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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Also nicht nur das geistliche, sondern auch das weltliche Regiment galt es
dort zu ordnen und zu bessern. Durch schlechte Verwaltung war in der "aller-
friedlichsten Zeit" die Stadt in Schulden geraten, weil man in dem Gemein¬
wesen mit dem Gute umging, wie man eben wollte. "Die Burgemeister,
Cämmerer, Weinmeister und Ambtsherren aßen und trunken unter dem Rat-
Hans und zehreteu, bestellcten die Mahlzeit von der gemeinen Stadt Ein¬
kommen, und ließens ihnen nicht sauer werden, guten Mut zu haben und
viel umzubringen. Wer ein Wort darwider redete und klaget, den warfen sie
in den Turm oder Vertrieben ihn gar aus der Stadt." Auch in diese Ver¬
hältnisse mit Hilfe edeldenkender Bürger umgestaltend eingegriffen zu haben,
ist, außer der Verbesserung der Kirche selbst, des Myeonius Verdienst. Mag
er vielleicht manchmal seine Befugnisse überschritten und sich in weltliche
Händel zu sehr gemischt haben, sicherlich wollte er stets das beste. Ein Leise¬
treter war er freilich nicht. Und ihm allein verdankt es Gotha, daß die
Greuel des Vanernkrieges von der Stadt gänzlich abgewendet wurden. Als
ein Jahr darauf ein ungefähr viertausend Mann starker Bauernhaufe sich in
der Nähe Gothas zeigte, um die drei Gleichen zu zerstören, trat er unbeschtttzt
und furchtlos unter die Aufrührer und bändigte sie allein durch die Macht
seines Wortes, sodaß "sie abzogen und niemand Schaden thäten."

In ganz Thüringen führte er darauf mit Melanchthon, der ihn von
Anfang an schätzte und ihm bald eng befreundet wurde, die Reformation ein,
sodaß er 1542 in seiner Reformationsgeschichte den Thatsachen entsprechend
berichten konnte: "Alle Pfarren im Lande Thüringen habe ich neben Philipp
Melanchthon, Justus Meuius, Christoph von der Planitz, Georg von Wangen¬
heim und Johann Cotta helfen Visitiren und konstituiren mit großer Sorge,
Mühe und Arbeit, daß nun jede Pfarre ihren Lehrer ^Geistlichen^ und ge¬
widmet Einkommen hat." Und während in der ersten Zeit der Reformation
die Pfarrer in Thüringen zum Teil uoch ganz ungebildete Handwerker waren,
ja sich Zustände vorfanden, daß Melanchthon bei den Visitationen oft hinaus¬
ging und weinte, so hat Mycvnins allerorten nach Kräften die bessernde Hand
angelegt.

Mit klarem Blick erkannte er aber, daß, wenn er den Bestand seines
Werkes sichern wollte, eine Besserung von "unter auf" angestrebt werden
müßte. So betrieb er gleich vou Aufang an die Gründung von Schulen,
ganz in Übereinstimmung und jedenfalls auch unter dem Eindrucke der Schrift
Luthers aus dem Jahre 1524, die man als den Stiftungsbrief der evange¬
lischen Schulen zu bezeichnen Pflegt, der bekannten Schrift: "An die Bürger¬
meister und Ratsherren aller Städte Deutschlands, daß sie christliche Schulen
aufrichten und halten sollen."

Auch auf dein Gebiete des Schulwesens waren die Zustände in Thüringen
und Gotha traurig, als Myeonius seine Wirksamkeit begann. "Die Schulen


Grenzboten I 1892 I"

Also nicht nur das geistliche, sondern auch das weltliche Regiment galt es
dort zu ordnen und zu bessern. Durch schlechte Verwaltung war in der „aller-
friedlichsten Zeit" die Stadt in Schulden geraten, weil man in dem Gemein¬
wesen mit dem Gute umging, wie man eben wollte. „Die Burgemeister,
Cämmerer, Weinmeister und Ambtsherren aßen und trunken unter dem Rat-
Hans und zehreteu, bestellcten die Mahlzeit von der gemeinen Stadt Ein¬
kommen, und ließens ihnen nicht sauer werden, guten Mut zu haben und
viel umzubringen. Wer ein Wort darwider redete und klaget, den warfen sie
in den Turm oder Vertrieben ihn gar aus der Stadt." Auch in diese Ver¬
hältnisse mit Hilfe edeldenkender Bürger umgestaltend eingegriffen zu haben,
ist, außer der Verbesserung der Kirche selbst, des Myeonius Verdienst. Mag
er vielleicht manchmal seine Befugnisse überschritten und sich in weltliche
Händel zu sehr gemischt haben, sicherlich wollte er stets das beste. Ein Leise¬
treter war er freilich nicht. Und ihm allein verdankt es Gotha, daß die
Greuel des Vanernkrieges von der Stadt gänzlich abgewendet wurden. Als
ein Jahr darauf ein ungefähr viertausend Mann starker Bauernhaufe sich in
der Nähe Gothas zeigte, um die drei Gleichen zu zerstören, trat er unbeschtttzt
und furchtlos unter die Aufrührer und bändigte sie allein durch die Macht
seines Wortes, sodaß „sie abzogen und niemand Schaden thäten."

