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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Schleswig-Holstein -- das Wort durften wir gar nicht aussprechen. In
der Schule hieß es Sleswig und Holstein; der gutmütige Jütlünder, bei dem
ich deutsche Aufsatzstunde hatte, drohte mir mit dem Finger, als ich einmal
das verpönte Wort aussprach. "Du mußt in der Ecke stehen, weim dn noch
einmal so was Verkehrtes sagst!" Ich lachte übermütig. "O, Herr Sörensen,
ich meinte man bloß! Seien Sie nur nicht gleich böse!" Herr Sörensen that
uns ja nie etwas, obgleich er ein patriotischer Düne war und ganz genau
die politischen Ansichten unsrer Familie kannte. Er war ein sehr guter, ge¬
wissenhafter Elementarlehrer, wie es denn überhaupt verkehrt ist, anzunehmen,
daß alle dünischen Beamten und Lehrer, die damals Schleswig-Holstein über¬
schwemmten, schlechte, intrigante Menschen gewesen seien. In unsrer Stadt
wenigsteus war das dänische Element nicht das schlechteste; und wenn wir
Deutschen auch wenig mit ihnen verkehrten, so würde es doch keinem Menschen
eingefallen sein, dieses von ihnen zu sagen. Schlimmer waren die gebornen
Schleswiger, die in der Hoffnung, Karriere zu machen, mit fliegenden Fahnen
zu den Dänen übergegangen waren, die von Schleswig als Südjütland sprachen,
die eine servile Bewunderung sür den volkstümlichen Kong Frederik zur Schau
trugen und von seiner morgamtischen Gemahlin wie von einer Heiligen sprachen.
Diese Renegaten waren die Schoßkinder der dänischen Regierung, sie wurden
mit Orden und Ehren überhäuft und mußten darin für sich und ihre Kinder
einen Ersatz für die Achtung finden, der sie weder bei ihren Landsleuten noch
bei den Dänen begegneten.

So war es denn nur die göttliche Gerechtigkeit, die einen großen Teil
dieser Leute 1864 Amt und Stellung verlieren und das Brot der Verbannung
in Dänemark essen ließ, während viele Dünen ihre Stellung behalte" und
unangefochten in Schleswig-Holstein weiter leben durften. Abgesehen aber
von dem Unbehagen, das die politischen Verhältnisse mit sich brachten, hatten
es die Bewohner von Schleswig-Holstein nicht schlecht. Die Beamtengehalte
waren bedeutend größer, das ganze Leben viel behaglicher und gemütlicher.
Man kannte weder preußische Sparsamkeit, "och preußisches Strebertum, ihr
Leben lang blieben die Beamten auf ihren Posten und verwuchsen dadurch
viel fester mit ihren Mitbürgern. Und wir Kinder brauchten nicht allzuviel
zu lernen, und lernten doch genug, um nachher die berüchtigte" preußischen
Examina bequem und mit leisem Erstaunen darüber, daß nicht mehr verlangt
würde, bestehen zu können.

Wie gemütlich waren die Privatstunden bei Herrn Sörensen, die nach¬
mittags nach Schluß der öffentlichen Schule in denselben Räumen stattfände",
wo Mädchen und Knaben zusammen unterrichtet und mit leiser Hand in die
Geheimnisse des Rechnen und der Weltgeschichte eingeführt wurde". Jedes
Kind mußte ein Licht im blanken Messingleuchter mitbringen, sobald die Tage
ansingen abzunehmen. Meistens waren es selbstgegosscne Talglichter, nur ich


Grenzboten III 1891 11
Aus dänischer Zeit

Schleswig-Holstein — das Wort durften wir gar nicht aussprechen. In
der Schule hieß es Sleswig und Holstein; der gutmütige Jütlünder, bei dem
ich deutsche Aufsatzstunde hatte, drohte mir mit dem Finger, als ich einmal
das verpönte Wort aussprach. „Du mußt in der Ecke stehen, weim dn noch
einmal so was Verkehrtes sagst!" Ich lachte übermütig. „O, Herr Sörensen,
ich meinte man bloß! Seien Sie nur nicht gleich böse!" Herr Sörensen that
uns ja nie etwas, obgleich er ein patriotischer Düne war und ganz genau
die politischen Ansichten unsrer Familie kannte. Er war ein sehr guter, ge¬
wissenhafter Elementarlehrer, wie es denn überhaupt verkehrt ist, anzunehmen,
daß alle dünischen Beamten und Lehrer, die damals Schleswig-Holstein über¬
schwemmten, schlechte, intrigante Menschen gewesen seien. In unsrer Stadt
wenigsteus war das dänische Element nicht das schlechteste; und wenn wir
Deutschen auch wenig mit ihnen verkehrten, so würde es doch keinem Menschen
eingefallen sein, dieses von ihnen zu sagen. Schlimmer waren die gebornen
Schleswiger, die in der Hoffnung, Karriere zu machen, mit fliegenden Fahnen
zu den Dänen übergegangen waren, die von Schleswig als Südjütland sprachen,
die eine servile Bewunderung sür den volkstümlichen Kong Frederik zur Schau
trugen und von seiner morgamtischen Gemahlin wie von einer Heiligen sprachen.
Diese Renegaten waren die Schoßkinder der dänischen Regierung, sie wurden
mit Orden und Ehren überhäuft und mußten darin für sich und ihre Kinder
einen Ersatz für die Achtung finden, der sie weder bei ihren Landsleuten noch
bei den Dänen begegneten.

