Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Arbeitseinstellungen und Linigungsämter Es liegt uns nun fern, die Forderungen der streikenden Buchdrucker auf Zum bessern Verständnis dieser Frage ist ein Rückblick auf die Geschichte Einigungsämter zur Entscheidung von Streitigkeiten um Änderungen des ") Bergleiche darüber den Aufsatz im 48. Hefte der Grenzboten von 1891.
Arbeitseinstellungen und Linigungsämter Es liegt uns nun fern, die Forderungen der streikenden Buchdrucker auf Zum bessern Verständnis dieser Frage ist ein Rückblick auf die Geschichte Einigungsämter zur Entscheidung von Streitigkeiten um Änderungen des ") Bergleiche darüber den Aufsatz im 48. Hefte der Grenzboten von 1891.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211330"/> <fw type="header" place="top"> Arbeitseinstellungen und Linigungsämter</fw><lb/> <p xml:id="ID_477"> Es liegt uns nun fern, die Forderungen der streikenden Buchdrucker auf<lb/> ihre Berechtigung oder Nichtberechtigung hin zu prüfen; das Ergebnis einer<lb/> solchen Prüfung wäre auch gleichgiltig für die Beurteilung der Frage, die<lb/> wir hier erörtern wollen. Nur das glauben wir hervorheben zu müssen, daß<lb/> sich nach unsrer Ansicht die Sachlage dadurch verändert hat, daß die Buch-<lb/> druckerbeweguug vollständig in sozialdemokratisches Fahrwasser geleitet worden<lb/> ist. Die Sozialdemokratie erstrebt nicht den sozialen Frieden; sie hat den<lb/> Klassenkampf auf ihre Fahne geschrieben, sie feiert, wie es in einem Beschlusse<lb/> des Brüsseler Kongresses ausdrücklich heißt, „zur Bekundung des Klassenkampfes"<lb/> alljährlich den ersten Mai. In dem Augenblicke, wo der Unterstützungsverein<lb/> deutscher Buchdrucker in das sozialdemokratische Lager überging, hörte er auch<lb/> auf, ein dem Prinzipalverein gleichartiger Kontrahent zu sein. Ein Verband<lb/> von Arbeitern, der so enge Fühlung mit der Sozialdemokratie gesucht und<lb/> gefunden hat, wie der Gehilfenvcrband im Vuchdruckgewerbe, wird nimmer-<lb/> mehr als eine Organisation betrachtet werden können, die unter Anerkennung<lb/> der berechtigten Interessen der Unternehmer die Erhaltung des Friedens fördern<lb/> will. Anders war es, als der Verband noch im Gegensatz zu den sozialdemo-<lb/> kratischen Bestrebungen stand. Daß zu dieser Zeit eine Einigung zwischen<lb/> Prinzipalen und Gehilfen nicht erzielt wurde, legt es uns nahe, zu untersuchen,<lb/> ob die Zusammensetzung der Tarifkommission für Deutschlands Buchdrucker<lb/> auch wirklich die Gewähr einer erfolgreichen Thätigkeit als Einigungs¬<lb/> amt bot.</p><lb/> <p xml:id="ID_478"> Zum bessern Verständnis dieser Frage ist ein Rückblick auf die Geschichte<lb/> der Einigungsämter überhaupt nötig.</p><lb/> <p xml:id="ID_479" next="#ID_480"> Einigungsämter zur Entscheidung von Streitigkeiten um Änderungen des<lb/> Arbeitsvertrages wurden zuerst in England in den sechziger Jahren von<lb/> Mundella und Kettle errichtet. Nach diesen Männern unterscheidet man auch<lb/> ein „System Mundella" und ein „System Kettle." Der Unterschied liegt<lb/> im wesentlichen in zwei Punkten. Nach dem System Mundellas wählen die<lb/> Mitglieder des Einiguugsamtes, die zur einen Hälfte aus Vertretern der Ar¬<lb/> beitgeber, zur andern aus Vertretern der Arbeiter bestehen, den Vorsitzenden<lb/> aus ihrer Mitte; nach dem System Kettles ernennen die Mitglieder des<lb/> Einigungsamtes einen Unparteiischen, der nötigenfalls eine Entscheidung fällt.