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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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schreiben pflegte; ob aber auch in diesem Falle, ist nicht erwiesen. Wenn
Myconius einmal selbst vom Jahre 1517 als von seinein siebenundzwauzigstcn
Lebensjahre spricht, so beruht dies entweder, wie Lvmmcitzsch annimmt, aus
einem Versehen, oder man war sich über die sichere Bezeichnung eines Lebens¬
jahres schon damals ebenso wenig klar, wie heute. Ausschlaggebend ist, daß
alle maßgebenden Biographen das Jahr 1491 annehmen und sich ans einer
ans dem wichtigen Jahre 1539 herrührenden, sehr sorgfältig gearbeiteten Denk¬
münze, die Myconius darstellt, die Alterszahl 48 findet. Vor wenigen Tagen
also hätten wir seinen vierhundertjührigen Geburtstag feiern können.

In Franken scheiden und vereinigen sich süd- und norddeutsches Wesen. So
war auch Myconius mit scharfem Verstände, doch auch mit reichem Gemüte
begabt. Nach der Sitte der damaligen Zeit autikisirte er seineu ohnehin schon
lateinisch klingende"? Namen noch mehr. Doch erinnerte er sich auch gern der
ersten Form und erging sich in Wortspielen darüber. Das Wörtlein Mecum,
meinte er, sei ein gutes Wörtlein bei Christus: Hoäiv, woviit,, NLvurn. sri"
in pg,rg,all80.

Der Vater, zwar nur ein einfacher, aber für seine Verhältnisse gebildeter
Bürger, wird uns vom Sohne selbst in einem für dessen Lebensgeschichte
wichtigen Briefe an den Wittenberger Professor Paul Eber als ein in reli¬
giösen Dingen sür damalige Zeit aufgeklärt denkender, dabei aber aufrichtig
frommer Mann geschildert. Nach alter guter Sitte unterwies er selbst seinen
Sohn in den Anfangsgründen der Religion. Er brachte ihm aber nicht nur gedücht-
nismäßig die zehn Gebote, das Vaterunser und den Glauben bei, sondern regte
auch seine Gedanken über die Heilswahrheiten an. "Könnten mich mir drei
Menschen hoffen, durch Christus selig zu werden, so solle er sich für einen
dieser drei halten." Über die päpstlichen Ablaßbriefe hatte er schon seine ent¬
schiedene Meinung. Er ließ den Knaben, der sein einziger Sohn war, die
Schule des Städtchens durchmachen. Doch genügte ihm diese Ausbildung
nicht. Leider habe ich nicht ermitteln können, welche Verbindungen mit der
sächsischen Bergstadt Annnberg den Vater veranlaßten, Friedrich auf die dor¬
tige Lateinschule zu senden, und weshalb er gerade auf das doch nicht nahe
Annaberg verfiel. Am wahrscheinlichsten ist wohl, daß der Ruf der zu
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts neugegründeten Stadt "am Schrecken¬
berge," die erst später nach der heiligen Anna ihren Namen erhielt, bestimmend
einwirkte. Um jene Zeit hatte sich dort ein so ergiebiger Bergbau aufgethan,
daß die Kunde davon recht wohl bis in das entfernte Lichtenfels gedrungen
sein konnte. Die schnell zur Wohlhabenheit gelangenden Annaberger vermochten
auch für ihr Schulwesen etwas aufzuwenden. Auf diese Weise war auch die
Annaberger Schule zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. Der Vater Mecum
hoffte vielleicht, daß sein Sohn später dort auch sein Fortkommen finden
würde.


schreiben pflegte; ob aber auch in diesem Falle, ist nicht erwiesen. Wenn
Myconius einmal selbst vom Jahre 1517 als von seinein siebenundzwauzigstcn
Lebensjahre spricht, so beruht dies entweder, wie Lvmmcitzsch annimmt, aus
einem Versehen, oder man war sich über die sichere Bezeichnung eines Lebens¬
jahres schon damals ebenso wenig klar, wie heute. Ausschlaggebend ist, daß
alle maßgebenden Biographen das Jahr 1491 annehmen und sich ans einer
ans dem wichtigen Jahre 1539 herrührenden, sehr sorgfältig gearbeiteten Denk¬
münze, die Myconius darstellt, die Alterszahl 48 findet. Vor wenigen Tagen
also hätten wir seinen vierhundertjührigen Geburtstag feiern können.

In Franken scheiden und vereinigen sich süd- und norddeutsches Wesen. So
war auch Myconius mit scharfem Verstände, doch auch mit reichem Gemüte
begabt. Nach der Sitte der damaligen Zeit autikisirte er seineu ohnehin schon
lateinisch klingende«? Namen noch mehr. Doch erinnerte er sich auch gern der
ersten Form und erging sich in Wortspielen darüber. Das Wörtlein Mecum,
meinte er, sei ein gutes Wörtlein bei Christus: Hoäiv, woviit,, NLvurn. sri»
in pg,rg,all80.

Der Vater, zwar nur ein einfacher, aber für seine Verhältnisse gebildeter
Bürger, wird uns vom Sohne selbst in einem für dessen Lebensgeschichte
wichtigen Briefe an den Wittenberger Professor Paul Eber als ein in reli¬
giösen Dingen sür damalige Zeit aufgeklärt denkender, dabei aber aufrichtig
frommer Mann geschildert. Nach alter guter Sitte unterwies er selbst seinen
Sohn in den Anfangsgründen der Religion. Er brachte ihm aber nicht nur gedücht-
nismäßig die zehn Gebote, das Vaterunser und den Glauben bei, sondern regte
auch seine Gedanken über die Heilswahrheiten an. „Könnten mich mir drei
Menschen hoffen, durch Christus selig zu werden, so solle er sich für einen
dieser drei halten." Über die päpstlichen Ablaßbriefe hatte er schon seine ent¬
schiedene Meinung. Er ließ den Knaben, der sein einziger Sohn war, die
Schule des Städtchens durchmachen. Doch genügte ihm diese Ausbildung
nicht. Leider habe ich nicht ermitteln können, welche Verbindungen mit der
sächsischen Bergstadt Annnberg den Vater veranlaßten, Friedrich auf die dor¬
tige Lateinschule zu senden, und weshalb er gerade auf das doch nicht nahe
Annaberg verfiel. Am wahrscheinlichsten ist wohl, daß der Ruf der zu
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts neugegründeten Stadt „am Schrecken¬
berge," die erst später nach der heiligen Anna ihren Namen erhielt, bestimmend
einwirkte. Um jene Zeit hatte sich dort ein so ergiebiger Bergbau aufgethan,
daß die Kunde davon recht wohl bis in das entfernte Lichtenfels gedrungen
sein konnte. Die schnell zur Wohlhabenheit gelangenden Annaberger vermochten
auch für ihr Schulwesen etwas aufzuwenden. Auf diese Weise war auch die
Annaberger Schule zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. Der Vater Mecum
hoffte vielleicht, daß sein Sohn später dort auch sein Fortkommen finden
würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/126>, abgerufen am 23.07.2024.