Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologische" Standpunkt nicht beachten, nur die Familie kann darauf eingehen, sie stützen und fördern, Vielleicht bietet sich noch ein andrer Weg. auf den der Idee nach schon Es ist notwendig, daß der Staat die Preise der Güter, die zum Leben Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologische» Standpunkt nicht beachten, nur die Familie kann darauf eingehen, sie stützen und fördern, Vielleicht bietet sich noch ein andrer Weg. auf den der Idee nach schon Es ist notwendig, daß der Staat die Preise der Güter, die zum Leben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211179"/> <fw type="header" place="top"> Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologische» Standpunkt</fw><lb/> <p xml:id="ID_12" prev="#ID_11"> nicht beachten, nur die Familie kann darauf eingehen, sie stützen und fördern,<lb/> und wenn es notwendig ist, auch hemmen. Soll der Arbeiter daher zu höherer<lb/> Bildung erzogen werden, so braucht er Zeit zum Lernen und Zeit für das<lb/> Familienleben; er braucht genügenden Lohn, um seine freie Zeit nicht dnrch<lb/> Nebenbeschäftigungen ausfüllen zu müssen, um seine und seiner Familie Ge¬<lb/> sundheit zu erhalten und sich kleine Annehmlichkeiten und Genüsse zu verschaffen,<lb/> die anch seine ästhetische Bildung fördern. Mit einem Worte, die Bildung des<lb/> Arbeiters fordert kürzere Arbeitszeit bei hinreichendem Lohn- Kürzere Arbeits¬<lb/> zeit bei hinreichendem Lohn ist, gleichbedeutend mit einer Lohnerhöhung.<lb/> Es ist nun eine alte Erfahrung, daß jede Lohnerhöhung in ihren wohl¬<lb/> thätigen Wirkungen vernichtet wird durch die Erhöhung der Preise der not¬<lb/> wendigsten Waren. Je mehr der Arbeiter zahlen kann, desto mehr suchen<lb/> ihm auch die Verkäufer abzugewinnen, fo daß schließlich diesen und vor<lb/> allem dem Großhandel der Hauptgewinn zufällt. Das Steige« der Preise<lb/> würde aber mit der Zeit den Arbeiter zwingen, ^bei kürzerer Arbeitszeit) Neben¬<lb/> verdienst aufzusuchen, statt die freie Zeit aus seine Bildung zu verwenden. Dem<lb/> wäre nun vielleicht abzuhelfen durch internationale Vereinbarungen über Arbeits¬<lb/> zeit, Lohn und Preise der Lebensmittel. Eine solche internationale Verein¬<lb/> barung bietet aber nicht nur an sich Schwierigkeiten, sie ist heutzutage, wo sich<lb/> die Nationalitäten so schroff gegenüberstehen, geradezu unmöglich, und sie wird<lb/> auf lange Zeit hinaus unmöglich bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_13"> Vielleicht bietet sich noch ein andrer Weg. auf den der Idee nach schon<lb/> von mancher Seite hingewiesen wurde, dieses Ziel zu erveichen, der freilich bis<lb/> ans Ende verfolgt eine große Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse be¬<lb/> wirket! müßte. Wie weit er zu verfolget! ist, müßte zunächst dem Urteil der<lb/> Nationalökonomie unterworfen werden, vor allem aber hätten das praktische<lb/> Versuche selbst zu entscheiden. Daß dieser Weg nur sehr langsam betreten<lb/> werden dürfte, folgt schon daraus, daß er am Ende zu den eiuschneideudsten<lb/> wirtschaftlichen Veränderungen führen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_14" next="#ID_15"> Es ist notwendig, daß der Staat die Preise der Güter, die zum Leben<lb/> am notwendigsten sind, regeln könne; nur dadurch kaun er die Arbeiter und den<lb/> ärmer» Mittelstand vor der Ausbeutung durch das Großkapital schützen, das<lb/> stets imstande ist, durch Bildung von Ringe» und Anhäufung vou Waren¬<lb/> vorräten die Preise der notwendigsten Güter in die Höhe zu treiben. Ein<lb/> unmittelbares Eingreifen des Staates müßte, wenn es wirksam fein