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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Volksschulgesetz

Gemeinde- und Schulbehörden helfend zur Seite zu stehen. Er hat aufmerksam
zu machen, er hat Gutachten abzugeben, er hat mitzuwirken, Anzeige zu er¬
statten, er wird -- eine Null sein. Leider läuft auch hier das Schulgesetz
auf eine Kodifikation bestehender Verhältnisse hinaus. Die gegenwärtigen
Schulvvrstände auf dem Lande sollen auf Grund eines Etats die Schnlkvsten
bestreiten. Es ist aber vielfach von der Aufsichtsbehörde nachgelassen worden,
eine besondre Schulkasse zu haben, ja vielmehr gestattet, daß diese Schulkasse
mit der Gemeindekasse vereinigt werde. Dadurch siud Verhältnisse entstanden?
die genau deu Absichten des Schulgesetzeutwurfes entsprechen. Aber diese Ver¬
hältnisse siud nichts weniger als erfreulich und haben deu Wunsch entstehen
lassen, die Trennung der Gemeindeknssen von den Schnlkassen wieder eintreten
zu lassen. Es gereicht der Verwaltung nicht zum Vorteile, daß der Gemeinde-
Vorstand Mitglied des Schulvorstandes ist, wenn die Entscheidung bei der
Gemeindevertretung liegt. Der Schulze hütet sich wohl, sich durch den Schul¬
vorstand die Hände binden zu lassen, und lehnt alles ab, was nicht stritte
geboten wird. Es wäre besser gewesen, den Schulvorstand in Form einer
technischen Kommission dem Gemeindevorstaude beizugeben und ihm einen Kreis
wirklicher Geschäfte zuzuweisen. Wer nichts zu sagen hat, hat auch nichts zu
raten. Der Gesetzentwurf fußt auf der Voraussetzung, daß die Gemeinden,
wenn man ihnen das Vertrauen erweist, sie zu Trägern der Schulrechte zu
machen, bereit seien, die Lasten zu übernehmen und die Schule zu Pflege".
Ob man sich darin nicht täuscht? In Geldsachen pflegt die Genmtlichkeit auf¬
zuhören. Man läßt deu Schulvorstaud "gutachteu" und behält sein Geld in
der Tasche. In Wirklichkeit dürften sich die Dinge so gestalten, daß der
Schulvorstand -- der es doch auch mit der Gemeinde nicht verderben darf --
die Sachen verschleppt, daß sie die Gemeindevertretung ablehnt und der Re¬
gierungspräsident ans Anzeige der Kreisschuliuspektion befiehlt. Das ist denn
ein ziemlich geringes Maß von Selbstverwaltung, ein geringeres als gegen¬
wärtig ausgeübt wird. In deu Städten dürften sich die Verhältnisse günstiger
gestalten.

Über die Besetzung der Lehrerstellen wird folgendes bestimmt. Die Lehrer
und Lehrerinnen an den öffentliche" Volksschulen werden von dem Negieruugs-
präsidente" ans der Zahl der Befähigte" angestellt. Alle bisherigen Rechte
ohne Unterschied werden aufgehoben. Der Gemeindevorstand hat das Recht,
dein Negiernugsprüsidenten eine oder mehrere Personen in Vorschlag zu bringen.
Dieser Borschlag unterliegt der Begutachtung der Kreis- (Stadt-) Schulbehörde.
Glaubt der Präsident die Vorschläge nicht berücksichtigen zu können, so ist
dem Schulvorstande ein Bescheid unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Nur
ausnahmsweise und nur hei den Stellen, die bisher von der Regierung besetzt
wurden, darf als Grund angegeben werden, daß die Stelle durch einen dis¬
ziplinarisch zu versetzende" Lehrer besetzt werde" solle. Gegen die Entscheidung


Das Volksschulgesetz

Gemeinde- und Schulbehörden helfend zur Seite zu stehen. Er hat aufmerksam
zu machen, er hat Gutachten abzugeben, er hat mitzuwirken, Anzeige zu er¬
statten, er wird — eine Null sein. Leider läuft auch hier das Schulgesetz
auf eine Kodifikation bestehender Verhältnisse hinaus. Die gegenwärtigen
Schulvvrstände auf dem Lande sollen auf Grund eines Etats die Schnlkvsten
bestreiten. Es ist aber vielfach von der Aufsichtsbehörde nachgelassen worden,
eine besondre Schulkasse zu haben, ja vielmehr gestattet, daß diese Schulkasse
mit der Gemeindekasse vereinigt werde. Dadurch siud Verhältnisse entstanden?
die genau deu Absichten des Schulgesetzeutwurfes entsprechen. Aber diese Ver¬
hältnisse siud nichts weniger als erfreulich und haben deu Wunsch entstehen
lassen, die Trennung der Gemeindeknssen von den Schnlkassen wieder eintreten
zu lassen. Es gereicht der Verwaltung nicht zum Vorteile, daß der Gemeinde-
Vorstand Mitglied des Schulvorstandes ist, wenn die Entscheidung bei der
Gemeindevertretung liegt. Der Schulze hütet sich wohl, sich durch den Schul¬
vorstand die Hände binden zu lassen, und lehnt alles ab, was nicht stritte
geboten wird. Es wäre besser gewesen, den Schulvorstand in Form einer
technischen Kommission dem Gemeindevorstaude beizugeben und ihm einen Kreis
wirklicher Geschäfte zuzuweisen. Wer nichts zu sagen hat, hat auch nichts zu
raten. Der Gesetzentwurf fußt auf der Voraussetzung, daß die Gemeinden,
wenn man ihnen das Vertrauen erweist, sie zu Trägern der Schulrechte zu
machen, bereit seien, die Lasten zu übernehmen und die Schule zu Pflege».
Ob man sich darin nicht täuscht? In Geldsachen pflegt die Genmtlichkeit auf¬
zuhören. Man läßt deu Schulvorstaud „gutachteu" und behält sein Geld in
der Tasche. In Wirklichkeit dürften sich die Dinge so gestalten, daß der
Schulvorstand — der es doch auch mit der Gemeinde nicht verderben darf —
die Sachen verschleppt, daß sie die Gemeindevertretung ablehnt und der Re¬
gierungspräsident ans Anzeige der Kreisschuliuspektion befiehlt. Das ist denn
ein ziemlich geringes Maß von Selbstverwaltung, ein geringeres als gegen¬
wärtig ausgeübt wird. In deu Städten dürften sich die Verhältnisse günstiger
gestalten.