So war es denn nur die göttliche Gerechtigkeit, die einen großen Teil
dieser Leute 1864 Amt und Stellung verlieren und das Brot der Verbannung
in Dänemark essen ließ, während viele Dünen ihre Stellung behalte« und
unangefochten in Schleswig-Holstein weiter leben durften. Abgesehen aber
von dem Unbehagen, das die politischen Verhältnisse mit sich brachten, hatten
es die Bewohner von Schleswig-Holstein nicht schlecht. Die Beamtengehalte
waren bedeutend größer, das ganze Leben viel behaglicher und gemütlicher.
Man kannte weder preußische Sparsamkeit, «och preußisches Strebertum, ihr
Leben lang blieben die Beamten auf ihren Posten und verwuchsen dadurch
viel fester mit ihren Mitbürgern. Und wir Kinder brauchten nicht allzuviel
zu lernen, und lernten doch genug, um nachher die berüchtigte» preußischen
Examina bequem und mit leisem Erstaunen darüber, daß nicht mehr verlangt
würde, bestehen zu können.

Wie gemütlich waren die Privatstunden bei Herrn Sörensen, die nach¬
mittags nach Schluß der öffentlichen Schule in denselben Räumen stattfände»,
wo Mädchen und Knaben zusammen unterrichtet und mit leiser Hand in die
Geheimnisse des Rechnen und der Weltgeschichte eingeführt wurde». Jedes
Kind mußte ein Licht im blanken Messingleuchter mitbringen, sobald die Tage
ansingen abzunehmen. Meistens waren es selbstgegosscne Talglichter, nur ich


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[0089] Aus dänischer Zeit Schleswig-Holstein — das Wort durften wir gar nicht aussprechen. In der Schule hieß es Sleswig und Holstein; der gutmütige Jütlünder, bei dem ich deutsche Aufsatzstunde hatte, drohte mir mit dem Finger, als ich einmal das verpönte Wort aussprach. „Du mußt in der Ecke stehen, weim dn noch einmal so was Verkehrtes sagst!" Ich lachte übermütig. „O, Herr Sörensen, ich meinte man bloß! Seien Sie nur nicht gleich böse!" Herr Sörensen that uns ja nie etwas, obgleich er ein patriotischer Düne war und ganz genau die politischen Ansichten unsrer Familie kannte. Er war ein sehr guter, ge¬ wissenhafter Elementarlehrer, wie es denn überhaupt verkehrt ist, anzunehmen, daß alle dünischen Beamten und Lehrer, die damals Schleswig-Holstein über¬ schwemmten, schlechte, intrigante Menschen gewesen seien. In unsrer Stadt wenigsteus war das dänische Element nicht das schlechteste; und wenn wir Deutschen auch wenig mit ihnen verkehrten, so würde es doch keinem Menschen eingefallen sein, dieses von ihnen zu sagen. Schlimmer waren die gebornen Schleswiger, die in der Hoffnung, Karriere zu machen, mit fliegenden Fahnen zu den Dänen übergegangen waren, die von Schleswig als Südjütland sprachen, die eine servile Bewunderung sür den volkstümlichen Kong Frederik zur Schau trugen und von seiner morgamtischen Gemahlin wie von einer Heiligen sprachen. Diese Renegaten waren die Schoßkinder der dänischen Regierung, sie wurden mit Orden und Ehren überhäuft und mußten darin für sich und ihre Kinder einen Ersatz für die Achtung finden, der sie weder bei ihren Landsleuten noch bei den Dänen begegneten. So war es denn nur die göttliche Gerechtigkeit, die einen großen Teil dieser Leute 1864 Amt und Stellung verlieren und das Brot der Verbannung in Dänemark essen ließ, während viele Dünen ihre Stellung behalte« und unangefochten in Schleswig-Holstein weiter leben durften. Abgesehen aber von dem Unbehagen, das die politischen Verhältnisse mit sich brachten, hatten es die Bewohner von Schleswig-Holstein nicht schlecht. Die Beamtengehalte waren bedeutend größer, das ganze Leben viel behaglicher und gemütlicher. Man kannte weder preußische Sparsamkeit, «och preußisches Strebertum, ihr Leben lang blieben die Beamten auf ihren Posten und verwuchsen dadurch viel fester mit ihren Mitbürgern. Und wir Kinder brauchten nicht allzuviel zu lernen, und lernten doch genug, um nachher die berüchtigte» preußischen Examina bequem und mit leisem Erstaunen darüber, daß nicht mehr verlangt würde, bestehen zu können. Wie gemütlich waren die Privatstunden bei Herrn Sörensen, die nach¬ mittags nach Schluß der öffentlichen Schule in denselben Räumen stattfände», wo Mädchen und Knaben zusammen unterrichtet und mit leiser Hand in die Geheimnisse des Rechnen und der Weltgeschichte eingeführt wurde». Jedes Kind mußte ein Licht im blanken Messingleuchter mitbringen, sobald die Tage ansingen abzunehmen. Meistens waren es selbstgegosscne Talglichter, nur ich Grenzboten III 1891 11

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/89>, abgerufen am 26.08.2024.