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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der Sozialdemokratio vom psychologischen Standpunkt

das ganze menschliche Wissen und Können, bald nur einen kleinen Teil um¬
faßt. Sieht man überhaupt von der Eleiuentarbildnug (Lesen, Schreiben und
Rechnen als Grundlage jeder Bildung) ab, so giebt es dreierlei Arten von
Bildung: allgemeine Bildung, Berufsbildung und politische Bildung, die
wenigstens heutzutage hinzutreten sollte.

Die allgemeine Bildung umfaßt alle Interessen, die uicht dem Beruf oder
der Politik angehören, sie ist es, die vorzugsweise vou der "guten Gesellschaft"
verlangt wird. Ebendeswegen sind aber auch die Forderungen bezüglich der all¬
gemeine" Bildung sehr verschieden, je nach den Gesellschaftskreisen und dem
Zeitalter, die sie stellen. Im großen und ganzen sind aber diese Forderungen
doch nicht so verschiede", daß sie nicht alle gemeinsame Kennzeichen auswiesen.
Diese bestehen darin, daß stets eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit des
eignen Volkes, der Erzeugnisse seines Geistes verlangt wird, und darin, daß
man von jedem Gebildeten fordert, daß er bis zu einem gewissen Grade die
Fähigkeit erworben habe, sich in fremde Allsdrucksweise und fremdes Denken
und Fühlen nicht nur hineinzudenken, sondern auch seine Gedanken in ange¬
messener Form zu äußern. Mit andern Worten: Geschichte, Litteratur und
Sprachkeuutms sind die drei unverrückbaren Forderungen jeder allgemeinen
Bildung, weil dnrch sie die Gemeinschaft der Vergangenheit und der Gegen¬
wart aufrecht erhalten und ein gegenseitiges Berstäudnis gesichert wird; denn
die Gebildeten sind es ja, die nicht nur die Kultur eines Volkes weiter zu ent¬
wickeln haben <was nnr aus Grund der Vergangenheit geschehen kaum), sondern
die auch eine Erkenntnis der allgemeinen Bedürfnisse der Nation zu erwerben
und ihnen einen angemessenen Ausdruck zu verschaffen suchen müssen, was nur
durch die Sprachkcnntms als Mittel des Verständnisses fremder Gedanken und
Gefühle und der Mitteilung der eignen an andre bewirkt werden kann. Was
für Forderungen sollst noch an den "Gebildeten" gestellt werden, wird je nach
dem Gesellschaftskreise und dem Zeitalter, dem er angehört, verschieden sein.

iSchluß jolgt)




Die Bekämpfung der Sozialdemokratio vom psychologischen Standpunkt

das ganze menschliche Wissen und Können, bald nur einen kleinen Teil um¬
faßt. Sieht man überhaupt von der Eleiuentarbildnug (Lesen, Schreiben und
Rechnen als Grundlage jeder Bildung) ab, so giebt es dreierlei Arten von
Bildung: allgemeine Bildung, Berufsbildung und politische Bildung, die
wenigstens heutzutage hinzutreten sollte.

Die allgemeine Bildung umfaßt alle Interessen, die uicht dem Beruf oder
der Politik angehören, sie ist es, die vorzugsweise vou der „guten Gesellschaft"
verlangt wird. Ebendeswegen sind aber auch die Forderungen bezüglich der all¬
gemeine« Bildung sehr verschieden, je nach den Gesellschaftskreisen und dem
Zeitalter, die sie stellen. Im großen und ganzen sind aber diese Forderungen
doch nicht so verschiede«, daß sie nicht alle gemeinsame Kennzeichen auswiesen.
Diese bestehen darin, daß stets eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit des
eignen Volkes, der Erzeugnisse seines Geistes verlangt wird, und darin, daß
man von jedem Gebildeten fordert, daß er bis zu einem gewissen Grade die
Fähigkeit erworben habe, sich in fremde Allsdrucksweise und fremdes Denken
und Fühlen nicht nur hineinzudenken, sondern auch seine Gedanken in ange¬
messener Form zu äußern. Mit andern Worten: Geschichte, Litteratur und
Sprachkeuutms sind die drei unverrückbaren Forderungen jeder allgemeinen
Bildung, weil dnrch sie die Gemeinschaft der Vergangenheit und der Gegen¬
wart aufrecht erhalten und ein gegenseitiges Berstäudnis gesichert wird; denn
die Gebildeten sind es ja, die nicht nur die Kultur eines Volkes weiter zu ent¬
wickeln haben <was nnr aus Grund der Vergangenheit geschehen kaum), sondern
die auch eine Erkenntnis der allgemeinen Bedürfnisse der Nation zu erwerben
und ihnen einen angemessenen Ausdruck zu verschaffen suchen müssen, was nur
durch die Sprachkcnntms als Mittel des Verständnisses fremder Gedanken und
Gefühle und der Mitteilung der eignen an andre bewirkt werden kann. Was
für Forderungen sollst noch an den „Gebildeten" gestellt werden, wird je nach
dem Gesellschaftskreise und dem Zeitalter, dem er angehört, verschieden sein.

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[0016] Die Bekämpfung der Sozialdemokratio vom psychologischen Standpunkt das ganze menschliche Wissen und Können, bald nur einen kleinen Teil um¬ faßt. Sieht man überhaupt von der Eleiuentarbildnug (Lesen, Schreiben und Rechnen als Grundlage jeder Bildung) ab, so giebt es dreierlei Arten von Bildung: allgemeine Bildung, Berufsbildung und politische Bildung, die wenigstens heutzutage hinzutreten sollte. Die allgemeine Bildung umfaßt alle Interessen, die uicht dem Beruf oder der Politik angehören, sie ist es, die vorzugsweise vou der „guten Gesellschaft" verlangt wird. Ebendeswegen sind aber auch die Forderungen bezüglich der all¬ gemeine« Bildung sehr verschieden, je nach den Gesellschaftskreisen und dem Zeitalter, die sie stellen. Im großen und ganzen sind aber diese Forderungen doch nicht so verschiede«, daß sie nicht alle gemeinsame Kennzeichen auswiesen. Diese bestehen darin, daß stets eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit des eignen Volkes, der Erzeugnisse seines Geistes verlangt wird, und darin, daß man von jedem Gebildeten fordert, daß er bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit erworben habe, sich in fremde Allsdrucksweise und fremdes Denken und Fühlen nicht nur hineinzudenken, sondern auch seine Gedanken in ange¬ messener Form zu äußern. Mit andern Worten: Geschichte, Litteratur und Sprachkeuutms sind die drei unverrückbaren Forderungen jeder allgemeinen Bildung, weil dnrch sie die Gemeinschaft der Vergangenheit und der Gegen¬ wart aufrecht erhalten und ein gegenseitiges Berstäudnis gesichert wird; denn die Gebildeten sind es ja, die nicht nur die Kultur eines Volkes weiter zu ent¬ wickeln haben <was nnr aus Grund der Vergangenheit geschehen kaum), sondern die auch eine Erkenntnis der allgemeinen Bedürfnisse der Nation zu erwerben und ihnen einen angemessenen Ausdruck zu verschaffen suchen müssen, was nur durch die Sprachkcnntms als Mittel des Verständnisses fremder Gedanken und Gefühle und der Mitteilung der eignen an andre bewirkt werden kann. Was für Forderungen sollst noch an den „Gebildeten" gestellt werden, wird je nach dem Gesellschaftskreise und dem Zeitalter, dem er angehört, verschieden sein. iSchluß jolgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/16>, abgerufen am 23.07.2024.