Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr Monaten zwischen den einzelnen Terminen verhandelt werden, dies in
zahlreichen Fällen geradezu dasselbe wie Rechtsverweigerung ist und mit der
völligen Unmöglichkeit einer reellen Gestaltung des Kredits verknüpft sein
muß. Daß sich Prozesse uur aus diese" Gründen zwei, drei, vier und noch
mehr Jahre hinschleppen, ist bereits eine Erscheinung geworden, die leider --
für das Publikum nichts befremdendes mehr hat; die alte preußische Über¬
lieferung einer "prompter Justiz" ist in vielen Fällen vollständig zur Mythe
geworden.

Diese Erscheinung ist aber um so bedenklicher, als sie oft begleitet ist
von einer nicht minder bedenklichen, nämlich der der llrteilsfälluug gegen das
im Volke wurzelnde lebendige Rechtsbewußtsein. In wie weit hier unser ver¬
altetes positives Recht sowohl auf dem Gebiete des gemeinen Rechts wie des
allgemeinen Landrechts die Schuld trägt, wollen wir nicht entscheide", nur
wollen vo" dem bürgerlichen Gesetzlmche das beste hoffen. Wohl aber steht
fest, daß auch in dieser Beziehung die Verwaltung in der Justiz eine große
Rolle spielt hinsichtlich der Ausbildung der Richter im Vorbereitungsdienst
und der um sie gestellten Anforderungen in Bezug auf rechtswissenschaft¬
liche und praktische wirtschaftlich-soziale Kenntnisse. Daß das juristische Stu¬
dium selbst wie die Prüfungen und die Ausbildung der Referendare im höchste"
Grade zu wünschen übrig läßt, .und daß die Jnstizverwaltnng nicht zur Klar¬
heit in Bezug auf deu Sitz des Übels, geschweige denu über seine Abstellung
gekommen ist, bedarf bei dem unaufhörlichen Erperime"tirer mit Prüfungs-
vrdnungcn, Änderung der Vorschriften über den Vorbereitungsdienst u. s. w.
keiner weiter" Darlegung. Es herrscht augenscheinlich in dieser Beziehung
sowohl bei den Provinzialbehörden wie in der Zentrale eine Unklarheit,
wie sie die Maßnahmen keines andern Ressorts aufweisen. Daß die Klagen
des Publikums begründet sind, unterliegt angesichts zahlreicher Urteile in
Preß-, Börsen-, Handels-, Strafsachen u. s. w. keinen, Zweifel. Wir werden
also zu untersuchen haben, wo die Schäden eigentlich sitzen.

Als drittes tritt eine glücklicherweise verhältnismäßig noch selten sich
kundgebende büreaukmtische Behandlung in der praktischen Rechtspflege zu
Tage, die wohl mit Recht auf eine gewisse allzu autoritative Richtung der letzten
Jahre zurückgeführt wird und ihre Wurzel in der Amtsauffasfung der innern
Verwaltung unter dein Minister Puttkamer hat. Doch ist sie offenbar im Ab¬
sterben begriffen, und das ist bei der V'erwirrnng, die in den Köpfen zahl¬
reicher jüngerer Juristen über "Feudalität," "Schneidigkeit," "Patentheit" n. s. w.
einzureißen begann, nur in hohem Grade erfreulich; solche Richter hätten für
das Land geradezu unheilvoll werden können.

Damit kommen wir zum zweiten Teil unsers Themas, zu den Klagen
ans dem Nichterstande selbst. Wir "vollen hier die drei Klassen der etats¬
mäßigen Richter selbst, der Assessoren und der Referendare durchgehen.


mehr Monaten zwischen den einzelnen Terminen verhandelt werden, dies in
zahlreichen Fällen geradezu dasselbe wie Rechtsverweigerung ist und mit der
völligen Unmöglichkeit einer reellen Gestaltung des Kredits verknüpft sein
muß. Daß sich Prozesse uur aus diese» Gründen zwei, drei, vier und noch
mehr Jahre hinschleppen, ist bereits eine Erscheinung geworden, die leider —
für das Publikum nichts befremdendes mehr hat; die alte preußische Über¬
lieferung einer „prompter Justiz" ist in vielen Fällen vollständig zur Mythe
geworden.

