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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Schneidergewerbe, bei den Arbeite" der Textilindustrie und insbesondre im
Barbier- und Friseurgeschäft Verbreitung,

Von den sechs in Berlin gegründeten ArbeilerbildnngSschulen sind zwei
wegen Mangel an Mittel" wieder eingestellt worden. Den Schulen gehören
viertausend Mitglieder an; doch besuchen nnr tausend den Unterricht, der an
Wochentagen regelmäßig von sechs bis zehn Uhr abends erteilt wird.

Bei diesen Anstrengungen der Sozialdemokratie hat die Gegenbewegung
'"einen schweren Stand. In Thüringen sollen die evangelischen Arbeitervereine
an Terrain gewinnen. In den katholischen Gegenden schreitet die Bildung
der von Geistliche" geleiteten Arbeitervereine weiter fort. Ju Posen und
einige" Städten Schlesiens haben sich auch in de" bürgerliche" Kreise" Vereine
zur Bekämpfung der Sozialdemokratie aufgethan. Noch sind also Sozialdemo-
kratie und Arbeiterschaft nicht zwei sich deckende Größen, aber es unterliegt
wohl keinem Zweifel, daß dieser Prozeß beständig im Fortschreiten begriffen
ist. Bemerkenswert ist, daß der Verein der Porzellanmaler, der bisher dem
Verbände der Gewerkvereine angehörte, aus diesem ausgeschieden -- es ist das
der erste Fall seit t875! -- und in die Reihe der sozialdemokratischen Fach-
Vereine eingetreten ist. Der Verein zählt viertausend Mitglieder. Auch unter
den Buchdruckern haben wenigstens in Berlin die Sozialdemokraten die Ober¬
hand bekommen. Darüber hat die letzte dortige Gehilsenversammlung, worin
das Ende des großen Streiks verkündet wurde, keinen Zweifel gelassen.

Wir haben die vorstehende" Mitten""ge" wieder in erster Linie den
Berichten der Tagespresse entnommen, die täglich im Reichsanzeiger unter der
Rubrik "Arbeiterbewegung" zusammengestellt werden. Sie zeigen, daß man
von einem sozialen Frieden noch immer sehr weit entfernt ist. Mit Einschluß
der im vorigen Aufsatze mitgeteilten Statistik haben sich im Jahre 1891 gegen
vierzigtausend Arbeiter an Streiks beteiligt. Zwei Arbeitseinstellungen waren
von größeren Umfange. Aber auch die vielen kleinen lassen recht die Bedeu¬
tung des Koalitionsrechtes für die Arbeiter erkennen. Sind sie auch meist
verloren gegangen, so haben sie wohl doch die Arbeiter vor noch weiter¬
gehenden Lvhuherabsetzungen geschützt. Allerdings ist das mit großen Opfern
um Geld und durch Erduldung von Maßregelungen erkauft worden. Der
Lvhnausfall, den die Streiks zur Folge gehabt haben, ist ans viele hundert¬
tausend Mark zu schätzen. Hierzu kommt noch der Schade, den die Arbeit¬
geber infolge der Unbotmäßigkeit ihrer Arbeiter erlitten haben. Gegenüber
dieser vom wirtschaftlichen Standpunkte als roh zu bezeichnenden Art, die
Arbeitsbedingungen zu regeln, wenn keine Übereinstimmung zwischen den Par¬
teien herrscht, sollte mau es doch mit den gewerblichen Schiedsgerichten mehr
als bisher versuchen. Leider finden diese nnr langsam Eingang.

Die mehrfach berichtete angeblich schlechte Behandlung der Arbeiter, die
ebenfalls vielfach zu Streiks Veranlassung gegeben hat, zeigt, wenn sie ans


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Schneidergewerbe, bei den Arbeite» der Textilindustrie und insbesondre im
Barbier- und Friseurgeschäft Verbreitung,

Von den sechs in Berlin gegründeten ArbeilerbildnngSschulen sind zwei
wegen Mangel an Mittel» wieder eingestellt worden. Den Schulen gehören
viertausend Mitglieder an; doch besuchen nnr tausend den Unterricht, der an
Wochentagen regelmäßig von sechs bis zehn Uhr abends erteilt wird.

Bei diesen Anstrengungen der Sozialdemokratie hat die Gegenbewegung
'"einen schweren Stand. In Thüringen sollen die evangelischen Arbeitervereine
an Terrain gewinnen. In den katholischen Gegenden schreitet die Bildung
der von Geistliche» geleiteten Arbeitervereine weiter fort. Ju Posen und
einige» Städten Schlesiens haben sich auch in de» bürgerliche» Kreise» Vereine
zur Bekämpfung der Sozialdemokratie aufgethan. Noch sind also Sozialdemo-
kratie und Arbeiterschaft nicht zwei sich deckende Größen, aber es unterliegt
wohl keinem Zweifel, daß dieser Prozeß beständig im Fortschreiten begriffen
ist. Bemerkenswert ist, daß der Verein der Porzellanmaler, der bisher dem
Verbände der Gewerkvereine angehörte, aus diesem ausgeschieden — es ist das
der erste Fall seit t875! — und in die Reihe der sozialdemokratischen Fach-
Vereine eingetreten ist. Der Verein zählt viertausend Mitglieder. Auch unter
den Buchdruckern haben wenigstens in Berlin die Sozialdemokraten die Ober¬
hand bekommen. Darüber hat die letzte dortige Gehilsenversammlung, worin
das Ende des großen Streiks verkündet wurde, keinen Zweifel gelassen.