In ganz Thüringen führte er darauf mit Melanchthon, der ihn von
Anfang an schätzte und ihm bald eng befreundet wurde, die Reformation ein,
sodaß er 1542 in seiner Reformationsgeschichte den Thatsachen entsprechend
berichten konnte: „Alle Pfarren im Lande Thüringen habe ich neben Philipp
Melanchthon, Justus Meuius, Christoph von der Planitz, Georg von Wangen¬
heim und Johann Cotta helfen Visitiren und konstituiren mit großer Sorge,
Mühe und Arbeit, daß nun jede Pfarre ihren Lehrer ^Geistlichen^ und ge¬
widmet Einkommen hat." Und während in der ersten Zeit der Reformation
die Pfarrer in Thüringen zum Teil uoch ganz ungebildete Handwerker waren,
ja sich Zustände vorfanden, daß Melanchthon bei den Visitationen oft hinaus¬
ging und weinte, so hat Mycvnins allerorten nach Kräften die bessernde Hand
angelegt.

Mit klarem Blick erkannte er aber, daß, wenn er den Bestand seines
Werkes sichern wollte, eine Besserung von „unter auf" angestrebt werden
müßte. So betrieb er gleich vou Aufang an die Gründung von Schulen,
ganz in Übereinstimmung und jedenfalls auch unter dem Eindrucke der Schrift
Luthers aus dem Jahre 1524, die man als den Stiftungsbrief der evange¬
lischen Schulen zu bezeichnen Pflegt, der bekannten Schrift: „An die Bürger¬
meister und Ratsherren aller Städte Deutschlands, daß sie christliche Schulen
aufrichten und halten sollen."

Auch auf dein Gebiete des Schulwesens waren die Zustände in Thüringen
und Gotha traurig, als Myeonius seine Wirksamkeit begann. „Die Schulen


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[0129] Also nicht nur das geistliche, sondern auch das weltliche Regiment galt es dort zu ordnen und zu bessern. Durch schlechte Verwaltung war in der „aller- friedlichsten Zeit" die Stadt in Schulden geraten, weil man in dem Gemein¬ wesen mit dem Gute umging, wie man eben wollte. „Die Burgemeister, Cämmerer, Weinmeister und Ambtsherren aßen und trunken unter dem Rat- Hans und zehreteu, bestellcten die Mahlzeit von der gemeinen Stadt Ein¬ kommen, und ließens ihnen nicht sauer werden, guten Mut zu haben und viel umzubringen. Wer ein Wort darwider redete und klaget, den warfen sie in den Turm oder Vertrieben ihn gar aus der Stadt." Auch in diese Ver¬ hältnisse mit Hilfe edeldenkender Bürger umgestaltend eingegriffen zu haben, ist, außer der Verbesserung der Kirche selbst, des Myeonius Verdienst. Mag er vielleicht manchmal seine Befugnisse überschritten und sich in weltliche Händel zu sehr gemischt haben, sicherlich wollte er stets das beste. Ein Leise¬ treter war er freilich nicht. Und ihm allein verdankt es Gotha, daß die Greuel des Vanernkrieges von der Stadt gänzlich abgewendet wurden. Als ein Jahr darauf ein ungefähr viertausend Mann starker Bauernhaufe sich in der Nähe Gothas zeigte, um die drei Gleichen zu zerstören, trat er unbeschtttzt und furchtlos unter die Aufrührer und bändigte sie allein durch die Macht seines Wortes, sodaß „sie abzogen und niemand Schaden thäten." In ganz Thüringen führte er darauf mit Melanchthon, der ihn von Anfang an schätzte und ihm bald eng befreundet wurde, die Reformation ein, sodaß er 1542 in seiner Reformationsgeschichte den Thatsachen entsprechend berichten konnte: „Alle Pfarren im Lande Thüringen habe ich neben Philipp Melanchthon, Justus Meuius, Christoph von der Planitz, Georg von Wangen¬ heim und Johann Cotta helfen Visitiren und konstituiren mit großer Sorge, Mühe und Arbeit, daß nun jede Pfarre ihren Lehrer ^Geistlichen^ und ge¬ widmet Einkommen hat." Und während in der ersten Zeit der Reformation die Pfarrer in Thüringen zum Teil uoch ganz ungebildete Handwerker waren, ja sich Zustände vorfanden, daß Melanchthon bei den Visitationen oft hinaus¬ ging und weinte, so hat Mycvnins allerorten nach Kräften die bessernde Hand angelegt. Mit klarem Blick erkannte er aber, daß, wenn er den Bestand seines Werkes sichern wollte, eine Besserung von „unter auf" angestrebt werden müßte. So betrieb er gleich vou Aufang an die Gründung von Schulen, ganz in Übereinstimmung und jedenfalls auch unter dem Eindrucke der Schrift Luthers aus dem Jahre 1524, die man als den Stiftungsbrief der evange¬ lischen Schulen zu bezeichnen Pflegt, der bekannten Schrift: „An die Bürger¬ meister und Ratsherren aller Städte Deutschlands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen." Auch auf dein Gebiete des Schulwesens waren die Zustände in Thüringen und Gotha traurig, als Myeonius seine Wirksamkeit begann. „Die Schulen Grenzboten I 1892 I«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/129>, abgerufen am 23.07.2024.