<lb/> Das letzte System ermöglicht auch die Durchführung des Schiedsspruches durch<lb/> Zwang (durch die Grasschaftsgerichte, wenn die Entscheidung nicht gesetz¬<lb/> widrig ist), es schafft als Grundlage solcher Durchführung einen für beide Teile<lb/> bindenden Vertrag und befaßt sich natürlich nur mit Streitigkeiten solcher Ar¬<lb/> beitgeber und Arbeiter, die in ihrem Arbeitsverträge die rechtlich bindende Ver¬<lb/> pflichtung, sich dem Spruche des Einigungsamtes zu unterwerfen, übernommen</p><lb/> <note xml:id="FID_12" place="foot"> ") Bergleiche darüber den Aufsatz im 48. Hefte der Grenzboten von 1891.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Arbeitseinstellungen und Linigungsämter
Es liegt uns nun fern, die Forderungen der streikenden Buchdrucker auf
ihre Berechtigung oder Nichtberechtigung hin zu prüfen; das Ergebnis einer
solchen Prüfung wäre auch gleichgiltig für die Beurteilung der Frage, die
wir hier erörtern wollen. Nur das glauben wir hervorheben zu müssen, daß
sich nach unsrer Ansicht die Sachlage dadurch verändert hat, daß die Buch-
druckerbeweguug vollständig in sozialdemokratisches Fahrwasser geleitet worden
ist. Die Sozialdemokratie erstrebt nicht den sozialen Frieden; sie hat den
Klassenkampf auf ihre Fahne geschrieben, sie feiert, wie es in einem Beschlusse
des Brüsseler Kongresses ausdrücklich heißt, „zur Bekundung des Klassenkampfes"
alljährlich den ersten Mai. In dem Augenblicke, wo der Unterstützungsverein
deutscher Buchdrucker in das sozialdemokratische Lager überging, hörte er auch
auf, ein dem Prinzipalverein gleichartiger Kontrahent zu sein. Ein Verband
von Arbeitern, der so enge Fühlung mit der Sozialdemokratie gesucht und
gefunden hat, wie der Gehilfenvcrband im Vuchdruckgewerbe, wird nimmer-
mehr als eine Organisation betrachtet werden können, die unter Anerkennung
der berechtigten Interessen der Unternehmer die Erhaltung des Friedens fördern
will. Anders war es, als der Verband noch im Gegensatz zu den sozialdemo-
kratischen Bestrebungen stand. Daß zu dieser Zeit eine Einigung zwischen
Prinzipalen und Gehilfen nicht erzielt wurde, legt es uns nahe, zu untersuchen,
ob die Zusammensetzung der Tarifkommission für Deutschlands Buchdrucker
auch wirklich die Gewähr einer erfolgreichen Thätigkeit als Einigungs¬
amt bot.
Zum bessern Verständnis dieser Frage ist ein Rückblick auf die Geschichte
der Einigungsämter überhaupt nötig.
Einigungsämter zur Entscheidung von Streitigkeiten um Änderungen des
Arbeitsvertrages wurden zuerst in England in den sechziger Jahren von
Mundella und Kettle errichtet. Nach diesen Männern unterscheidet man auch
ein „System Mundella" und ein „System Kettle." Der Unterschied liegt
im wesentlichen in zwei Punkten. Nach dem System Mundellas wählen die
Mitglieder des Einiguugsamtes, die zur einen Hälfte aus Vertretern der Ar¬
beitgeber, zur andern aus Vertretern der Arbeiter bestehen, den Vorsitzenden
aus ihrer Mitte; nach dem System Kettles ernennen die Mitglieder des
Einigungsamtes einen Unparteiischen, der nötigenfalls eine Entscheidung fällt.
Das letzte System ermöglicht auch die Durchführung des Schiedsspruches durch
Zwang (durch die Grasschaftsgerichte, wenn die Entscheidung nicht gesetz¬
widrig ist), es schafft als Grundlage solcher Durchführung einen für beide Teile
bindenden Vertrag und befaßt sich natürlich nur mit Streitigkeiten solcher Ar¬
beitgeber und Arbeiter, die in ihrem Arbeitsverträge die rechtlich bindende Ver¬
pflichtung, sich dem Spruche des Einigungsamtes zu unterwerfen, übernommen
") Bergleiche darüber den Aufsatz im 48. Hefte der Grenzboten von 1891.
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