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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Berlin die Stimme Deutschlands?

bohrtheit des großen Berliner Publikums in allen politischen, wissenschaft¬
lichen, künstlerischen und litterarischen Fragen. Dieselbe Hurrahkanaille, die
begeistert die Friedrichsstraße hinunterzieht, wenn der Kaiser vom Tempelhofer
Felde zurückkehrt, geht wenige Augenblicke später ins Wahllokal, um gegen
Kaiser und Reich zu stimmen. Der ganze Weltskandal, den Kochs jüdische
Adepten gegen seinen Willen mit seinem unfertigen Heilmittel in so empö¬
render Weise verursacht haben und der im Auslande der deutschen Wissen¬
schaft und der deutschen Ehrlichkeit einen so unermeßlichen Schaden gebracht
hat, ist von Berlin und der Berliner Presse ausgegangen.

Und nun Berlin und die Kunst! Du lieber Gott! Welche Gedanken-
armut, Geschmacklosigkeit und Oberflächlichkeit Berlin in seinen Bauten offen
zur Schau stellt, wie geradezu kläglich sich seine Leistungen in der Bildhauer¬
kunst und in der Malerei zeigen, das braucht man Eingeweihten, die sich
dnrch Blender und Schaumschläger nicht irreleiten lassen, nicht mehr zu
sagen. Über die Berliner Musik wollen wir am liebsten ganz schweigen.
Den verständigen Berlinern wird in dieser Beziehung ob ihrer Gott¬
ähnlichkeit auch allmählich bange. Um so mehr beanspruchen sie die Führer¬
schaft in Deutschland auf litterarischem Gebiete, wie das Karl Frenzel neulich
mit dem Brusttöne der Überzeugung geradezu ausgesprochen hat. Diese An¬
schauung, daß Berlin der Mittelpunkt des deutschen geistigen Lebens, die
"Metropole der Intelligenz" sei, ist immer wieder mit so viel Keckheit und so
hartnäckiger Ausdauer von der jüdischen Presse verkündet worden, daß selbst
alte, angesehene Zeitschriften darauf hineingefallen und aus ihren bewährten
Sitzen nach dem vermeintlichen Jungbrunnen alles Geistes, nach Berlin, über¬
gesiedelt sind.

Und wer sind denn nun in Berlin, abgesehen von den wenigen vor¬
nehmen, von der litterarischen Clique überschauten Größen, die gepriesenen
Träger des deutschen Geistes und der deutschen Litteratur? Paul Lindau,
Oskar Blumenthal, Hugo Lubliner, Fritz Mauthner und etwa ein Dutzend
krummbeiniger litterarischer Daumenlutscher, die alle zu Füßen des "gro߬
artigen" Wilhelm Scherer gesessen haben -- der hat die ganze Gesell¬
schaft und die ganze Berliner Judenlitteratur auf dem Gewissen --, diese
Geister beherrschen den deutschen Parnaß, sie sind die Tonangeber auf dich¬
terischem Gebiete und maßen sich an, über die deutsche Litteratur zu Gericht
zu sitzen und, den deutschen Kunstgeschmack und die deutsche Sprache in
neue Bahnen zu lenken es ist eine Schande!

Selbst dem mit Spreewasser getauften Paul Hesse ist das Gebahren
dieser Berliner Litteratengesellschaft denn doch zu stark. In einer seiner letzten
Novellen sagt er: "Würden Sie es für ein Glück halten, wenn auch bei uns,
wie in Frankreich, die Reichshauptstadt eine Diktatur des Geschmacks aus¬
übte? Ich weiß, sie bilden sich dort bereits so etwas ein. Aber mir ist


Berlin die Stimme Deutschlands?

bohrtheit des großen Berliner Publikums in allen politischen, wissenschaft¬
lichen, künstlerischen und litterarischen Fragen. Dieselbe Hurrahkanaille, die
begeistert die Friedrichsstraße hinunterzieht, wenn der Kaiser vom Tempelhofer
Felde zurückkehrt, geht wenige Augenblicke später ins Wahllokal, um gegen
Kaiser und Reich zu stimmen. Der ganze Weltskandal, den Kochs jüdische
Adepten gegen seinen Willen mit seinem unfertigen Heilmittel in so empö¬
render Weise verursacht haben und der im Auslande der deutschen Wissen¬
schaft und der deutschen Ehrlichkeit einen so unermeßlichen Schaden gebracht
hat, ist von Berlin und der Berliner Presse ausgegangen.

Und nun Berlin und die Kunst! Du lieber Gott! Welche Gedanken-
armut, Geschmacklosigkeit und Oberflächlichkeit Berlin in seinen Bauten offen
zur Schau stellt, wie geradezu kläglich sich seine Leistungen in der Bildhauer¬
kunst und in der Malerei zeigen, das braucht man Eingeweihten, die sich
dnrch Blender und Schaumschläger nicht irreleiten lassen, nicht mehr zu
sagen. Über die Berliner Musik wollen wir am liebsten ganz schweigen.
Den verständigen Berlinern wird in dieser Beziehung ob ihrer Gott¬
ähnlichkeit auch allmählich bange. Um so mehr beanspruchen sie die Führer¬
schaft in Deutschland auf litterarischem Gebiete, wie das Karl Frenzel neulich
mit dem Brusttöne der Überzeugung geradezu ausgesprochen hat. Diese An¬
schauung, daß Berlin der Mittelpunkt des deutschen geistigen Lebens, die
„Metropole der Intelligenz" sei, ist immer wieder mit so viel Keckheit und so
hartnäckiger Ausdauer von der jüdischen Presse verkündet worden, daß selbst
alte, angesehene Zeitschriften darauf hineingefallen und aus ihren bewährten
Sitzen nach dem vermeintlichen Jungbrunnen alles Geistes, nach Berlin, über¬
gesiedelt sind.

