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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

Stande nur hemmen, wenn man seine soziale Stellung hebt; der Grundsatz
"Arbeit schändet nicht" muß durchgeführt werden. Damit soll nicht gesagt sein,
daß das Schleußenräumen als Arbeit ebenso geschätzt werden solle wie die
Arbeit eines Staatsmannes oder Gelehrten, dennoch kann auch der Schleußeu-
ränmer, ohne daß seine Arbeit überschätzt wird, eine bessere gesellschaftliche
Stellung einnehmen, als das heutzutage der Fall ist. Der Arbeiterstand und
der dienende Stand überhaupt wird niemals den andern Ständen in seiner
Gesamtheit gesellschaftlich gleichstehen können, aber er kann ihnen bedeutend
näher gerückt werden.

Dazu wird aber zweierlei notwendig sein: die Hebung der Bildung des
Arbeiterstandes und die Hebung seines geselligen Verkehrs. Was die Bildung
anlangt, so ist sie das alle höhern Stände einigende Band, sie allein bewirkt, daß
auch solche, die sonst nach Vermögen und Stellung weit auseinanderstehen,
dennoch mit einer gewissen gesellschaftlichen Gleichberechtigung einander gegen¬
übertreten können, weil sie gleiche Ansprüche aus Bildung machen. Früher
war Bildung mehr das Privilegium zwar nicht des Reichen, aber doch des Ver¬
mögenden; in der letzten Zeit haben sich allerdings immer mehr Angehörige
der niedern, vermögenslosen Stände höhere Bildung angeeignet und so zum Teil ein
Bildnngsproletciricit gebildet, das eine große soziale Gesahr in sich birgt, weil
dieses Proletariat mit seiner Unzufriedenheit auch die geistige Macht verbindet,
sie zur Geltung zu bringen. Das Bildnngsprvletariat muß aber unzufrieden
fein, weil es vermöge feiner Bildung Ansprüche macht, den höhern Ständen
anzugehören, seinem Vermögen und seiner Stellung nach aber den niedern
Ständen angehört; das ist ja das Kennzeichen jedes Proletariats, daß es keinen
eigentlichen Stand hat. Dieses Bildungsproletariat würde von dem Augen¬
blick an aufhöre", wo eine größere Bildung allgemein geworden wäre. Die
Bildung könnte dann nicht Ursache sein, sich der Handarbeit zu entziehen, sich
etwas besseres zu dünken als der einfache Arbeiter; die Bildung würde dann
nicht mehr den Grund zum Nichtsthun bilden, weil man keine seiner Bildung
angemessene Arbeit finde, wenn auch der Arbeiter eine größere Bildung besäße.
Außerdem wäre auch dem Vermögenden ein Teil seines Hochmuts genommen,
daß nur er allein das Privilegium habe, sich höhere Bildung anzueignen.
Schließlich würde dadurch der Arbeiter eine bessere gesellschaftliche Stellung ein¬
nehmen und imstande fein, in Kreisen zu verkehren, aus denen er jetzt ausge¬
schlossen ist. Damit untre eine große Quelle der Unzufriedenheit verstopft und Ge¬
legenheit gegeben, einen Meinungsaustausch zwischen den höhern und den niedern
Ständen einzuleiten, der notwendig das ganze Volk zu größerer Einheit führen
müßte.

Es wird um: zu erwägen sein, worin Bildung besteht, und inwieweit und
auf welche Weise der vierte Stand an ihr teilnehmen kann. Der Begriff der
Bildung ist ein sehr unbestimmter, oft eng, oft weit gefaßter Begriff, der bald


Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

Stande nur hemmen, wenn man seine soziale Stellung hebt; der Grundsatz
„Arbeit schändet nicht" muß durchgeführt werden. Damit soll nicht gesagt sein,
daß das Schleußenräumen als Arbeit ebenso geschätzt werden solle wie die
Arbeit eines Staatsmannes oder Gelehrten, dennoch kann auch der Schleußeu-
ränmer, ohne daß seine Arbeit überschätzt wird, eine bessere gesellschaftliche
Stellung einnehmen, als das heutzutage der Fall ist. Der Arbeiterstand und
der dienende Stand überhaupt wird niemals den andern Ständen in seiner
Gesamtheit gesellschaftlich gleichstehen können, aber er kann ihnen bedeutend
näher gerückt werden.