Diese Erscheinung ist aber um so bedenklicher, als sie oft begleitet ist
von einer nicht minder bedenklichen, nämlich der der llrteilsfälluug gegen das
im Volke wurzelnde lebendige Rechtsbewußtsein. In wie weit hier unser ver¬
altetes positives Recht sowohl auf dem Gebiete des gemeinen Rechts wie des
allgemeinen Landrechts die Schuld trägt, wollen wir nicht entscheide», nur
wollen vo» dem bürgerlichen Gesetzlmche das beste hoffen. Wohl aber steht
fest, daß auch in dieser Beziehung die Verwaltung in der Justiz eine große
Rolle spielt hinsichtlich der Ausbildung der Richter im Vorbereitungsdienst
und der um sie gestellten Anforderungen in Bezug auf rechtswissenschaft¬
liche und praktische wirtschaftlich-soziale Kenntnisse. Daß das juristische Stu¬
dium selbst wie die Prüfungen und die Ausbildung der Referendare im höchste»
Grade zu wünschen übrig läßt, .und daß die Jnstizverwaltnng nicht zur Klar¬
heit in Bezug auf deu Sitz des Übels, geschweige denu über seine Abstellung
gekommen ist, bedarf bei dem unaufhörlichen Erperime»tirer mit Prüfungs-
vrdnungcn, Änderung der Vorschriften über den Vorbereitungsdienst u. s. w.
keiner weiter» Darlegung. Es herrscht augenscheinlich in dieser Beziehung
sowohl bei den Provinzialbehörden wie in der Zentrale eine Unklarheit,
wie sie die Maßnahmen keines andern Ressorts aufweisen. Daß die Klagen
des Publikums begründet sind, unterliegt angesichts zahlreicher Urteile in
Preß-, Börsen-, Handels-, Strafsachen u. s. w. keinen, Zweifel. Wir werden
also zu untersuchen haben, wo die Schäden eigentlich sitzen.

Als drittes tritt eine glücklicherweise verhältnismäßig noch selten sich
kundgebende büreaukmtische Behandlung in der praktischen Rechtspflege zu
Tage, die wohl mit Recht auf eine gewisse allzu autoritative Richtung der letzten
Jahre zurückgeführt wird und ihre Wurzel in der Amtsauffasfung der innern
Verwaltung unter dein Minister Puttkamer hat. Doch ist sie offenbar im Ab¬
sterben begriffen, und das ist bei der V'erwirrnng, die in den Köpfen zahl¬
reicher jüngerer Juristen über „Feudalität," „Schneidigkeit," „Patentheit" n. s. w.
einzureißen begann, nur in hohem Grade erfreulich; solche Richter hätten für
das Land geradezu unheilvoll werden können.

