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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Schweizer Dichter

schaffen und seine "Wahrheit" als etwas unerhört Neues, Niedagewesenes
hinstellen zu können.

Wenn wir trotz dieser grundsätzlichen Parteinahme für C. F. Meyer
offen gestehen, daß uns seine neueste Novelle "Angela Borgia" keine volle Be¬
friedigung gewahrt, so geschieht das aus Bedenken, die sich nur gegen die
künstlerische Ausführung der Erzählung erheben. Die sittliche und poetische
Größe des Dichters kann auch hier uicht verkannt werden. Seine wie aus
Erz gegossene Sprache, die satte Fülle seines historischen Kolorits, sein Reich¬
tum an Lebensweisheit und Menschenkenntnis, die Klarheit und Kraft seiner
Phantasie, die tragische Schönheit seiner Erfindung, die Schürfe seiner Cha¬
rakteristik fesseln unbedingt auch in dieser Novelle. Aber es verläßt uns nicht
das Gefühl, als habe Meyer einen gewaltigen Stoff in einen allzu engen
Rahmen gezwängt. Diese Enge des Raumes hat ihn gezwungen, über vieles
nur zu referiren, was einer breitern Darstellung nicht bloß würdig, sondern
auch bedürftig wäre, und deswegen werden wir nicht ganz befriedigt, weil
wir zu keinem vollen epischen Genuß gelangen. Der Dichter begnügt sich mit
der Skizze, da wo wir ein ausgeführteres Bild wünschen, um verweilend zur
vollen Übersicht und Einsicht zu gelangen. Doch ist Meyer ein so großer
Künstler, daß anzunehmen ist, daß er die Sprunghafte Form mit klarer Ab¬
sicht gewählt habe, um durch den Wechsel von Skizze und stimmungsvoller
Ausführung einzelner Szenen eine Art von Helldunkel zu erzeugen, wobei
das dämonische Element seiner überaus leidenschaftlichen Charaktere erst recht
zur Geltung gelangen sollte. Wenn nur nicht die Klarheit mancher Figur,
insbesondre der Lukrezia Borgia und des Kardinals darunter gelitten Hütte!
Man möchte die Technik Meyers in dieser Novelle mit der abgekürzten Formen¬
sprache eines alten großen Malers vergleichen, die sich auch nur mit Andeu¬
tungen in Nebendingen begnügt und alle Kraft auf die Hauptsache vereinigt:
lapidar, aber mit der Gefahr des Schwcrverstündlichen. Die wahrhaft
poetische Kraft Meyers zeigt sich trotz alledem hier so reichlich, wie kaum in
einer zweiten seiner Novellen.

"Angela Borgia" führt uns an den Hof von Ferrara. Gerade hat der
Herzog Alfonso von Ferrara die dümonische Papsttochtcr Lukrezia Borgia in
prunkvollen Fchzuge als Ehegemahl in seiner Stadt empfangen, und nun be¬
reiten sich ahnungsvoll die Schicksale vor; denn wo eine Lukrezia hintritt,
kann etwas Ungewöhnliches nicht ausbleiben. Es soll jedoch gar nicht von
ihr herkommen. In ihrem Gefolge, als Schützling und Gesellschaftern,, be¬
findet sich eine entfernte Verwandte, Angeln Borgia, die Lukrezia wahrhaft
liebt, und für die sie einen reichen Gatten in der Person eines Grafen Con¬
trario bestimmt hat. Angela ist der üußerste Gegensatz zu Lukrezia. Hat
diese eine furchtbare Vergangenheit, so ist Angela rein und unerfahren, wie
nur ein junges Mädchen sein kann, das eben aus dem Kloster kommt, worin


Schweizer Dichter

schaffen und seine „Wahrheit" als etwas unerhört Neues, Niedagewesenes
hinstellen zu können.

Wenn wir trotz dieser grundsätzlichen Parteinahme für C. F. Meyer
offen gestehen, daß uns seine neueste Novelle „Angela Borgia" keine volle Be¬
friedigung gewahrt, so geschieht das aus Bedenken, die sich nur gegen die
künstlerische Ausführung der Erzählung erheben. Die sittliche und poetische
Größe des Dichters kann auch hier uicht verkannt werden. Seine wie aus
Erz gegossene Sprache, die satte Fülle seines historischen Kolorits, sein Reich¬
tum an Lebensweisheit und Menschenkenntnis, die Klarheit und Kraft seiner
Phantasie, die tragische Schönheit seiner Erfindung, die Schürfe seiner Cha¬
rakteristik fesseln unbedingt auch in dieser Novelle. Aber es verläßt uns nicht
das Gefühl, als habe Meyer einen gewaltigen Stoff in einen allzu engen
Rahmen gezwängt. Diese Enge des Raumes hat ihn gezwungen, über vieles
nur zu referiren, was einer breitern Darstellung nicht bloß würdig, sondern
auch bedürftig wäre, und deswegen werden wir nicht ganz befriedigt, weil
wir zu keinem vollen epischen Genuß gelangen. Der Dichter begnügt sich mit
der Skizze, da wo wir ein ausgeführteres Bild wünschen, um verweilend zur
vollen Übersicht und Einsicht zu gelangen. Doch ist Meyer ein so großer
Künstler, daß anzunehmen ist, daß er die Sprunghafte Form mit klarer Ab¬
sicht gewählt habe, um durch den Wechsel von Skizze und stimmungsvoller
Ausführung einzelner Szenen eine Art von Helldunkel zu erzeugen, wobei
das dämonische Element seiner überaus leidenschaftlichen Charaktere erst recht
zur Geltung gelangen sollte. Wenn nur nicht die Klarheit mancher Figur,
insbesondre der Lukrezia Borgia und des Kardinals darunter gelitten Hütte!
Man möchte die Technik Meyers in dieser Novelle mit der abgekürzten Formen¬
sprache eines alten großen Malers vergleichen, die sich auch nur mit Andeu¬
tungen in Nebendingen begnügt und alle Kraft auf die Hauptsache vereinigt:
lapidar, aber mit der Gefahr des Schwcrverstündlichen. Die wahrhaft
poetische Kraft Meyers zeigt sich trotz alledem hier so reichlich, wie kaum in
einer zweiten seiner Novellen.

