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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen in unserm höhern Schulwesen

Neben diesen innern Wandlungen haben sich aber auch die äußern Ver¬
hältnisse gründlich umgestaltet. Bis vor wenigen Jahrzehnten befanden sich
die Gymnasien meist noch in denselben wenig veränderten Räumen, die ihnen
einst das sechzehnte Jahrhundert eingeräumt hatte, oft in engen Straßen oder
hinter eiuer hohen, Licht und Luft versperrenden Kirche, in niedrigen Zimmern
mit kleinen Fenstern, engen Gängen und Treppen, dumpfigen Höfen, und die
Ausstattung mit Bibliotheken, Sammlungen und Auschauungsmittelu war
meist dürftig genug. An die Stelle dieser längst ungenügenden Räumlichkeiten
sind seit zwanzig bis dreißig Jahren fast überall stattliche, oft prächtige Neu¬
bauten getreten, für genügende Unterrichts- und Studienmittel ist gesorgt, und
nicht wenige Anstalten besitzen ausgedehnte Spiel- und Turnplätze. Ebenso
hat sich die Stellung der Lehrer verändert. Bis in die ersten Jahrzehnte
unsers Jahrhunderts hinein waren sie teilweise angewiesen auf das Schulgeld,
auf Einkünfte aus dem Kirchendienst, auf kleine Naturalleistungen und auf
Gehalte, die auch damals nicht als reichlich gelten konnten. Von der Welt
hatten die meisten wenig gesehen, und die wenigsten kamen jemals über die
Stadt ihrer Wirksamkeit weit hinaus. Daher war in der öffentlichen Mei¬
nung der herrschende Typus des Gymnasiallehrers der unbeholfene, linkische
Pedant, der sich in seine eigne abgelegne Gedankenwelt einspann, bis er sie
beinahe für wirklicher hielt als die ihn umgebende Wirklichkeit, und der im
öffentlichen Leben oder in der Gesellschaft kaum zu verwenden war. Es ist
der Typus, der in den "Fliegenden Blättern" noch heute sein schattenhaftes
Dasein fristet. Gewiß gedieh in diesem stillen Leben viel tüchtiges Wissen,
viel treuer Fleiß und eine opferwillige Hingebung, um die wir jene Zeit
unsrer Bäter und Großväter vielleicht beneiden können, und gewiß gab es
damals eigenartige, selbständige, wuchtig wirkende Lehrernaturen in größerer
Anzahl als heute, aber um der öffentlichen Schätzung des Lehrerstandes wurde
dadurch wenig geändert. Heute siud alle jene unwürdig und anstößig ge-
wordnen Einnahmequellen beseitigt, die längst flirten, wenngleich noch keines¬
wegs reichlich bemessenen Gehalte geben dem Lehrerstande eine größere Un¬
abhängigkeit von gewissen Rücksichten, als er sie jemals früher genossen hat,
Weltkenntnis und Welterfahrung sind ungleich größer geworden, und auch von
dem äußern Auftreten des Gymnasiallehrers wird heute vorausgesetzt, daß er,
um eine" englischen Begriff anzuwenden, ein Gentleman sei, schon um der
Jugend willen, die er nicht nur unterrichten, sondern auch erziehen soll. Das"
alles entspricht durchaus der mächtig gehobnen Lebenshaltung aller Stände
und nicht zum wenigsten der Thatsache, daß das Studium in der philo¬
sophischen (artistischen) Fakultät nicht mehr wie im Mittelalter nur eine für
die Fachwissenschaften vorbereitende Bildung gewährt, sondern ebensogut wie
das der frühern "obern" Fakultäten ein selbständiges Fachstudium geworden
ist, seitdem das, was früher -u'do" UbvM<Z8 hieß, wesentlich auf die Gymnasien


