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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das voltsschulgesetz

Diese Urteile würden sich sicher in größern Schranken gehalten haben,
wenn man sie zurückgehalten hätte, bis der Wortlaut des Entwurfs bekannt
war. Es war vielleicht ein Fehler gewesen, einzelne Stücke des Gesetzes im
voraus bekannt werden zu lassen, aber sicher hat der Kultusminister von
Zedlitz-Trütschler Recht, wenn er den Angriffen Rickerts gegenüber die Frage
auswirft, ob Nickert auch das Gesetz durchgelesen habe. Denn es ist bei
sachlicher Prüfung des Entwurfs wirklich nicht einzusehen, womit man jene
leidenschaftlichen Angriffe begründe" will, wenn anch, wie wir gleich im vor¬
aus bemerken Wollen, gewisse Stücke zu ernsten Einwänden Anlaß geben.

Nehmen wir an, die Lage wäre so, wie sie dargestellt wird, daß der
Staat mit dem Zentrum regiert, nehmen wir an, der Staat müsse dem Zen¬
trum Zugeständnisse machen, um eine geschlossene Partei zu haben, auf die
er sich stützen kann, so läge doch die Frage nahe: Wer ist denn daran schuld,
wenn nicht die, die jetzt vor Entrüstung außer sich geraten? Man könnte sich
belustigen über den Unverstand jener Herren, die dem Zentrum auf die Beine
geholfen haben und um zum Dank in den Sand gesetzt werden, wenn nicht
die Lage zu ernst und der Boden unter den Füßen zu heiß wäre. Wir
müßten es freilich selbst als Beschämung empfinden, daß der evangelische Staat
der katholischen Partei zur Stütze des Thrones bedarf, und daß die evangelische
Schule ihr Schulgesetz unter gnädiger Bewilligung von Rom empfängt. Wir
würden aber nicht einmal überrascht sein dürfen, es wäre ja mir die alte
deutsche Misere. Aber noch ist es ja nicht soweit.

Wir verdenken es dem Liberalismus nicht, daß er mit diesem Schulgesetze
sehr unzufrieden ist, aber mau hat auch keinen Grund, mit den Leistungen des
Liberalismus aus dein Schulgebiete zufrieden zu sein. Der neue Kurs verfolgt
eine Richtung, die von den Zielen der alten Kulturkämpfer weit entfernt ist,
und die mau diesen Bestrebungen gegenüber allerdings als Reaktion bezeichnen
kann. Die "Frankfurter Zeitung" bezeichnet die Aufgabe der Schule folgender¬
maßen: die Unterweisung der Jugend in den Kenntnissen, die zur Erfüllung
der bürgerlichen Pflichten und zur Ausübung der bürgerlichen Rechte not¬
wendig sind, ist Aufgabe und Zweck des Volksschulunterrichts, der darum aus¬
schließlich Staatssache sein muß. Nur in Bezug auf die religiöse Erziehung
haben die Eltern mitzureden, also werde der Jugend -- natürlich unter staat¬
licher Aufsicht -- auch ein von der Schule getrennter religiöser Unterricht
gegeben. Die Armseligkeit und Oberflächlichkeit dieser Aufgabe läßt nichts zu
wünschen übrig. Diese Zutünftsschulc würde trefflich in den sozialistische,:
Zukunftsstaat passen. Sie läuft auf die Expropriation der Jugend hinaus
zu Gunsten eines harten und überspannten Staatsbegriffes. Sollten Eltern
keine weitern Absichten mit ihren Kindern und leine weitern Rechte auf sie haben,
als sie zu leistungsfähigen Steuerzahlern und gesinnungstüchtigen Wählern zu
erziehen? Wo bleibt das beste am Menschen, nämlich der Mensch selbst? Das


Das voltsschulgesetz

Diese Urteile würden sich sicher in größern Schranken gehalten haben,
wenn man sie zurückgehalten hätte, bis der Wortlaut des Entwurfs bekannt
war. Es war vielleicht ein Fehler gewesen, einzelne Stücke des Gesetzes im
voraus bekannt werden zu lassen, aber sicher hat der Kultusminister von
Zedlitz-Trütschler Recht, wenn er den Angriffen Rickerts gegenüber die Frage
auswirft, ob Nickert auch das Gesetz durchgelesen habe. Denn es ist bei
sachlicher Prüfung des Entwurfs wirklich nicht einzusehen, womit man jene
leidenschaftlichen Angriffe begründe» will, wenn anch, wie wir gleich im vor¬
aus bemerken Wollen, gewisse Stücke zu ernsten Einwänden Anlaß geben.

Nehmen wir an, die Lage wäre so, wie sie dargestellt wird, daß der
Staat mit dem Zentrum regiert, nehmen wir an, der Staat müsse dem Zen¬
trum Zugeständnisse machen, um eine geschlossene Partei zu haben, auf die
er sich stützen kann, so läge doch die Frage nahe: Wer ist denn daran schuld,
wenn nicht die, die jetzt vor Entrüstung außer sich geraten? Man könnte sich
belustigen über den Unverstand jener Herren, die dem Zentrum auf die Beine
geholfen haben und um zum Dank in den Sand gesetzt werden, wenn nicht
die Lage zu ernst und der Boden unter den Füßen zu heiß wäre. Wir
müßten es freilich selbst als Beschämung empfinden, daß der evangelische Staat
der katholischen Partei zur Stütze des Thrones bedarf, und daß die evangelische
Schule ihr Schulgesetz unter gnädiger Bewilligung von Rom empfängt. Wir
würden aber nicht einmal überrascht sein dürfen, es wäre ja mir die alte
deutsche Misere. Aber noch ist es ja nicht soweit.