Und wer sind denn nun in Berlin, abgesehen von den wenigen vor¬
nehmen, von der litterarischen Clique überschauten Größen, die gepriesenen
Träger des deutschen Geistes und der deutschen Litteratur? Paul Lindau,
Oskar Blumenthal, Hugo Lubliner, Fritz Mauthner und etwa ein Dutzend
krummbeiniger litterarischer Daumenlutscher, die alle zu Füßen des „gro߬
artigen" Wilhelm Scherer gesessen haben — der hat die ganze Gesell¬
schaft und die ganze Berliner Judenlitteratur auf dem Gewissen —, diese
Geister beherrschen den deutschen Parnaß, sie sind die Tonangeber auf dich¬
terischem Gebiete und maßen sich an, über die deutsche Litteratur zu Gericht
zu sitzen und, den deutschen Kunstgeschmack und die deutsche Sprache in
neue Bahnen zu lenken es ist eine Schande!

Selbst dem mit Spreewasser getauften Paul Hesse ist das Gebahren
dieser Berliner Litteratengesellschaft denn doch zu stark. In einer seiner letzten
Novellen sagt er: „Würden Sie es für ein Glück halten, wenn auch bei uns,
wie in Frankreich, die Reichshauptstadt eine Diktatur des Geschmacks aus¬
übte? Ich weiß, sie bilden sich dort bereits so etwas ein. Aber mir ist


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[0152] Berlin die Stimme Deutschlands? bohrtheit des großen Berliner Publikums in allen politischen, wissenschaft¬ lichen, künstlerischen und litterarischen Fragen. Dieselbe Hurrahkanaille, die begeistert die Friedrichsstraße hinunterzieht, wenn der Kaiser vom Tempelhofer Felde zurückkehrt, geht wenige Augenblicke später ins Wahllokal, um gegen Kaiser und Reich zu stimmen. Der ganze Weltskandal, den Kochs jüdische Adepten gegen seinen Willen mit seinem unfertigen Heilmittel in so empö¬ render Weise verursacht haben und der im Auslande der deutschen Wissen¬ schaft und der deutschen Ehrlichkeit einen so unermeßlichen Schaden gebracht hat, ist von Berlin und der Berliner Presse ausgegangen. Und nun Berlin und die Kunst! Du lieber Gott! Welche Gedanken- armut, Geschmacklosigkeit und Oberflächlichkeit Berlin in seinen Bauten offen zur Schau stellt, wie geradezu kläglich sich seine Leistungen in der Bildhauer¬ kunst und in der Malerei zeigen, das braucht man Eingeweihten, die sich dnrch Blender und Schaumschläger nicht irreleiten lassen, nicht mehr zu sagen. Über die Berliner Musik wollen wir am liebsten ganz schweigen. Den verständigen Berlinern wird in dieser Beziehung ob ihrer Gott¬ ähnlichkeit auch allmählich bange. Um so mehr beanspruchen sie die Führer¬ schaft in Deutschland auf litterarischem Gebiete, wie das Karl Frenzel neulich mit dem Brusttöne der Überzeugung geradezu ausgesprochen hat. Diese An¬ schauung, daß Berlin der Mittelpunkt des deutschen geistigen Lebens, die „Metropole der Intelligenz" sei, ist immer wieder mit so viel Keckheit und so hartnäckiger Ausdauer von der jüdischen Presse verkündet worden, daß selbst alte, angesehene Zeitschriften darauf hineingefallen und aus ihren bewährten Sitzen nach dem vermeintlichen Jungbrunnen alles Geistes, nach Berlin, über¬ gesiedelt sind. Und wer sind denn nun in Berlin, abgesehen von den wenigen vor¬ nehmen, von der litterarischen Clique überschauten Größen, die gepriesenen Träger des deutschen Geistes und der deutschen Litteratur? Paul Lindau, Oskar Blumenthal, Hugo Lubliner, Fritz Mauthner und etwa ein Dutzend krummbeiniger litterarischer Daumenlutscher, die alle zu Füßen des „gro߬ artigen" Wilhelm Scherer gesessen haben — der hat die ganze Gesell¬ schaft und die ganze Berliner Judenlitteratur auf dem Gewissen —, diese Geister beherrschen den deutschen Parnaß, sie sind die Tonangeber auf dich¬ terischem Gebiete und maßen sich an, über die deutsche Litteratur zu Gericht zu sitzen und, den deutschen Kunstgeschmack und die deutsche Sprache in neue Bahnen zu lenken es ist eine Schande! Selbst dem mit Spreewasser getauften Paul Hesse ist das Gebahren dieser Berliner Litteratengesellschaft denn doch zu stark. In einer seiner letzten Novellen sagt er: „Würden Sie es für ein Glück halten, wenn auch bei uns, wie in Frankreich, die Reichshauptstadt eine Diktatur des Geschmacks aus¬ übte? Ich weiß, sie bilden sich dort bereits so etwas ein. Aber mir ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/152>, abgerufen am 26.06.2024.