„Angela Borgia" führt uns an den Hof von Ferrara. Gerade hat der
Herzog Alfonso von Ferrara die dümonische Papsttochtcr Lukrezia Borgia in
prunkvollen Fchzuge als Ehegemahl in seiner Stadt empfangen, und nun be¬
reiten sich ahnungsvoll die Schicksale vor; denn wo eine Lukrezia hintritt,
kann etwas Ungewöhnliches nicht ausbleiben. Es soll jedoch gar nicht von
ihr herkommen. In ihrem Gefolge, als Schützling und Gesellschaftern,, be¬
findet sich eine entfernte Verwandte, Angeln Borgia, die Lukrezia wahrhaft
liebt, und für die sie einen reichen Gatten in der Person eines Grafen Con¬
trario bestimmt hat. Angela ist der üußerste Gegensatz zu Lukrezia. Hat
diese eine furchtbare Vergangenheit, so ist Angela rein und unerfahren, wie
nur ein junges Mädchen sein kann, das eben aus dem Kloster kommt, worin


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[0140] Schweizer Dichter schaffen und seine „Wahrheit" als etwas unerhört Neues, Niedagewesenes hinstellen zu können. Wenn wir trotz dieser grundsätzlichen Parteinahme für C. F. Meyer offen gestehen, daß uns seine neueste Novelle „Angela Borgia" keine volle Be¬ friedigung gewahrt, so geschieht das aus Bedenken, die sich nur gegen die künstlerische Ausführung der Erzählung erheben. Die sittliche und poetische Größe des Dichters kann auch hier uicht verkannt werden. Seine wie aus Erz gegossene Sprache, die satte Fülle seines historischen Kolorits, sein Reich¬ tum an Lebensweisheit und Menschenkenntnis, die Klarheit und Kraft seiner Phantasie, die tragische Schönheit seiner Erfindung, die Schürfe seiner Cha¬ rakteristik fesseln unbedingt auch in dieser Novelle. Aber es verläßt uns nicht das Gefühl, als habe Meyer einen gewaltigen Stoff in einen allzu engen Rahmen gezwängt. Diese Enge des Raumes hat ihn gezwungen, über vieles nur zu referiren, was einer breitern Darstellung nicht bloß würdig, sondern auch bedürftig wäre, und deswegen werden wir nicht ganz befriedigt, weil wir zu keinem vollen epischen Genuß gelangen. Der Dichter begnügt sich mit der Skizze, da wo wir ein ausgeführteres Bild wünschen, um verweilend zur vollen Übersicht und Einsicht zu gelangen. Doch ist Meyer ein so großer Künstler, daß anzunehmen ist, daß er die Sprunghafte Form mit klarer Ab¬ sicht gewählt habe, um durch den Wechsel von Skizze und stimmungsvoller Ausführung einzelner Szenen eine Art von Helldunkel zu erzeugen, wobei das dämonische Element seiner überaus leidenschaftlichen Charaktere erst recht zur Geltung gelangen sollte. Wenn nur nicht die Klarheit mancher Figur, insbesondre der Lukrezia Borgia und des Kardinals darunter gelitten Hütte! Man möchte die Technik Meyers in dieser Novelle mit der abgekürzten Formen¬ sprache eines alten großen Malers vergleichen, die sich auch nur mit Andeu¬ tungen in Nebendingen begnügt und alle Kraft auf die Hauptsache vereinigt: lapidar, aber mit der Gefahr des Schwcrverstündlichen. Die wahrhaft poetische Kraft Meyers zeigt sich trotz alledem hier so reichlich, wie kaum in einer zweiten seiner Novellen. „Angela Borgia" führt uns an den Hof von Ferrara. Gerade hat der Herzog Alfonso von Ferrara die dümonische Papsttochtcr Lukrezia Borgia in prunkvollen Fchzuge als Ehegemahl in seiner Stadt empfangen, und nun be¬ reiten sich ahnungsvoll die Schicksale vor; denn wo eine Lukrezia hintritt, kann etwas Ungewöhnliches nicht ausbleiben. Es soll jedoch gar nicht von ihr herkommen. In ihrem Gefolge, als Schützling und Gesellschaftern,, be¬ findet sich eine entfernte Verwandte, Angeln Borgia, die Lukrezia wahrhaft liebt, und für die sie einen reichen Gatten in der Person eines Grafen Con¬ trario bestimmt hat. Angela ist der üußerste Gegensatz zu Lukrezia. Hat diese eine furchtbare Vergangenheit, so ist Angela rein und unerfahren, wie nur ein junges Mädchen sein kann, das eben aus dem Kloster kommt, worin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/140>, abgerufen am 23.07.2024.