sollte, zur<lb/> Sozialdemokratie sichren; denn der Staat könnte nicht die Preise gewisser<lb/> Waren feststellen, die Preise andrer sich selbst überlasse», weil alle Warm¬<lb/> preise zu sehr mit einander zusammenhänge». Er wäre schließlich genötigt,<lb/> die Preise aller Waren zu regeln, was so ziemlich gleichbedeutend mit der<lb/> Einführung des sozialistischen Systems der Volkswirtschaft wäre. Der Staat<lb/> dürfte daher nur mittelbar eingreifen, und das könnte er nur, wenn er selbst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologische» Standpunkt
nicht beachten, nur die Familie kann darauf eingehen, sie stützen und fördern,
und wenn es notwendig ist, auch hemmen. Soll der Arbeiter daher zu höherer
Bildung erzogen werden, so braucht er Zeit zum Lernen und Zeit für das
Familienleben; er braucht genügenden Lohn, um seine freie Zeit nicht dnrch
Nebenbeschäftigungen ausfüllen zu müssen, um seine und seiner Familie Ge¬
sundheit zu erhalten und sich kleine Annehmlichkeiten und Genüsse zu verschaffen,
die anch seine ästhetische Bildung fördern. Mit einem Worte, die Bildung des
Arbeiters fordert kürzere Arbeitszeit bei hinreichendem Lohn- Kürzere Arbeits¬
zeit bei hinreichendem Lohn ist, gleichbedeutend mit einer Lohnerhöhung.
Es ist nun eine alte Erfahrung, daß jede Lohnerhöhung in ihren wohl¬
thätigen Wirkungen vernichtet wird durch die Erhöhung der Preise der not¬
wendigsten Waren. Je mehr der Arbeiter zahlen kann, desto mehr suchen
ihm auch die Verkäufer abzugewinnen, fo daß schließlich diesen und vor
allem dem Großhandel der Hauptgewinn zufällt. Das Steige« der Preise
würde aber mit der Zeit den Arbeiter zwingen, ^bei kürzerer Arbeitszeit) Neben¬
verdienst aufzusuchen, statt die freie Zeit aus seine Bildung zu verwenden. Dem
wäre nun vielleicht abzuhelfen durch internationale Vereinbarungen über Arbeits¬
zeit, Lohn und Preise der Lebensmittel. Eine solche internationale Verein¬
barung bietet aber nicht nur an sich Schwierigkeiten, sie ist heutzutage, wo sich
die Nationalitäten so schroff gegenüberstehen, geradezu unmöglich, und sie wird
auf lange Zeit hinaus unmöglich bleiben.
Vielleicht bietet sich noch ein andrer Weg. auf den der Idee nach schon
von mancher Seite hingewiesen wurde, dieses Ziel zu erveichen, der freilich bis
ans Ende verfolgt eine große Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse be¬
wirket! müßte. Wie weit er zu verfolget! ist, müßte zunächst dem Urteil der
Nationalökonomie unterworfen werden, vor allem aber hätten das praktische
Versuche selbst zu entscheiden. Daß dieser Weg nur sehr langsam betreten
werden dürfte, folgt schon daraus, daß er am Ende zu den eiuschneideudsten
wirtschaftlichen Veränderungen führen würde.
Es ist notwendig, daß der Staat die Preise der Güter, die zum Leben
am notwendigsten sind, regeln könne; nur dadurch kaun er die Arbeiter und den
ärmer» Mittelstand vor der Ausbeutung durch das Großkapital schützen, das
stets imstande ist, durch Bildung von Ringe» und Anhäufung vou Waren¬
vorräten die Preise der notwendigsten Güter in die Höhe zu treiben. Ein
unmittelbares Eingreifen des Staates müßte, wenn es wirksam fein sollte, zur
Sozialdemokratie sichren; denn der Staat könnte nicht die Preise gewisser
Waren feststellen, die Preise andrer sich selbst überlasse», weil alle Warm¬
preise zu sehr mit einander zusammenhänge». Er wäre schließlich genötigt,
die Preise aller Waren zu regeln, was so ziemlich gleichbedeutend mit der
Einführung des sozialistischen Systems der Volkswirtschaft wäre. Der Staat
dürfte daher nur mittelbar eingreifen, und das könnte er nur, wenn er selbst
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |