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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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T>le preußische Justizverwaltung

Entsprechend der Verzögerung in der Entscheidung der Prozesse wird an
zahlreichen Gerichten von den Richtern mit vollstem Recht darüber Beschwerde
geführt, das; die Kräfte ganz ungebührlich in Anspruch genommen würden.
Die öfter gehörte Ansicht, daß die Anwälte selbst die Streitigkeiten durch
Terminversäumnisse und Verlegungen hinzögerten, ist gegenüber der Unmög¬
lichkeit zahlreicher Kammern und Senate, die Sachen auch nur einigermaßen
rechtzeitig zum Austrag zu bringen, kaum von Bedeutung, namentlich ange¬
sichts der Strafbefugnisse der Gerichte. Ganz anders steht es mit der Frage
der Überlastung, und wer die Geschäftsthätigkeit der Gerichte kennt, wird
durchaus dem vor einiger Zeit in den Zeitungen mitgeteilten Bericht des
Kammergerichtspräsidenten zustimmen, der erklärte, daß es einfach eine Un¬
möglichkeit sei, mit den zur Verfügung stehenden Kräften die Geschäfte rasch
zu erledigen. Hier mag nur noch erwähnt sein, daß auch die Strafrechts¬
pflege in vielen Fällen, namentlich was die Vorbereitung und die Frist bis
zur Hauptverhandlung angeht, geradezu hinfällig wird, da das Hcmpterfvr-
dernis einer auch sittlich wirkenden Strafrechtspflege -- Schnelligkeit der
Ahndung ^ bei den monatelangen Fristen innerhalb der einzelnen Prozeß -
Stufen ebenfalls unerfüllt bleibt. Daß andrerseits an einzelnen Orten, nament¬
lich an den kleiner" Gerichtssitzen, die Richter lange nicht genug beschäftigt
sind, ist eine Thatsache, die sich im Interesse des rechtsbedürftigen Publi¬
kums meist nicht vermeiden läßt, da ja womöglich jeder Ort von tausend
oder mehr Einwohnern nebst seiner Umgebung mit Recht einen Richter ver¬
langt. Um auf die Überbürdung zurückzukommen, so wird namentlich bei großen
Gerichten durch die Stellvertretung crkrankter oder verhinderter Richter bis¬
weilen unglaubliches gefordert, was namentlich bei Schwurgerichtsperivden
manchmal zu einer vollständigen Kalamität an Land- wie Amtsgerichten aus¬
artet, ja bisweilen die ganze übrige Thätigkeit zum Stillstand bringt.

Für überwiegend unberechtigt dagegen müssen wir die Forderung der
Gehaltserhöhung bei den Richtern erklären, wenigstens bei den Gerichten erster
Instanz. Die allerdings unleugbar ungünstige Lage namentlich der jüngern
Klassen entspringt einerseits aus der Neuorganisation, andrerseits aus der großen
Zahl von Assessorenanwärtern und berechtigt nicht zu der Forderung einer
allgemeinen Aufbesserung. Damit soll nicht gesagt sein, daß eine Gleichstellung
mit den Gehalten der untern Regierungsbeamten nicht im höchsten Grade
wünschenswert sei. Ebenso entbehren die Beschwerden über zu langsames
Ausrücken in gewissem Sinne der Begründung: es liegt in der Natur und
Organisation der Rechtspflege, daß von "Karrieremachen" hier nur sehr bedingt
die Rede sein kann, da es der höhern Stellen überhaupt nur wenig giebt.
Aber andrerseits ist es allerdings ebenso unbestreitbar, daß mit der Schaffung
von höhern Posten -- Landgerichtsdirettvren, Oberlandesgerichtsräten u. s. w.
-- in einer Weise gespart wird, die bisweilen geradezu komisch wirkt. Daß


T>le preußische Justizverwaltung

Entsprechend der Verzögerung in der Entscheidung der Prozesse wird an
zahlreichen Gerichten von den Richtern mit vollstem Recht darüber Beschwerde
geführt, das; die Kräfte ganz ungebührlich in Anspruch genommen würden.
Die öfter gehörte Ansicht, daß die Anwälte selbst die Streitigkeiten durch
Terminversäumnisse und Verlegungen hinzögerten, ist gegenüber der Unmög¬
lichkeit zahlreicher Kammern und Senate, die Sachen auch nur einigermaßen
rechtzeitig zum Austrag zu bringen, kaum von Bedeutung, namentlich ange¬
sichts der Strafbefugnisse der Gerichte. Ganz anders steht es mit der Frage
der Überlastung, und wer die Geschäftsthätigkeit der Gerichte kennt, wird
durchaus dem vor einiger Zeit in den Zeitungen mitgeteilten Bericht des
Kammergerichtspräsidenten zustimmen, der erklärte, daß es einfach eine Un¬
möglichkeit sei, mit den zur Verfügung stehenden Kräften die Geschäfte rasch
zu erledigen. Hier mag nur noch erwähnt sein, daß auch die Strafrechts¬
pflege in vielen Fällen, namentlich was die Vorbereitung und die Frist bis
zur Hauptverhandlung angeht, geradezu hinfällig wird, da das Hcmpterfvr-
dernis einer auch sittlich wirkenden Strafrechtspflege — Schnelligkeit der
Ahndung ^ bei den monatelangen Fristen innerhalb der einzelnen Prozeß -
Stufen ebenfalls unerfüllt bleibt. Daß andrerseits an einzelnen Orten, nament¬
lich an den kleiner« Gerichtssitzen, die Richter lange nicht genug beschäftigt
sind, ist eine Thatsache, die sich im Interesse des rechtsbedürftigen Publi¬
kums meist nicht vermeiden läßt, da ja womöglich jeder Ort von tausend
oder mehr Einwohnern nebst seiner Umgebung mit Recht einen Richter ver¬
langt. Um auf die Überbürdung zurückzukommen, so wird namentlich bei großen
Gerichten durch die Stellvertretung crkrankter oder verhinderter Richter bis¬
weilen unglaubliches gefordert, was namentlich bei Schwurgerichtsperivden
manchmal zu einer vollständigen Kalamität an Land- wie Amtsgerichten aus¬
artet, ja bisweilen die ganze übrige Thätigkeit zum Stillstand bringt.

