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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die preußische Justizverwaltung

aus die wissenschaftliche und praktische Ausbildung von nachteiligem Einfluß
sein mich.

Im Vorstehende" glauben wir in der Hauptsache die Schäden dargelegt
zu haben, an denen die preußische Justiz nunmehr seit bald zwölf Jahren
krankt. Es ist der Mangel an Fühlung zwischen den maßgebenden Vor¬
gesetzten einerseits und Publikum und richterlichen Beamten andrerseits, auf
den diese Schäden zum guten Teile zurückzuführen sind. Dazu kommt eine
unzweifelhaft unglückliche Wahl in der Berufung der maßgebendsten Personen
um die höchsten Stellen, ein Mangel, der heute noch viel empfindlicher zu
Tage tritt, als unter dem Minister Friedberg. Seit Leonhnrdt hat das
Preußische Justizministerium in seine" drei Hauptämtern, dem Minister selbst,
dem ttnterstnatssekretär und dem Ministerialdirektor, keine schöpferische Per¬
sönlichkeit von scharfem und unbefangnen Blick und wirklicher Energie gehabt.
Dies macht sich immer fühlbarer. Ganz besonders gilt dies von den so
wichtigen Entschließungen in Persvnensragen. Dazu kommt, daß in der Zentral¬
stelle augenscheinlich ein Nesfortpartikularismus und eine feudale Abgeschlossen¬
heit herrschen, denen für den Zusammenhang zwischen Rechtspflege in sozialen
und wirtschaftlichen Fragen fast jegliches Verständnis fehlt. Es möge zum
Schluß ein Beispiel dafür angeführt sein. Der Justizminister eines Staates
von dreißig Millionen Einwohnern und der höchste Vorgesetzte von mehr als
zwanzigtausend Beamten ist für die Gesamtheit dieser Interessenten uun schon
seit fast drei Jahren allwöchentlich eine einzige Stunde zu sprechen! Diese
Thatsache sagt wohl mehr als hundert Zeitungsartikel. Jede Nnnuttelbarleit
der Fühlung ist völlig ausgeschlossen: der höchste Justizbeamte ist fast allein
auf die Vorträge seiner Räte angewiesen. Zahlreiche Bewerber versuchen daher
gar nicht erst eine Sekunde Gehör zu erlangen, sondern tragen bitter und mi߬
mutig ihr wirkliches oder vermeintliches sachliches oder persönliches Unrecht.

Bei dieser Sachlage kann es nicht Wunder nehmen, wenn die Stimmen
immer lauter und lauter werden, die da hoffen und bitten, der höchste
Schirmherr des Rechts, der König selbst, möge eingedenk der Überlieferung
seiner großen Vorfahren wie andern Zweigen der Staatsverwaltung auch den
Zustünde" in der Justizverwaltung selbst sein hohes Interesse zuwenden.
Die Klage", die wir zusammenzufassen uns bemüht haben, erschallen von
der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, Beweis genug, daß das
Auge des Staatsoberhaupts auf diese Verhältnisse gelenkt werden muß.
Wenn selbst im preußischen Herrenhause ein Manu von der Bedeutung Dern-
burgs von dem Niedergange des Nichteramts sprechen konnte, ohne Widerspruch
zu finden, so ist wohl die Zeit zum kräftigen Eingreifen gekommen. Denn
heute gilt mehr denn je der Satz: .7u8Ma v^t l'unclÄM0neuen rö^morum.




Die preußische Justizverwaltung

aus die wissenschaftliche und praktische Ausbildung von nachteiligem Einfluß
sein mich.

Im Vorstehende» glauben wir in der Hauptsache die Schäden dargelegt
zu haben, an denen die preußische Justiz nunmehr seit bald zwölf Jahren
krankt. Es ist der Mangel an Fühlung zwischen den maßgebenden Vor¬
gesetzten einerseits und Publikum und richterlichen Beamten andrerseits, auf
den diese Schäden zum guten Teile zurückzuführen sind. Dazu kommt eine
unzweifelhaft unglückliche Wahl in der Berufung der maßgebendsten Personen
um die höchsten Stellen, ein Mangel, der heute noch viel empfindlicher zu
Tage tritt, als unter dem Minister Friedberg. Seit Leonhnrdt hat das
Preußische Justizministerium in seine» drei Hauptämtern, dem Minister selbst,
dem ttnterstnatssekretär und dem Ministerialdirektor, keine schöpferische Per¬
sönlichkeit von scharfem und unbefangnen Blick und wirklicher Energie gehabt.
Dies macht sich immer fühlbarer. Ganz besonders gilt dies von den so
wichtigen Entschließungen in Persvnensragen. Dazu kommt, daß in der Zentral¬
stelle augenscheinlich ein Nesfortpartikularismus und eine feudale Abgeschlossen¬
heit herrschen, denen für den Zusammenhang zwischen Rechtspflege in sozialen
und wirtschaftlichen Fragen fast jegliches Verständnis fehlt. Es möge zum
Schluß ein Beispiel dafür angeführt sein. Der Justizminister eines Staates
von dreißig Millionen Einwohnern und der höchste Vorgesetzte von mehr als
zwanzigtausend Beamten ist für die Gesamtheit dieser Interessenten uun schon
seit fast drei Jahren allwöchentlich eine einzige Stunde zu sprechen! Diese
Thatsache sagt wohl mehr als hundert Zeitungsartikel. Jede Nnnuttelbarleit
der Fühlung ist völlig ausgeschlossen: der höchste Justizbeamte ist fast allein
auf die Vorträge seiner Räte angewiesen. Zahlreiche Bewerber versuchen daher
gar nicht erst eine Sekunde Gehör zu erlangen, sondern tragen bitter und mi߬
mutig ihr wirkliches oder vermeintliches sachliches oder persönliches Unrecht.

Bei dieser Sachlage kann es nicht Wunder nehmen, wenn die Stimmen
immer lauter und lauter werden, die da hoffen und bitten, der höchste
Schirmherr des Rechts, der König selbst, möge eingedenk der Überlieferung
seiner großen Vorfahren wie andern Zweigen der Staatsverwaltung auch den
Zustünde» in der Justizverwaltung selbst sein hohes Interesse zuwenden.
Die Klage», die wir zusammenzufassen uns bemüht haben, erschallen von
der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, Beweis genug, daß das
Auge des Staatsoberhaupts auf diese Verhältnisse gelenkt werden muß.
Wenn selbst im preußischen Herrenhause ein Manu von der Bedeutung Dern-
burgs von dem Niedergange des Nichteramts sprechen konnte, ohne Widerspruch
zu finden, so ist wohl die Zeit zum kräftigen Eingreifen gekommen. Denn
heute gilt mehr denn je der Satz: .7u8Ma v^t l'unclÄM0neuen rö^morum.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/285>, abgerufen am 23.07.2024.