Über die Besetzung der Lehrerstellen wird folgendes bestimmt. Die Lehrer
und Lehrerinnen an den öffentliche» Volksschulen werden von dem Negieruugs-
präsidente» ans der Zahl der Befähigte» angestellt. Alle bisherigen Rechte
ohne Unterschied werden aufgehoben. Der Gemeindevorstand hat das Recht,
dein Negiernugsprüsidenten eine oder mehrere Personen in Vorschlag zu bringen.
Dieser Borschlag unterliegt der Begutachtung der Kreis- (Stadt-) Schulbehörde.
Glaubt der Präsident die Vorschläge nicht berücksichtigen zu können, so ist
dem Schulvorstande ein Bescheid unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Nur
ausnahmsweise und nur hei den Stellen, die bisher von der Regierung besetzt
wurden, darf als Grund angegeben werden, daß die Stelle durch einen dis¬
ziplinarisch zu versetzende» Lehrer besetzt werde» solle. Gegen die Entscheidung


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[0316] Das Volksschulgesetz Gemeinde- und Schulbehörden helfend zur Seite zu stehen. Er hat aufmerksam zu machen, er hat Gutachten abzugeben, er hat mitzuwirken, Anzeige zu er¬ statten, er wird — eine Null sein. Leider läuft auch hier das Schulgesetz auf eine Kodifikation bestehender Verhältnisse hinaus. Die gegenwärtigen Schulvvrstände auf dem Lande sollen auf Grund eines Etats die Schnlkvsten bestreiten. Es ist aber vielfach von der Aufsichtsbehörde nachgelassen worden, eine besondre Schulkasse zu haben, ja vielmehr gestattet, daß diese Schulkasse mit der Gemeindekasse vereinigt werde. Dadurch siud Verhältnisse entstanden? die genau deu Absichten des Schulgesetzeutwurfes entsprechen. Aber diese Ver¬ hältnisse siud nichts weniger als erfreulich und haben deu Wunsch entstehen lassen, die Trennung der Gemeindeknssen von den Schnlkassen wieder eintreten zu lassen. Es gereicht der Verwaltung nicht zum Vorteile, daß der Gemeinde- Vorstand Mitglied des Schulvorstandes ist, wenn die Entscheidung bei der Gemeindevertretung liegt. Der Schulze hütet sich wohl, sich durch den Schul¬ vorstand die Hände binden zu lassen, und lehnt alles ab, was nicht stritte geboten wird. Es wäre besser gewesen, den Schulvorstand in Form einer technischen Kommission dem Gemeindevorstaude beizugeben und ihm einen Kreis wirklicher Geschäfte zuzuweisen. Wer nichts zu sagen hat, hat auch nichts zu raten. Der Gesetzentwurf fußt auf der Voraussetzung, daß die Gemeinden, wenn man ihnen das Vertrauen erweist, sie zu Trägern der Schulrechte zu machen, bereit seien, die Lasten zu übernehmen und die Schule zu Pflege». Ob man sich darin nicht täuscht? In Geldsachen pflegt die Genmtlichkeit auf¬ zuhören. Man läßt deu Schulvorstaud „gutachteu" und behält sein Geld in der Tasche. In Wirklichkeit dürften sich die Dinge so gestalten, daß der Schulvorstand — der es doch auch mit der Gemeinde nicht verderben darf — die Sachen verschleppt, daß sie die Gemeindevertretung ablehnt und der Re¬ gierungspräsident ans Anzeige der Kreisschuliuspektion befiehlt. Das ist denn ein ziemlich geringes Maß von Selbstverwaltung, ein geringeres als gegen¬ wärtig ausgeübt wird. In deu Städten dürften sich die Verhältnisse günstiger gestalten. Über die Besetzung der Lehrerstellen wird folgendes bestimmt. Die Lehrer und Lehrerinnen an den öffentliche» Volksschulen werden von dem Negieruugs- präsidente» ans der Zahl der Befähigte» angestellt. Alle bisherigen Rechte ohne Unterschied werden aufgehoben. Der Gemeindevorstand hat das Recht, dein Negiernugsprüsidenten eine oder mehrere Personen in Vorschlag zu bringen. Dieser Borschlag unterliegt der Begutachtung der Kreis- (Stadt-) Schulbehörde. Glaubt der Präsident die Vorschläge nicht berücksichtigen zu können, so ist dem Schulvorstande ein Bescheid unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Nur ausnahmsweise und nur hei den Stellen, die bisher von der Regierung besetzt wurden, darf als Grund angegeben werden, daß die Stelle durch einen dis¬ ziplinarisch zu versetzende» Lehrer besetzt werde» solle. Gegen die Entscheidung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/316>, abgerufen am 23.07.2024.