Für überwiegend unberechtigt dagegen müssen wir die Forderung der
Gehaltserhöhung bei den Richtern erklären, wenigstens bei den Gerichten erster
Instanz. Die allerdings unleugbar ungünstige Lage namentlich der jüngern
Klassen entspringt einerseits aus der Neuorganisation, andrerseits aus der großen
Zahl von Assessorenanwärtern und berechtigt nicht zu der Forderung einer
allgemeinen Aufbesserung. Damit soll nicht gesagt sein, daß eine Gleichstellung
mit den Gehalten der untern Regierungsbeamten nicht im höchsten Grade
wünschenswert sei. Ebenso entbehren die Beschwerden über zu langsames
Ausrücken in gewissem Sinne der Begründung: es liegt in der Natur und
Organisation der Rechtspflege, daß von „Karrieremachen" hier nur sehr bedingt
die Rede sein kann, da es der höhern Stellen überhaupt nur wenig giebt.
Aber andrerseits ist es allerdings ebenso unbestreitbar, daß mit der Schaffung
von höhern Posten — Landgerichtsdirettvren, Oberlandesgerichtsräten u. s. w.
— in einer Weise gespart wird, die bisweilen geradezu komisch wirkt. Daß


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[0276] T>le preußische Justizverwaltung Entsprechend der Verzögerung in der Entscheidung der Prozesse wird an zahlreichen Gerichten von den Richtern mit vollstem Recht darüber Beschwerde geführt, das; die Kräfte ganz ungebührlich in Anspruch genommen würden. Die öfter gehörte Ansicht, daß die Anwälte selbst die Streitigkeiten durch Terminversäumnisse und Verlegungen hinzögerten, ist gegenüber der Unmög¬ lichkeit zahlreicher Kammern und Senate, die Sachen auch nur einigermaßen rechtzeitig zum Austrag zu bringen, kaum von Bedeutung, namentlich ange¬ sichts der Strafbefugnisse der Gerichte. Ganz anders steht es mit der Frage der Überlastung, und wer die Geschäftsthätigkeit der Gerichte kennt, wird durchaus dem vor einiger Zeit in den Zeitungen mitgeteilten Bericht des Kammergerichtspräsidenten zustimmen, der erklärte, daß es einfach eine Un¬ möglichkeit sei, mit den zur Verfügung stehenden Kräften die Geschäfte rasch zu erledigen. Hier mag nur noch erwähnt sein, daß auch die Strafrechts¬ pflege in vielen Fällen, namentlich was die Vorbereitung und die Frist bis zur Hauptverhandlung angeht, geradezu hinfällig wird, da das Hcmpterfvr- dernis einer auch sittlich wirkenden Strafrechtspflege — Schnelligkeit der Ahndung ^ bei den monatelangen Fristen innerhalb der einzelnen Prozeß - Stufen ebenfalls unerfüllt bleibt. Daß andrerseits an einzelnen Orten, nament¬ lich an den kleiner« Gerichtssitzen, die Richter lange nicht genug beschäftigt sind, ist eine Thatsache, die sich im Interesse des rechtsbedürftigen Publi¬ kums meist nicht vermeiden läßt, da ja womöglich jeder Ort von tausend oder mehr Einwohnern nebst seiner Umgebung mit Recht einen Richter ver¬ langt. Um auf die Überbürdung zurückzukommen, so wird namentlich bei großen Gerichten durch die Stellvertretung crkrankter oder verhinderter Richter bis¬ weilen unglaubliches gefordert, was namentlich bei Schwurgerichtsperivden manchmal zu einer vollständigen Kalamität an Land- wie Amtsgerichten aus¬ artet, ja bisweilen die ganze übrige Thätigkeit zum Stillstand bringt. Für überwiegend unberechtigt dagegen müssen wir die Forderung der Gehaltserhöhung bei den Richtern erklären, wenigstens bei den Gerichten erster Instanz. Die allerdings unleugbar ungünstige Lage namentlich der jüngern Klassen entspringt einerseits aus der Neuorganisation, andrerseits aus der großen Zahl von Assessorenanwärtern und berechtigt nicht zu der Forderung einer allgemeinen Aufbesserung. Damit soll nicht gesagt sein, daß eine Gleichstellung mit den Gehalten der untern Regierungsbeamten nicht im höchsten Grade wünschenswert sei. Ebenso entbehren die Beschwerden über zu langsames Ausrücken in gewissem Sinne der Begründung: es liegt in der Natur und Organisation der Rechtspflege, daß von „Karrieremachen" hier nur sehr bedingt die Rede sein kann, da es der höhern Stellen überhaupt nur wenig giebt. Aber andrerseits ist es allerdings ebenso unbestreitbar, daß mit der Schaffung von höhern Posten — Landgerichtsdirettvren, Oberlandesgerichtsräten u. s. w. — in einer Weise gespart wird, die bisweilen geradezu komisch wirkt. Daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/276>, abgerufen am 23.07.2024.