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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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politischen Parteiungen fern zu halten und sich nur der wirtschaftlichen Orga¬
nisation zu widmen. So berichtet von der Osten, mit dessen trefflicher
Schrift^) sich diese Zeilen beschäftigen sollen, daß sich von den 400 zur
Zeit der ersten französischen Weltausstellung nach Paris einberufenen Arbeiter-
delegirten nur vierzehn bei der vier Jahre später errichteten Kommune kom-
promittirt haben, lind hat es nicht eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit
mit dem neuesten ^Streit der Alten und der Jungen in der deutscheu Sozial-
demokratie, wenn schon 1882 auf dem Kongreß zu Se. Etienne die Marxisten
den Brvussisten oder Pvssibilisteu vorwarfen, daß sie die Partei zu einer par¬
lamentarischen zu machen, statt des revolutionären Umsturzes das Mögliche
zu erreichen suchten, wenn man den Ausschluß von Guesde und Genossen
beantragt, und wenn diese, bevor der Antrag von der possibilistischeu Mehrheit
angenommen wird, 2/! Mann stark den Saal verlassen, um in Roaune ge¬
sondert zu tagen?

Die Anfänge des Sozialismus in Frankreich sind den Greuzbvtenlesern
bereits ans einem frühern Aufsätze in Nnnuner II des Jahrganges 18W
bekannt. Mau wird sich ferner erinnern, daß Napoleon III. die Interessen
des vierten Standes aus Gründen somohl der Politik als der Humanität
mächtig gefördert hat. Er entschloß sieh, die bis dusin verbotnen Arbeiter-
koalitionen wenigstens stillschweigend zu dulden, und ermöglichte durch das
Gesetz vom 24. Juli 1867 ihren engern Zusammenschluß. Freilich zunächst
mir mit dem Erfolge, daß durch zahllose und maßlose Aufstände eine an¬
archische Verwirrung i" der Industrie angerichtet wurde. Von dem Rück¬
schlag der politischen Ereignisse des Jahres 1871 beginnen sich die arbeitenden
Klassen erst I87l> wieder zu erholen. Die folgenden Jahre gelten dem Kampfe
zwischen der politisch-revolutionären und der Fachvereinsrichtung innerhalb
der Arbeiterpartei, bis sich 1880 auf dem Nationalkongreß zu Havre die end-
giltige Spaltung zwischen Kvllektivisten und Prvgressisten vollzieht (die -iSmen
und -ihter sind nnn einmal in Frankreich zu Hause). Um diese Zeit zählt
mau bereits 350 Fachvereine mit 60000 Mitgliedern, die vielfach noch auf
die Kompagnvunage, (d. i- die Gesellen-) Verbände des alten Regime zurück¬
reichen. Sie finden mehr und mehr auch die Anerkennung der Arbeitgeber-,
verbände, die ihrerseits an die alten Innungen anknüpfen. Sie befassen sich
vorzugsweise mit der Arbeiterversicherung, der Fürsorge für den Arbeitsnach¬
weis, zum Teil in Gemeinschaft mit den Unternehmerverbänden, mit dem
Lehrlings- und Fachschulwesen und mit der Geselligkeitspflege, sie begründen
Konsumvereine und Produktivgenossenschaften. Die Union national"? der Ar¬
beitgeber und die Union As8 "pretio-re" ouvrior" treten mit einander in regel-



Die Fnchvereine und die soziale Bewegung in Frankreich. Pini ^>r. ,jur.
M. von der Osten. Leipzig, Duncker und Hinnblv!, (>0! S.)

politischen Parteiungen fern zu halten und sich nur der wirtschaftlichen Orga¬
nisation zu widmen. So berichtet von der Osten, mit dessen trefflicher
Schrift^) sich diese Zeilen beschäftigen sollen, daß sich von den 400 zur
Zeit der ersten französischen Weltausstellung nach Paris einberufenen Arbeiter-
delegirten nur vierzehn bei der vier Jahre später errichteten Kommune kom-
promittirt haben, lind hat es nicht eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit
mit dem neuesten ^Streit der Alten und der Jungen in der deutscheu Sozial-
demokratie, wenn schon 1882 auf dem Kongreß zu Se. Etienne die Marxisten
den Brvussisten oder Pvssibilisteu vorwarfen, daß sie die Partei zu einer par¬
lamentarischen zu machen, statt des revolutionären Umsturzes das Mögliche
zu erreichen suchten, wenn man den Ausschluß von Guesde und Genossen
beantragt, und wenn diese, bevor der Antrag von der possibilistischeu Mehrheit
angenommen wird, 2/! Mann stark den Saal verlassen, um in Roaune ge¬
sondert zu tagen?