Wandlungen in unserm höhern Schulwesen

Neben diesen innern Wandlungen haben sich aber auch die äußern Ver¬
hältnisse gründlich umgestaltet. Bis vor wenigen Jahrzehnten befanden sich
die Gymnasien meist noch in denselben wenig veränderten Räumen, die ihnen
einst das sechzehnte Jahrhundert eingeräumt hatte, oft in engen Straßen oder
hinter eiuer hohen, Licht und Luft versperrenden Kirche, in niedrigen Zimmern
mit kleinen Fenstern, engen Gängen und Treppen, dumpfigen Höfen, und die
Ausstattung mit Bibliotheken, Sammlungen und Auschauungsmittelu war
meist dürftig genug. An die Stelle dieser längst ungenügenden Räumlichkeiten
sind seit zwanzig bis dreißig Jahren fast überall stattliche, oft prächtige Neu¬
bauten getreten, für genügende Unterrichts- und Studienmittel ist gesorgt, und
nicht wenige Anstalten besitzen ausgedehnte Spiel- und Turnplätze. Ebenso
hat sich die Stellung der Lehrer verändert. Bis in die ersten Jahrzehnte
unsers Jahrhunderts hinein waren sie teilweise angewiesen auf das Schulgeld,
auf Einkünfte aus dem Kirchendienst, auf kleine Naturalleistungen und auf
Gehalte, die auch damals nicht als reichlich gelten konnten. Von der Welt
hatten die meisten wenig gesehen, und die wenigsten kamen jemals über die
Stadt ihrer Wirksamkeit weit hinaus. Daher war in der öffentlichen Mei¬
nung der herrschende Typus des Gymnasiallehrers der unbeholfene, linkische
Pedant, der sich in seine eigne abgelegne Gedankenwelt einspann, bis er sie
beinahe für wirklicher hielt als die ihn umgebende Wirklichkeit, und der im
öffentlichen Leben oder in der Gesellschaft kaum zu verwenden war. Es ist
der Typus, der in den „Fliegenden Blättern" noch heute sein schattenhaftes
Dasein fristet. Gewiß gedieh in diesem stillen Leben viel tüchtiges Wissen,
viel treuer Fleiß und eine opferwillige Hingebung, um die wir jene Zeit
unsrer Bäter und Großväter vielleicht beneiden können, und gewiß gab es
damals eigenartige, selbständige, wuchtig wirkende Lehrernaturen in größerer
Anzahl als heute, aber um der öffentlichen Schätzung des Lehrerstandes wurde
dadurch wenig geändert. Heute siud alle jene unwürdig und anstößig ge-
wordnen Einnahmequellen beseitigt, die längst flirten, wenngleich noch keines¬
wegs reichlich bemessenen Gehalte geben dem Lehrerstande eine größere Un¬
abhängigkeit von gewissen Rücksichten, als er sie jemals früher genossen hat,
Weltkenntnis und Welterfahrung sind ungleich größer geworden, und auch von
dem äußern Auftreten des Gymnasiallehrers wird heute vorausgesetzt, daß er,
um eine» englischen Begriff anzuwenden, ein Gentleman sei, schon um der
Jugend willen, die er nicht nur unterrichten, sondern auch erziehen soll. Das"
alles entspricht durchaus der mächtig gehobnen Lebenshaltung aller Stände
und nicht zum wenigsten der Thatsache, daß das Studium in der philo¬
sophischen (artistischen) Fakultät nicht mehr wie im Mittelalter nur eine für
die Fachwissenschaften vorbereitende Bildung gewährt, sondern ebensogut wie
das der frühern „obern" Fakultäten ein selbständiges Fachstudium geworden
ist, seitdem das, was früher -u'do« UbvM<Z8 hieß, wesentlich auf die Gymnasien


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[0301] Wandlungen in unserm höhern Schulwesen Neben diesen innern Wandlungen haben sich aber auch die äußern Ver¬ hältnisse gründlich umgestaltet. Bis vor wenigen Jahrzehnten befanden sich die Gymnasien meist noch in denselben wenig veränderten Räumen, die ihnen einst das sechzehnte Jahrhundert eingeräumt hatte, oft in engen Straßen oder hinter eiuer hohen, Licht und Luft versperrenden Kirche, in niedrigen Zimmern mit kleinen Fenstern, engen Gängen und Treppen, dumpfigen Höfen, und die Ausstattung mit Bibliotheken, Sammlungen und Auschauungsmittelu war meist dürftig genug. An die Stelle dieser längst ungenügenden Räumlichkeiten sind seit zwanzig bis dreißig Jahren fast überall stattliche, oft prächtige Neu¬ bauten getreten, für genügende Unterrichts- und Studienmittel ist gesorgt, und nicht wenige Anstalten besitzen ausgedehnte Spiel- und Turnplätze. Ebenso hat sich die Stellung der Lehrer verändert. Bis in die ersten Jahrzehnte unsers Jahrhunderts hinein waren sie teilweise angewiesen auf das Schulgeld, auf Einkünfte aus dem Kirchendienst, auf kleine Naturalleistungen und auf Gehalte, die auch damals nicht als reichlich gelten konnten. Von der Welt hatten die meisten wenig gesehen, und die wenigsten kamen jemals über die Stadt ihrer Wirksamkeit weit hinaus. Daher war in der öffentlichen Mei¬ nung der herrschende Typus des Gymnasiallehrers der unbeholfene, linkische Pedant, der sich in seine eigne abgelegne Gedankenwelt einspann, bis er sie beinahe für wirklicher hielt als die ihn umgebende Wirklichkeit, und der im öffentlichen Leben oder in der Gesellschaft kaum zu verwenden war. Es ist der Typus, der in den „Fliegenden Blättern" noch heute sein schattenhaftes Dasein fristet. Gewiß gedieh in diesem stillen Leben viel tüchtiges Wissen, viel treuer Fleiß und eine opferwillige Hingebung, um die wir jene Zeit unsrer Bäter und Großväter vielleicht beneiden können, und gewiß gab es damals eigenartige, selbständige, wuchtig wirkende Lehrernaturen in größerer Anzahl als heute, aber um der öffentlichen Schätzung des Lehrerstandes wurde dadurch wenig geändert. Heute siud alle jene unwürdig und anstößig ge- wordnen Einnahmequellen beseitigt, die längst flirten, wenngleich noch keines¬ wegs reichlich bemessenen Gehalte geben dem Lehrerstande eine größere Un¬ abhängigkeit von gewissen Rücksichten, als er sie jemals früher genossen hat, Weltkenntnis und Welterfahrung sind ungleich größer geworden, und auch von dem äußern Auftreten des Gymnasiallehrers wird heute vorausgesetzt, daß er, um eine» englischen Begriff anzuwenden, ein Gentleman sei, schon um der Jugend willen, die er nicht nur unterrichten, sondern auch erziehen soll. Das" alles entspricht durchaus der mächtig gehobnen Lebenshaltung aller Stände und nicht zum wenigsten der Thatsache, daß das Studium in der philo¬ sophischen (artistischen) Fakultät nicht mehr wie im Mittelalter nur eine für die Fachwissenschaften vorbereitende Bildung gewährt, sondern ebensogut wie das der frühern „obern" Fakultäten ein selbständiges Fachstudium geworden ist, seitdem das, was früher -u'do« UbvM<Z8 hieß, wesentlich auf die Gymnasien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/301>, abgerufen am 23.07.2024.