Wir haben die vorstehende» Mitten»»ge» wieder in erster Linie den
Berichten der Tagespresse entnommen, die täglich im Reichsanzeiger unter der
Rubrik „Arbeiterbewegung" zusammengestellt werden. Sie zeigen, daß man
von einem sozialen Frieden noch immer sehr weit entfernt ist. Mit Einschluß
der im vorigen Aufsatze mitgeteilten Statistik haben sich im Jahre 1891 gegen
vierzigtausend Arbeiter an Streiks beteiligt. Zwei Arbeitseinstellungen waren
von größeren Umfange. Aber auch die vielen kleinen lassen recht die Bedeu¬
tung des Koalitionsrechtes für die Arbeiter erkennen. Sind sie auch meist
verloren gegangen, so haben sie wohl doch die Arbeiter vor noch weiter¬
gehenden Lvhuherabsetzungen geschützt. Allerdings ist das mit großen Opfern
um Geld und durch Erduldung von Maßregelungen erkauft worden. Der
Lvhnausfall, den die Streiks zur Folge gehabt haben, ist ans viele hundert¬
tausend Mark zu schätzen. Hierzu kommt noch der Schade, den die Arbeit¬
geber infolge der Unbotmäßigkeit ihrer Arbeiter erlitten haben. Gegenüber
dieser vom wirtschaftlichen Standpunkte als roh zu bezeichnenden Art, die
Arbeitsbedingungen zu regeln, wenn keine Übereinstimmung zwischen den Par¬
teien herrscht, sollte mau es doch mit den gewerblichen Schiedsgerichten mehr
als bisher versuchen. Leider finden diese nnr langsam Eingang.

Die mehrfach berichtete angeblich schlechte Behandlung der Arbeiter, die
ebenfalls vielfach zu Streiks Veranlassung gegeben hat, zeigt, wenn sie ans


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[0217] ver secirt der A»beleckt>co»g»ng Schneidergewerbe, bei den Arbeite» der Textilindustrie und insbesondre im Barbier- und Friseurgeschäft Verbreitung, Von den sechs in Berlin gegründeten ArbeilerbildnngSschulen sind zwei wegen Mangel an Mittel» wieder eingestellt worden. Den Schulen gehören viertausend Mitglieder an; doch besuchen nnr tausend den Unterricht, der an Wochentagen regelmäßig von sechs bis zehn Uhr abends erteilt wird. Bei diesen Anstrengungen der Sozialdemokratie hat die Gegenbewegung '"einen schweren Stand. In Thüringen sollen die evangelischen Arbeitervereine an Terrain gewinnen. In den katholischen Gegenden schreitet die Bildung der von Geistliche» geleiteten Arbeitervereine weiter fort. Ju Posen und einige» Städten Schlesiens haben sich auch in de» bürgerliche» Kreise» Vereine zur Bekämpfung der Sozialdemokratie aufgethan. Noch sind also Sozialdemo- kratie und Arbeiterschaft nicht zwei sich deckende Größen, aber es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dieser Prozeß beständig im Fortschreiten begriffen ist. Bemerkenswert ist, daß der Verein der Porzellanmaler, der bisher dem Verbände der Gewerkvereine angehörte, aus diesem ausgeschieden — es ist das der erste Fall seit t875! — und in die Reihe der sozialdemokratischen Fach- Vereine eingetreten ist. Der Verein zählt viertausend Mitglieder. Auch unter den Buchdruckern haben wenigstens in Berlin die Sozialdemokraten die Ober¬ hand bekommen. Darüber hat die letzte dortige Gehilsenversammlung, worin das Ende des großen Streiks verkündet wurde, keinen Zweifel gelassen. Wir haben die vorstehende» Mitten»»ge» wieder in erster Linie den Berichten der Tagespresse entnommen, die täglich im Reichsanzeiger unter der Rubrik „Arbeiterbewegung" zusammengestellt werden. Sie zeigen, daß man von einem sozialen Frieden noch immer sehr weit entfernt ist. Mit Einschluß der im vorigen Aufsatze mitgeteilten Statistik haben sich im Jahre 1891 gegen vierzigtausend Arbeiter an Streiks beteiligt. Zwei Arbeitseinstellungen waren von größeren Umfange. Aber auch die vielen kleinen lassen recht die Bedeu¬ tung des Koalitionsrechtes für die Arbeiter erkennen. Sind sie auch meist verloren gegangen, so haben sie wohl doch die Arbeiter vor noch weiter¬ gehenden Lvhuherabsetzungen geschützt. Allerdings ist das mit großen Opfern um Geld und durch Erduldung von Maßregelungen erkauft worden. Der Lvhnausfall, den die Streiks zur Folge gehabt haben, ist ans viele hundert¬ tausend Mark zu schätzen. Hierzu kommt noch der Schade, den die Arbeit¬ geber infolge der Unbotmäßigkeit ihrer Arbeiter erlitten haben. Gegenüber dieser vom wirtschaftlichen Standpunkte als roh zu bezeichnenden Art, die Arbeitsbedingungen zu regeln, wenn keine Übereinstimmung zwischen den Par¬ teien herrscht, sollte mau es doch mit den gewerblichen Schiedsgerichten mehr als bisher versuchen. Leider finden diese nnr langsam Eingang. Die mehrfach berichtete angeblich schlechte Behandlung der Arbeiter, die ebenfalls vielfach zu Streiks Veranlassung gegeben hat, zeigt, wenn sie ans Grenzlwtt'ii l 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/217>, abgerufen am 23.07.2024.