Die Anfänge des Sozialismus in Frankreich sind den Greuzbvtenlesern
bereits ans einem frühern Aufsätze in Nnnuner II des Jahrganges 18W
bekannt. Mau wird sich ferner erinnern, daß Napoleon III. die Interessen
des vierten Standes aus Gründen somohl der Politik als der Humanität
mächtig gefördert hat. Er entschloß sieh, die bis dusin verbotnen Arbeiter-
koalitionen wenigstens stillschweigend zu dulden, und ermöglichte durch das
Gesetz vom 24. Juli 1867 ihren engern Zusammenschluß. Freilich zunächst
mir mit dem Erfolge, daß durch zahllose und maßlose Aufstände eine an¬
archische Verwirrung i» der Industrie angerichtet wurde. Von dem Rück¬
schlag der politischen Ereignisse des Jahres 1871 beginnen sich die arbeitenden
Klassen erst I87l> wieder zu erholen. Die folgenden Jahre gelten dem Kampfe
zwischen der politisch-revolutionären und der Fachvereinsrichtung innerhalb
der Arbeiterpartei, bis sich 1880 auf dem Nationalkongreß zu Havre die end-
giltige Spaltung zwischen Kvllektivisten und Prvgressisten vollzieht (die -iSmen
und -ihter sind nnn einmal in Frankreich zu Hause). Um diese Zeit zählt
mau bereits 350 Fachvereine mit 60000 Mitgliedern, die vielfach noch auf
die Kompagnvunage, (d. i- die Gesellen-) Verbände des alten Regime zurück¬
reichen. Sie finden mehr und mehr auch die Anerkennung der Arbeitgeber-,
verbände, die ihrerseits an die alten Innungen anknüpfen. Sie befassen sich
vorzugsweise mit der Arbeiterversicherung, der Fürsorge für den Arbeitsnach¬
weis, zum Teil in Gemeinschaft mit den Unternehmerverbänden, mit dem
Lehrlings- und Fachschulwesen und mit der Geselligkeitspflege, sie begründen
Konsumvereine und Produktivgenossenschaften. Die Union national«? der Ar¬
beitgeber und die Union As8 »pretio-re« ouvrior« treten mit einander in regel-



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[0266] politischen Parteiungen fern zu halten und sich nur der wirtschaftlichen Orga¬ nisation zu widmen. So berichtet von der Osten, mit dessen trefflicher Schrift^) sich diese Zeilen beschäftigen sollen, daß sich von den 400 zur Zeit der ersten französischen Weltausstellung nach Paris einberufenen Arbeiter- delegirten nur vierzehn bei der vier Jahre später errichteten Kommune kom- promittirt haben, lind hat es nicht eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit dem neuesten ^Streit der Alten und der Jungen in der deutscheu Sozial- demokratie, wenn schon 1882 auf dem Kongreß zu Se. Etienne die Marxisten den Brvussisten oder Pvssibilisteu vorwarfen, daß sie die Partei zu einer par¬ lamentarischen zu machen, statt des revolutionären Umsturzes das Mögliche zu erreichen suchten, wenn man den Ausschluß von Guesde und Genossen beantragt, und wenn diese, bevor der Antrag von der possibilistischeu Mehrheit angenommen wird, 2/! Mann stark den Saal verlassen, um in Roaune ge¬ sondert zu tagen? Die Anfänge des Sozialismus in Frankreich sind den Greuzbvtenlesern bereits ans einem frühern Aufsätze in Nnnuner II des Jahrganges 18W bekannt. Mau wird sich ferner erinnern, daß Napoleon III. die Interessen des vierten Standes aus Gründen somohl der Politik als der Humanität mächtig gefördert hat. Er entschloß sieh, die bis dusin verbotnen Arbeiter- koalitionen wenigstens stillschweigend zu dulden, und ermöglichte durch das Gesetz vom 24. Juli 1867 ihren engern Zusammenschluß. Freilich zunächst mir mit dem Erfolge, daß durch zahllose und maßlose Aufstände eine an¬ archische Verwirrung i» der Industrie angerichtet wurde. Von dem Rück¬ schlag der politischen Ereignisse des Jahres 1871 beginnen sich die arbeitenden Klassen erst I87l> wieder zu erholen. Die folgenden Jahre gelten dem Kampfe zwischen der politisch-revolutionären und der Fachvereinsrichtung innerhalb der Arbeiterpartei, bis sich 1880 auf dem Nationalkongreß zu Havre die end- giltige Spaltung zwischen Kvllektivisten und Prvgressisten vollzieht (die -iSmen und -ihter sind nnn einmal in Frankreich zu Hause). Um diese Zeit zählt mau bereits 350 Fachvereine mit 60000 Mitgliedern, die vielfach noch auf die Kompagnvunage, (d. i- die Gesellen-) Verbände des alten Regime zurück¬ reichen. Sie finden mehr und mehr auch die Anerkennung der Arbeitgeber-, verbände, die ihrerseits an die alten Innungen anknüpfen. Sie befassen sich vorzugsweise mit der Arbeiterversicherung, der Fürsorge für den Arbeitsnach¬ weis, zum Teil in Gemeinschaft mit den Unternehmerverbänden, mit dem Lehrlings- und Fachschulwesen und mit der Geselligkeitspflege, sie begründen Konsumvereine und Produktivgenossenschaften. Die Union national«? der Ar¬ beitgeber und die Union As8 »pretio-re« ouvrior« treten mit einander in regel- Die Fnchvereine und die soziale Bewegung in Frankreich. Pini ^>r. ,jur. M. von der Osten. Leipzig, Duncker und Hinnblv!, (>0! S.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/266>, abgerufen am 23.07.2024.