Wir verdenken es dem Liberalismus nicht, daß er mit diesem Schulgesetze
sehr unzufrieden ist, aber mau hat auch keinen Grund, mit den Leistungen des
Liberalismus aus dein Schulgebiete zufrieden zu sein. Der neue Kurs verfolgt
eine Richtung, die von den Zielen der alten Kulturkämpfer weit entfernt ist,
und die mau diesen Bestrebungen gegenüber allerdings als Reaktion bezeichnen
kann. Die „Frankfurter Zeitung" bezeichnet die Aufgabe der Schule folgender¬
maßen: die Unterweisung der Jugend in den Kenntnissen, die zur Erfüllung
der bürgerlichen Pflichten und zur Ausübung der bürgerlichen Rechte not¬
wendig sind, ist Aufgabe und Zweck des Volksschulunterrichts, der darum aus¬
schließlich Staatssache sein muß. Nur in Bezug auf die religiöse Erziehung
haben die Eltern mitzureden, also werde der Jugend — natürlich unter staat¬
licher Aufsicht — auch ein von der Schule getrennter religiöser Unterricht
gegeben. Die Armseligkeit und Oberflächlichkeit dieser Aufgabe läßt nichts zu
wünschen übrig. Diese Zutünftsschulc würde trefflich in den sozialistische,:
Zukunftsstaat passen. Sie läuft auf die Expropriation der Jugend hinaus
zu Gunsten eines harten und überspannten Staatsbegriffes. Sollten Eltern
keine weitern Absichten mit ihren Kindern und leine weitern Rechte auf sie haben,
als sie zu leistungsfähigen Steuerzahlern und gesinnungstüchtigen Wählern zu
erziehen? Wo bleibt das beste am Menschen, nämlich der Mensch selbst? Das


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[0252] Das voltsschulgesetz Diese Urteile würden sich sicher in größern Schranken gehalten haben, wenn man sie zurückgehalten hätte, bis der Wortlaut des Entwurfs bekannt war. Es war vielleicht ein Fehler gewesen, einzelne Stücke des Gesetzes im voraus bekannt werden zu lassen, aber sicher hat der Kultusminister von Zedlitz-Trütschler Recht, wenn er den Angriffen Rickerts gegenüber die Frage auswirft, ob Nickert auch das Gesetz durchgelesen habe. Denn es ist bei sachlicher Prüfung des Entwurfs wirklich nicht einzusehen, womit man jene leidenschaftlichen Angriffe begründe» will, wenn anch, wie wir gleich im vor¬ aus bemerken Wollen, gewisse Stücke zu ernsten Einwänden Anlaß geben. Nehmen wir an, die Lage wäre so, wie sie dargestellt wird, daß der Staat mit dem Zentrum regiert, nehmen wir an, der Staat müsse dem Zen¬ trum Zugeständnisse machen, um eine geschlossene Partei zu haben, auf die er sich stützen kann, so läge doch die Frage nahe: Wer ist denn daran schuld, wenn nicht die, die jetzt vor Entrüstung außer sich geraten? Man könnte sich belustigen über den Unverstand jener Herren, die dem Zentrum auf die Beine geholfen haben und um zum Dank in den Sand gesetzt werden, wenn nicht die Lage zu ernst und der Boden unter den Füßen zu heiß wäre. Wir müßten es freilich selbst als Beschämung empfinden, daß der evangelische Staat der katholischen Partei zur Stütze des Thrones bedarf, und daß die evangelische Schule ihr Schulgesetz unter gnädiger Bewilligung von Rom empfängt. Wir würden aber nicht einmal überrascht sein dürfen, es wäre ja mir die alte deutsche Misere. Aber noch ist es ja nicht soweit. Wir verdenken es dem Liberalismus nicht, daß er mit diesem Schulgesetze sehr unzufrieden ist, aber mau hat auch keinen Grund, mit den Leistungen des Liberalismus aus dein Schulgebiete zufrieden zu sein. Der neue Kurs verfolgt eine Richtung, die von den Zielen der alten Kulturkämpfer weit entfernt ist, und die mau diesen Bestrebungen gegenüber allerdings als Reaktion bezeichnen kann. Die „Frankfurter Zeitung" bezeichnet die Aufgabe der Schule folgender¬ maßen: die Unterweisung der Jugend in den Kenntnissen, die zur Erfüllung der bürgerlichen Pflichten und zur Ausübung der bürgerlichen Rechte not¬ wendig sind, ist Aufgabe und Zweck des Volksschulunterrichts, der darum aus¬ schließlich Staatssache sein muß. Nur in Bezug auf die religiöse Erziehung haben die Eltern mitzureden, also werde der Jugend — natürlich unter staat¬ licher Aufsicht — auch ein von der Schule getrennter religiöser Unterricht gegeben. Die Armseligkeit und Oberflächlichkeit dieser Aufgabe läßt nichts zu wünschen übrig. Diese Zutünftsschulc würde trefflich in den sozialistische,: Zukunftsstaat passen. Sie läuft auf die Expropriation der Jugend hinaus zu Gunsten eines harten und überspannten Staatsbegriffes. Sollten Eltern keine weitern Absichten mit ihren Kindern und leine weitern Rechte auf sie haben, als sie zu leistungsfähigen Steuerzahlern und gesinnungstüchtigen Wählern zu erziehen? Wo bleibt das beste am Menschen, nämlich der Mensch selbst? Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/252>, abgerufen am 23.07.2024.