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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das volksschulgesetz

Landrecht bezeichnet zwar die Schulen als Unternehmungen des Staats,
fordert aber nur, daß dergleichen Anstalten mit Vorwissen und Genehmigung
des Staats errichtet werden, und macht zum Träger der einzelnen Schulen
die Schulgemeiude, das heißt die Summe der Hausväter. Und das ist das
richtige. Die Pflicht der Erziehung liegt dem Hausvater ob; er hat diese
Pflicht seinem Kinde gegenüber und dein Staate gegenüber auszuüben, woraus
folgt, daß der Staat die Erfüllung dieser Pflicht fordern kann und die Mög--
lichkeit, daß es geschehe, bieten muß; es folgt weiter daraus, daß der Staat als
Vertreter sämtlicher Hausväter Regulative giebt, aber nicht, daß er dem Hanse
seine Kinder nimmt und sie nach seiner Weise und zu seinem Nutzen erzieht.
Diese Grenze ist aber uicht immer eingehalten worden, man hat die Schule
unter dem Beifall derer, die jetzt jammern, zu einem Kampfmittel, zu einer
Waffe staatlicher Macht gebrauchen wollen. Der Staat giebt nichts auf, wenn
er sich auf seine eignen Grenzen zurückzieht. Er giebt nichts auf, wenn er
gestattet, daß neben dem öffentlichen Unterricht auch der Privatunterricht Platz
finde, wenn dieser nur leistet, was verlangt werden kann, und wenn er unter
staatlicher Aufsicht steht.

Man hat die theoretische Seite des Unterrichts überschützt und geglaubt,
dnrch Mehrung des Wissens vortreffliche Menschen erziehen zu können, man
hat die Klassiker in die Volksschule gebracht, die Realien mit Stoff überlastet,
eine Art naturwissenschaftlicher Mystik ins Volk geworfen -- wir könnten
Wunderdinge aus Lesebüchern berichten --, man hat erwartet, daß Bildung
frei machen, und daß sich der verständige Mensch ganz von selbst sagen werde,
was er zu thun und zu lassen habe, und man hat damit einen vollkommnen
Mißerfolg gehabt. Es ist nicht länger möglich, davor die Augen zuzumachen.
Es hat nie an einsichtigen Pädagogen gefehlt, die gewarnt und den Mißerfolg
vorausgesagt haben, es ist kein Wunder, daß diese nunmehr wieder zu Worte
kommen. Man sieht es ein, daß die Erziehung den Willen zu gewinnen und
zu bestimmen hat, und daß jetzt hierbei der Schule die Arbeit zufällt, die
eigentlich dem Hause obliegt; mau begreift, daß die Schule mit den leeren
Begriffen des Wahren, Guten und Schönen, mit den "ewigen Sittlichkeits¬
gesetzen" nichts ansaugen kann, daß sie der konkreten Form der Religion be¬
darf, und zwar nicht einer verwaschnen und verschwvmmnen Sammelreligiou,
sondern des Glaubens, den das Volk bekennt und mit dein es verwachsen ist.
Von dem Geiste dieses Glaubens muß der gesamte Unterricht beseelt sein, das
fordert schon die pädagogische Methode. Dies ist aber nichts andres als die
konfessionelle Schule. Es knüpfen sich an diesen Namen unerfreuliche Erin¬
nerungen, es ist aber durchaus nicht nötig, alte Fehler noch einmal zu machen.

Die Bestimmungen des neuen Entwurfs, die die meiste Gegnerschaft
finden, beziehen sich darauf, daß die Schule als konfessionelle Schule betrachtet,
daß der Kirche Einfluß auf den Religionsunterricht gewährt und daß die


Das volksschulgesetz

Landrecht bezeichnet zwar die Schulen als Unternehmungen des Staats,
fordert aber nur, daß dergleichen Anstalten mit Vorwissen und Genehmigung
des Staats errichtet werden, und macht zum Träger der einzelnen Schulen
die Schulgemeiude, das heißt die Summe der Hausväter. Und das ist das
richtige. Die Pflicht der Erziehung liegt dem Hausvater ob; er hat diese
Pflicht seinem Kinde gegenüber und dein Staate gegenüber auszuüben, woraus
folgt, daß der Staat die Erfüllung dieser Pflicht fordern kann und die Mög--
lichkeit, daß es geschehe, bieten muß; es folgt weiter daraus, daß der Staat als
Vertreter sämtlicher Hausväter Regulative giebt, aber nicht, daß er dem Hanse
seine Kinder nimmt und sie nach seiner Weise und zu seinem Nutzen erzieht.
Diese Grenze ist aber uicht immer eingehalten worden, man hat die Schule
unter dem Beifall derer, die jetzt jammern, zu einem Kampfmittel, zu einer
Waffe staatlicher Macht gebrauchen wollen. Der Staat giebt nichts auf, wenn
er sich auf seine eignen Grenzen zurückzieht. Er giebt nichts auf, wenn er
gestattet, daß neben dem öffentlichen Unterricht auch der Privatunterricht Platz
finde, wenn dieser nur leistet, was verlangt werden kann, und wenn er unter
staatlicher Aufsicht steht.