Dazu wird aber zweierlei notwendig sein: die Hebung der Bildung des
Arbeiterstandes und die Hebung seines geselligen Verkehrs. Was die Bildung
anlangt, so ist sie das alle höhern Stände einigende Band, sie allein bewirkt, daß
auch solche, die sonst nach Vermögen und Stellung weit auseinanderstehen,
dennoch mit einer gewissen gesellschaftlichen Gleichberechtigung einander gegen¬
übertreten können, weil sie gleiche Ansprüche aus Bildung machen. Früher
war Bildung mehr das Privilegium zwar nicht des Reichen, aber doch des Ver¬
mögenden; in der letzten Zeit haben sich allerdings immer mehr Angehörige
der niedern, vermögenslosen Stände höhere Bildung angeeignet und so zum Teil ein
Bildnngsproletciricit gebildet, das eine große soziale Gesahr in sich birgt, weil
dieses Proletariat mit seiner Unzufriedenheit auch die geistige Macht verbindet,
sie zur Geltung zu bringen. Das Bildnngsprvletariat muß aber unzufrieden
fein, weil es vermöge feiner Bildung Ansprüche macht, den höhern Ständen
anzugehören, seinem Vermögen und seiner Stellung nach aber den niedern
Ständen angehört; das ist ja das Kennzeichen jedes Proletariats, daß es keinen
eigentlichen Stand hat. Dieses Bildungsproletariat würde von dem Augen¬
blick an aufhöre», wo eine größere Bildung allgemein geworden wäre. Die
Bildung könnte dann nicht Ursache sein, sich der Handarbeit zu entziehen, sich
etwas besseres zu dünken als der einfache Arbeiter; die Bildung würde dann
nicht mehr den Grund zum Nichtsthun bilden, weil man keine seiner Bildung
angemessene Arbeit finde, wenn auch der Arbeiter eine größere Bildung besäße.
Außerdem wäre auch dem Vermögenden ein Teil seines Hochmuts genommen,
daß nur er allein das Privilegium habe, sich höhere Bildung anzueignen.
Schließlich würde dadurch der Arbeiter eine bessere gesellschaftliche Stellung ein¬
nehmen und imstande fein, in Kreisen zu verkehren, aus denen er jetzt ausge¬
schlossen ist. Damit untre eine große Quelle der Unzufriedenheit verstopft und Ge¬
legenheit gegeben, einen Meinungsaustausch zwischen den höhern und den niedern
Ständen einzuleiten, der notwendig das ganze Volk zu größerer Einheit führen
müßte.

Es wird um: zu erwägen sein, worin Bildung besteht, und inwieweit und
auf welche Weise der vierte Stand an ihr teilnehmen kann. Der Begriff der
Bildung ist ein sehr unbestimmter, oft eng, oft weit gefaßter Begriff, der bald


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[0015] Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt Stande nur hemmen, wenn man seine soziale Stellung hebt; der Grundsatz „Arbeit schändet nicht" muß durchgeführt werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß das Schleußenräumen als Arbeit ebenso geschätzt werden solle wie die Arbeit eines Staatsmannes oder Gelehrten, dennoch kann auch der Schleußeu- ränmer, ohne daß seine Arbeit überschätzt wird, eine bessere gesellschaftliche Stellung einnehmen, als das heutzutage der Fall ist. Der Arbeiterstand und der dienende Stand überhaupt wird niemals den andern Ständen in seiner Gesamtheit gesellschaftlich gleichstehen können, aber er kann ihnen bedeutend näher gerückt werden. Dazu wird aber zweierlei notwendig sein: die Hebung der Bildung des Arbeiterstandes und die Hebung seines geselligen Verkehrs. Was die Bildung anlangt, so ist sie das alle höhern Stände einigende Band, sie allein bewirkt, daß auch solche, die sonst nach Vermögen und Stellung weit auseinanderstehen, dennoch mit einer gewissen gesellschaftlichen Gleichberechtigung einander gegen¬ übertreten können, weil sie gleiche Ansprüche aus Bildung machen. Früher war Bildung mehr das Privilegium zwar nicht des Reichen, aber doch des Ver¬ mögenden; in der letzten Zeit haben sich allerdings immer mehr Angehörige der niedern, vermögenslosen Stände höhere Bildung angeeignet und so zum Teil ein Bildnngsproletciricit gebildet, das eine große soziale Gesahr in sich birgt, weil dieses Proletariat mit seiner Unzufriedenheit auch die geistige Macht verbindet, sie zur Geltung zu bringen. Das Bildnngsprvletariat muß aber unzufrieden fein, weil es vermöge feiner Bildung Ansprüche macht, den höhern Ständen anzugehören, seinem Vermögen und seiner Stellung nach aber den niedern Ständen angehört; das ist ja das Kennzeichen jedes Proletariats, daß es keinen eigentlichen Stand hat. Dieses Bildungsproletariat würde von dem Augen¬ blick an aufhöre», wo eine größere Bildung allgemein geworden wäre. Die Bildung könnte dann nicht Ursache sein, sich der Handarbeit zu entziehen, sich etwas besseres zu dünken als der einfache Arbeiter; die Bildung würde dann nicht mehr den Grund zum Nichtsthun bilden, weil man keine seiner Bildung angemessene Arbeit finde, wenn auch der Arbeiter eine größere Bildung besäße. Außerdem wäre auch dem Vermögenden ein Teil seines Hochmuts genommen, daß nur er allein das Privilegium habe, sich höhere Bildung anzueignen. Schließlich würde dadurch der Arbeiter eine bessere gesellschaftliche Stellung ein¬ nehmen und imstande fein, in Kreisen zu verkehren, aus denen er jetzt ausge¬ schlossen ist. Damit untre eine große Quelle der Unzufriedenheit verstopft und Ge¬ legenheit gegeben, einen Meinungsaustausch zwischen den höhern und den niedern Ständen einzuleiten, der notwendig das ganze Volk zu größerer Einheit führen müßte. Es wird um: zu erwägen sein, worin Bildung besteht, und inwieweit und auf welche Weise der vierte Stand an ihr teilnehmen kann. Der Begriff der Bildung ist ein sehr unbestimmter, oft eng, oft weit gefaßter Begriff, der bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/15>, abgerufen am 23.07.2024.