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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

besaß ein Stearinlicht, das mir viel Vergnügen machte, weil die Tropfen des
Stearins, in und auf die Hand geträufelt, kleine, feste, weiße Kügelchen gaben,
die ich als Pfeffermünzbonbons anbot. Immer waren dumme Kinder da, die
auf diesen Witz hineinfielen, und des heimlichen Kicherns gab es kein Ende,
bis Herr Sörensen ein lautes "Na na!" ertönen ließ oder einen dicken Strick,
Bakel genannt, in der Luft schwenkte. Er schlug aber höchst selten in der
Privatstunde, und dann nur die Jungen, die es anch immer verdient
hatten.

Ein Hauptfesttag war sei" Geburtstag. Dann wurde in der Schule ge¬
sammelt, und aus den Ertrügnissen dieser Sammlung ein Korblehnstnhl an¬
geschafft, der ihm von einer Deputation feierlich überreicht wurde. Ich wüßte
mich nicht zu erinnern, daß er jemals etwas andres als einen Korblehnstnhl
erhalten hätte; aber er freute sich immer außerordentlich und traktirte seine
große Klasse im Schulsaal mit Glühwein und Theeknchen. Selbstverständlich
hatten an seinem Geburtstage alle Kinder frei; deshalb freuten wir uns immer,
wenn der sechzehnte März kam. Wir, die wir Privatstunde bei ihm hatten,
schenkten ihm etwas besonderes. Dann kamen wir in seine Privatwohnung,
tranken dort Schokolade, und er war immer ganz unglücklich, wenn wir nach
seiner Meinung zu wenig Kuchen gegessen hatten. Er war Junggeselle, und
seine Schwester, ein stilles älteres Mädchen, führte ihm den Hausstand. Wir
aber nannten sie immer Frau Sörensen und konnten es nicht begreifen, daß
sie keine Kinder bekam. An ihres Bruders Geburtstag mußte sie stets, wäh¬
rend sie uns mit Kuchen überfütterte, ein Kreuzfeuer vorwurfsvoller Fragen
über sich ergehen lassen, und noch heute rechne ich es ihr hoch an, daß sie
dabei stets geduldig und gutgelaunt blieb.

Ja, wir Kinder hatten es gut. Trotz der dunkeln Wolke, die über unserm
Lande hing, und unter der mein Vater besonders zu leiden hatte, genossen
wir unsre Kindheit in einer Freiheit und Ungezwungenheit, die jetzt selbst in
einer Kleinstadt nicht mehr möglich ist. Hängt doch über allen jetzt das
Damoklesschwert irgend eines Examens, von dem die Eltern schon von der
Geburt ihres Kindes an sprechen. Damals wußte man gar nicht, daß solche
unangenehme Sachen existirten. Mau lernte, weil man gern etwas lernen
wollte, weil es eine schöne Abwechslung war, und weil man eine reine Frende
einPfand, wenn unser Vater uns freundlich zunickte und sagte: "Sieh, das
weißt du schon; das ist ja schön!" Das war ein Lob, an dem wir lange
zehrten, und das uns zu neuem Fleiß anspornte.

In den klassischen Sprachen unterrichtete mein Vater seine Kinder selbst
und nahm auch wohl noch fremde dazu. Er war freudig überrascht, als sein
ältester Sohn nach der Konfirmation mit fünfzehn Jahren in die Prima des
Gymnasiums zu A. aufgenommen ward, er hatte ihn weder getrieben "och
gedrängt. Mit den andern Söhnen erging es ähnlich; der eine hatte sogar


Aus dänischer Zeit

besaß ein Stearinlicht, das mir viel Vergnügen machte, weil die Tropfen des
Stearins, in und auf die Hand geträufelt, kleine, feste, weiße Kügelchen gaben,
die ich als Pfeffermünzbonbons anbot. Immer waren dumme Kinder da, die
auf diesen Witz hineinfielen, und des heimlichen Kicherns gab es kein Ende,
bis Herr Sörensen ein lautes „Na na!" ertönen ließ oder einen dicken Strick,
Bakel genannt, in der Luft schwenkte. Er schlug aber höchst selten in der
Privatstunde, und dann nur die Jungen, die es anch immer verdient
hatten.

Ein Hauptfesttag war sei« Geburtstag. Dann wurde in der Schule ge¬
sammelt, und aus den Ertrügnissen dieser Sammlung ein Korblehnstnhl an¬
geschafft, der ihm von einer Deputation feierlich überreicht wurde. Ich wüßte
mich nicht zu erinnern, daß er jemals etwas andres als einen Korblehnstnhl
erhalten hätte; aber er freute sich immer außerordentlich und traktirte seine
große Klasse im Schulsaal mit Glühwein und Theeknchen. Selbstverständlich
hatten an seinem Geburtstage alle Kinder frei; deshalb freuten wir uns immer,
wenn der sechzehnte März kam. Wir, die wir Privatstunde bei ihm hatten,
schenkten ihm etwas besonderes. Dann kamen wir in seine Privatwohnung,
tranken dort Schokolade, und er war immer ganz unglücklich, wenn wir nach
seiner Meinung zu wenig Kuchen gegessen hatten. Er war Junggeselle, und
seine Schwester, ein stilles älteres Mädchen, führte ihm den Hausstand. Wir
aber nannten sie immer Frau Sörensen und konnten es nicht begreifen, daß
sie keine Kinder bekam. An ihres Bruders Geburtstag mußte sie stets, wäh¬
rend sie uns mit Kuchen überfütterte, ein Kreuzfeuer vorwurfsvoller Fragen
über sich ergehen lassen, und noch heute rechne ich es ihr hoch an, daß sie
dabei stets geduldig und gutgelaunt blieb.

Ja, wir Kinder hatten es gut. Trotz der dunkeln Wolke, die über unserm
Lande hing, und unter der mein Vater besonders zu leiden hatte, genossen
wir unsre Kindheit in einer Freiheit und Ungezwungenheit, die jetzt selbst in
einer Kleinstadt nicht mehr möglich ist. Hängt doch über allen jetzt das
Damoklesschwert irgend eines Examens, von dem die Eltern schon von der
Geburt ihres Kindes an sprechen. Damals wußte man gar nicht, daß solche
unangenehme Sachen existirten. Mau lernte, weil man gern etwas lernen
wollte, weil es eine schöne Abwechslung war, und weil man eine reine Frende
einPfand, wenn unser Vater uns freundlich zunickte und sagte: „Sieh, das
weißt du schon; das ist ja schön!" Das war ein Lob, an dem wir lange
zehrten, und das uns zu neuem Fleiß anspornte.

In den klassischen Sprachen unterrichtete mein Vater seine Kinder selbst
und nahm auch wohl noch fremde dazu. Er war freudig überrascht, als sein
ältester Sohn nach der Konfirmation mit fünfzehn Jahren in die Prima des
Gymnasiums zu A. aufgenommen ward, er hatte ihn weder getrieben »och
gedrängt. Mit den andern Söhnen erging es ähnlich; der eine hatte sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/90>, abgerufen am 23.07.2024.