>, abgerufen am 23.07.2024.