Man hat die theoretische Seite des Unterrichts überschützt und geglaubt,
dnrch Mehrung des Wissens vortreffliche Menschen erziehen zu können, man
hat die Klassiker in die Volksschule gebracht, die Realien mit Stoff überlastet,
eine Art naturwissenschaftlicher Mystik ins Volk geworfen — wir könnten
Wunderdinge aus Lesebüchern berichten —, man hat erwartet, daß Bildung
frei machen, und daß sich der verständige Mensch ganz von selbst sagen werde,
was er zu thun und zu lassen habe, und man hat damit einen vollkommnen
Mißerfolg gehabt. Es ist nicht länger möglich, davor die Augen zuzumachen.
Es hat nie an einsichtigen Pädagogen gefehlt, die gewarnt und den Mißerfolg
vorausgesagt haben, es ist kein Wunder, daß diese nunmehr wieder zu Worte
kommen. Man sieht es ein, daß die Erziehung den Willen zu gewinnen und
zu bestimmen hat, und daß jetzt hierbei der Schule die Arbeit zufällt, die
eigentlich dem Hause obliegt; mau begreift, daß die Schule mit den leeren
Begriffen des Wahren, Guten und Schönen, mit den „ewigen Sittlichkeits¬
gesetzen" nichts ansaugen kann, daß sie der konkreten Form der Religion be¬
darf, und zwar nicht einer verwaschnen und verschwvmmnen Sammelreligiou,
sondern des Glaubens, den das Volk bekennt und mit dein es verwachsen ist.
Von dem Geiste dieses Glaubens muß der gesamte Unterricht beseelt sein, das
fordert schon die pädagogische Methode. Dies ist aber nichts andres als die
konfessionelle Schule. Es knüpfen sich an diesen Namen unerfreuliche Erin¬
nerungen, es ist aber durchaus nicht nötig, alte Fehler noch einmal zu machen.

Die Bestimmungen des neuen Entwurfs, die die meiste Gegnerschaft
finden, beziehen sich darauf, daß die Schule als konfessionelle Schule betrachtet,
daß der Kirche Einfluß auf den Religionsunterricht gewährt und daß die


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[0253] Das volksschulgesetz Landrecht bezeichnet zwar die Schulen als Unternehmungen des Staats, fordert aber nur, daß dergleichen Anstalten mit Vorwissen und Genehmigung des Staats errichtet werden, und macht zum Träger der einzelnen Schulen die Schulgemeiude, das heißt die Summe der Hausväter. Und das ist das richtige. Die Pflicht der Erziehung liegt dem Hausvater ob; er hat diese Pflicht seinem Kinde gegenüber und dein Staate gegenüber auszuüben, woraus folgt, daß der Staat die Erfüllung dieser Pflicht fordern kann und die Mög-- lichkeit, daß es geschehe, bieten muß; es folgt weiter daraus, daß der Staat als Vertreter sämtlicher Hausväter Regulative giebt, aber nicht, daß er dem Hanse seine Kinder nimmt und sie nach seiner Weise und zu seinem Nutzen erzieht. Diese Grenze ist aber uicht immer eingehalten worden, man hat die Schule unter dem Beifall derer, die jetzt jammern, zu einem Kampfmittel, zu einer Waffe staatlicher Macht gebrauchen wollen. Der Staat giebt nichts auf, wenn er sich auf seine eignen Grenzen zurückzieht. Er giebt nichts auf, wenn er gestattet, daß neben dem öffentlichen Unterricht auch der Privatunterricht Platz finde, wenn dieser nur leistet, was verlangt werden kann, und wenn er unter staatlicher Aufsicht steht. Man hat die theoretische Seite des Unterrichts überschützt und geglaubt, dnrch Mehrung des Wissens vortreffliche Menschen erziehen zu können, man hat die Klassiker in die Volksschule gebracht, die Realien mit Stoff überlastet, eine Art naturwissenschaftlicher Mystik ins Volk geworfen — wir könnten Wunderdinge aus Lesebüchern berichten —, man hat erwartet, daß Bildung frei machen, und daß sich der verständige Mensch ganz von selbst sagen werde, was er zu thun und zu lassen habe, und man hat damit einen vollkommnen Mißerfolg gehabt. Es ist nicht länger möglich, davor die Augen zuzumachen. Es hat nie an einsichtigen Pädagogen gefehlt, die gewarnt und den Mißerfolg vorausgesagt haben, es ist kein Wunder, daß diese nunmehr wieder zu Worte kommen. Man sieht es ein, daß die Erziehung den Willen zu gewinnen und zu bestimmen hat, und daß jetzt hierbei der Schule die Arbeit zufällt, die eigentlich dem Hause obliegt; mau begreift, daß die Schule mit den leeren Begriffen des Wahren, Guten und Schönen, mit den „ewigen Sittlichkeits¬ gesetzen" nichts ansaugen kann, daß sie der konkreten Form der Religion be¬ darf, und zwar nicht einer verwaschnen und verschwvmmnen Sammelreligiou, sondern des Glaubens, den das Volk bekennt und mit dein es verwachsen ist. Von dem Geiste dieses Glaubens muß der gesamte Unterricht beseelt sein, das fordert schon die pädagogische Methode. Dies ist aber nichts andres als die konfessionelle Schule. Es knüpfen sich an diesen Namen unerfreuliche Erin¬ nerungen, es ist aber durchaus nicht nötig, alte Fehler noch einmal zu machen. Die Bestimmungen des neuen Entwurfs, die die meiste Gegnerschaft finden, beziehen sich darauf, daß die Schule als konfessionelle Schule betrachtet, daß der Kirche Einfluß auf den Religionsunterricht gewährt und daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/253>, abgerufen am 23.07.2024.