Damit kommen wir zum zweiten Teil unsers Themas, zu den Klagen
ans dem Nichterstande selbst. Wir »vollen hier die drei Klassen der etats¬
mäßigen Richter selbst, der Assessoren und der Referendare durchgehen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211443"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_844" prev="#ID_843"> mehr Monaten zwischen den einzelnen Terminen verhandelt werden, dies in<lb/>
zahlreichen Fällen geradezu dasselbe wie Rechtsverweigerung ist und mit der<lb/>
völligen Unmöglichkeit einer reellen Gestaltung des Kredits verknüpft sein<lb/>
muß. Daß sich Prozesse uur aus diese» Gründen zwei, drei, vier und noch<lb/>
mehr Jahre hinschleppen, ist bereits eine Erscheinung geworden, die leider &#x2014;<lb/>
für das Publikum nichts befremdendes mehr hat; die alte preußische Über¬<lb/>
lieferung einer &#x201E;prompter Justiz" ist in vielen Fällen vollständig zur Mythe<lb/>
geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_845"> Diese Erscheinung ist aber um so bedenklicher, als sie oft begleitet ist<lb/>
von einer nicht minder bedenklichen, nämlich der der llrteilsfälluug gegen das<lb/>
im Volke wurzelnde lebendige Rechtsbewußtsein. In wie weit hier unser ver¬<lb/>
altetes positives Recht sowohl auf dem Gebiete des gemeinen Rechts wie des<lb/>
allgemeinen Landrechts die Schuld trägt, wollen wir nicht entscheide», nur<lb/>
wollen vo» dem bürgerlichen Gesetzlmche das beste hoffen. Wohl aber steht<lb/>
fest, daß auch in dieser Beziehung die Verwaltung in der Justiz eine große<lb/>
Rolle spielt hinsichtlich der Ausbildung der Richter im Vorbereitungsdienst<lb/>
und der um sie gestellten Anforderungen in Bezug auf rechtswissenschaft¬<lb/>
liche und praktische wirtschaftlich-soziale Kenntnisse. Daß das juristische Stu¬<lb/>
dium selbst wie die Prüfungen und die Ausbildung der Referendare im höchste»<lb/>
Grade zu wünschen übrig läßt, .und daß die Jnstizverwaltnng nicht zur Klar¬<lb/>
heit in Bezug auf deu Sitz des Übels, geschweige denu über seine Abstellung<lb/>
gekommen ist, bedarf bei dem unaufhörlichen Erperime»tirer mit Prüfungs-<lb/>
vrdnungcn, Änderung der Vorschriften über den Vorbereitungsdienst u. s. w.<lb/>
keiner weiter» Darlegung. Es herrscht augenscheinlich in dieser Beziehung<lb/>
sowohl bei den Provinzialbehörden wie in der Zentrale eine Unklarheit,<lb/>
wie sie die Maßnahmen keines andern Ressorts aufweisen. Daß die Klagen<lb/>
des Publikums begründet sind, unterliegt angesichts zahlreicher Urteile in<lb/>
Preß-, Börsen-, Handels-, Strafsachen u. s. w. keinen, Zweifel. Wir werden<lb/>
also zu untersuchen haben, wo die Schäden eigentlich sitzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846"> Als drittes tritt eine glücklicherweise verhältnismäßig noch selten sich<lb/>
kundgebende büreaukmtische Behandlung in der praktischen Rechtspflege zu<lb/>
Tage, die wohl mit Recht auf eine gewisse allzu autoritative Richtung der letzten<lb/>
Jahre zurückgeführt wird und ihre Wurzel in der Amtsauffasfung der innern<lb/>
Verwaltung unter dein Minister Puttkamer hat. Doch ist sie offenbar im Ab¬<lb/>
sterben begriffen, und das ist bei der V'erwirrnng, die in den Köpfen zahl¬<lb/>
reicher jüngerer Juristen über &#x201E;Feudalität," &#x201E;Schneidigkeit," &#x201E;Patentheit" n. s. w.<lb/>
einzureißen begann, nur in hohem Grade erfreulich; solche Richter hätten für<lb/>
das Land geradezu unheilvoll werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_847"> Damit kommen wir zum zweiten Teil unsers Themas, zu den Klagen<lb/>
ans dem Nichterstande selbst. Wir »vollen hier die drei Klassen der etats¬<lb/>
mäßigen Richter selbst, der Assessoren und der Referendare durchgehen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] mehr Monaten zwischen den einzelnen Terminen verhandelt werden, dies in zahlreichen Fällen geradezu dasselbe wie Rechtsverweigerung ist und mit der völligen Unmöglichkeit einer reellen Gestaltung des Kredits verknüpft sein muß. Daß sich Prozesse uur aus diese» Gründen zwei, drei, vier und noch mehr Jahre hinschleppen, ist bereits eine Erscheinung geworden, die leider — für das Publikum nichts befremdendes mehr hat; die alte preußische Über¬ lieferung einer „prompter Justiz" ist in vielen Fällen vollständig zur Mythe geworden. Diese Erscheinung ist aber um so bedenklicher, als sie oft begleitet ist von einer nicht minder bedenklichen, nämlich der der llrteilsfälluug gegen das im Volke wurzelnde lebendige Rechtsbewußtsein. In wie weit hier unser ver¬ altetes positives Recht sowohl auf dem Gebiete des gemeinen Rechts wie des allgemeinen Landrechts die Schuld trägt, wollen wir nicht entscheide», nur wollen vo» dem bürgerlichen Gesetzlmche das beste hoffen. Wohl aber steht fest, daß auch in dieser Beziehung die Verwaltung in der Justiz eine große Rolle spielt hinsichtlich der Ausbildung der Richter im Vorbereitungsdienst und der um sie gestellten Anforderungen in Bezug auf rechtswissenschaft¬ liche und praktische wirtschaftlich-soziale Kenntnisse. Daß das juristische Stu¬ dium selbst wie die Prüfungen und die Ausbildung der Referendare im höchste» Grade zu wünschen übrig läßt, .und daß die Jnstizverwaltnng nicht zur Klar¬ heit in Bezug auf deu Sitz des Übels, geschweige denu über seine Abstellung gekommen ist, bedarf bei dem unaufhörlichen Erperime»tirer mit Prüfungs- vrdnungcn, Änderung der Vorschriften über den Vorbereitungsdienst u. s. w. keiner weiter» Darlegung. Es herrscht augenscheinlich in dieser Beziehung sowohl bei den Provinzialbehörden wie in der Zentrale eine Unklarheit, wie sie die Maßnahmen keines andern Ressorts aufweisen. Daß die Klagen des Publikums begründet sind, unterliegt angesichts zahlreicher Urteile in Preß-, Börsen-, Handels-, Strafsachen u. s. w. keinen, Zweifel. Wir werden also zu untersuchen haben, wo die Schäden eigentlich sitzen. Als drittes tritt eine glücklicherweise verhältnismäßig noch selten sich kundgebende büreaukmtische Behandlung in der praktischen Rechtspflege zu Tage, die wohl mit Recht auf eine gewisse allzu autoritative Richtung der letzten Jahre zurückgeführt wird und ihre Wurzel in der Amtsauffasfung der innern Verwaltung unter dein Minister Puttkamer hat. Doch ist sie offenbar im Ab¬ sterben begriffen, und das ist bei der V'erwirrnng, die in den Köpfen zahl¬ reicher jüngerer Juristen über „Feudalität," „Schneidigkeit," „Patentheit" n. s. w. einzureißen begann, nur in hohem Grade erfreulich; solche Richter hätten für das Land geradezu unheilvoll werden können. Damit kommen wir zum zweiten Teil unsers Themas, zu den Klagen ans dem Nichterstande selbst. Wir »vollen hier die drei Klassen der etats¬ mäßigen Richter selbst, der Assessoren und der Referendare durchgehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/275>, abgerufen am 23.07.2024.