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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

mal Wahrheiten, die erwachsenen Leuten wie Gemeinplätze vorkamen, von uns
aber mit großer Andacht vernommen wurden.

Ja ja, pflegte er zu sagen. Ehrlich währt am längsten! hätt ich das
man eher gewußt! dann wär allens besser gewesen. Aber nun sitz ich da
und habe nix und kann nix und hätt doch ein reichen Mann sein können,
wenn ich man bloß ehrlich gewesen wäre. Aber dazumalen, als ich jung war,
lernte man noch nix, und nu is es zu spät.

Es klang das immer, als wenn die Folge der Ehrlichkeit Reichtum sei"
müßte, und aus diesem Grunde das Befolgen des siebenten Gebotes zu em¬
pfehlen wäre. Daß mau auch ehrlich sein könne, ohne gleich die Belohnung in
klingender Münze zu erhalten, kam Mahlmann gar nicht in den Sinn. In¬
folgedessen gab es natürlich Leute, die ihn einen alten Spitzbuben nannte",
der nicht einmal die Sünden seiner Vergangenheit bereue, sondern nur außer"
Vorteiles wegen bedaure, kein ehrlicher Mann geblieben zu sein. Wir Kinder
aber besaßen noch nicht soviel Unterscheidungsvermögen und hätten den alten
Mann ungern in unserm Freundeskreise entbehrt. Er that auch keinem Men¬
schen etwas, und er war so einsam und allein, wie wenige. Früher, als er
noch gehen konnte, war er aufs Laud gewandert, um alte Freunde zu besuchen,
auch wohl hin und wieder etwas zu betteln; aber jetzt versagten ihm die
Glieder, und er sah sich auf die Mildthätigkeit seiner Mitmenschen angewiesen.
Nur daß er manchmal einen Dank aussprechen mußte, wo ihm eine Gabe halb
widerstrebend, halb gleichgiltig gereicht worden war, das machte ihm verdrießlich
und gallig, das fraß an ihm, sodaß er dann böse Worte sprach, die ihn: selbst
am meisten schadeten. Denn das Geschlecht der Wohlthäter ist von jeher ein
anspruchsvolles gewesen, das mit Samiuetpfötchen angefaßt werden will, wenn
es nicht, über den Undank der ganzen Welt schreiend, mit stvlzerhvbuem Haupte
sich vou allein Geben zurückziehen soll. Wir Kinder aber verlangten keine
gerührten Dankeshymnen, wenn wir Großvaters Köchin allerlei Gutes für
unsern Freund abgeschwätzt hatten. Wir waren ja satt, Nur brauchten die
Lebensmittel nicht, die wir lustig davontrugen, unsrer Ansicht nach war unser
Großvater ein reicher Mann, dem es nicht darauf ankommen konnte, ein paar
Arme satt zu machen, und mit strahlenden Gesichtern polterten wir zu Mühl-
mann hinein: Hier ist etwas für dich! Slina wollte es uns nicht geben;
aber wir liefen damit weg, und sie konnte uns nicht einholen! Dann lüftete
der Alte den Korbdeckel, um den Duft der Speise einzuatmen. Gebratne
Klöße! sagte er schmunzelnd. Mit Speck gebraten! Kinners, nun werd ich
mal wieder gesund! Deal was die echten, rechte" Klöße sind, mit denen muß
mau einen erwachsene" Kerl ein Loch in den Kopf smeißen können. Und wer
die aufm Totenbett zu essen kriegt, der lebt noch wenigstens ein Jahr länger,
so gesund sind sie! Abers mit Speck müssen sie gebraten sein, mit richtigem
Sweinespeck, sonst is das nix!


Aus dänischer Zeit

mal Wahrheiten, die erwachsenen Leuten wie Gemeinplätze vorkamen, von uns
aber mit großer Andacht vernommen wurden.

Ja ja, pflegte er zu sagen. Ehrlich währt am längsten! hätt ich das
man eher gewußt! dann wär allens besser gewesen. Aber nun sitz ich da
und habe nix und kann nix und hätt doch ein reichen Mann sein können,
wenn ich man bloß ehrlich gewesen wäre. Aber dazumalen, als ich jung war,
lernte man noch nix, und nu is es zu spät.

Es klang das immer, als wenn die Folge der Ehrlichkeit Reichtum sei»
müßte, und aus diesem Grunde das Befolgen des siebenten Gebotes zu em¬
pfehlen wäre. Daß mau auch ehrlich sein könne, ohne gleich die Belohnung in
klingender Münze zu erhalten, kam Mahlmann gar nicht in den Sinn. In¬
folgedessen gab es natürlich Leute, die ihn einen alten Spitzbuben nannte»,
der nicht einmal die Sünden seiner Vergangenheit bereue, sondern nur außer»
Vorteiles wegen bedaure, kein ehrlicher Mann geblieben zu sein. Wir Kinder
aber besaßen noch nicht soviel Unterscheidungsvermögen und hätten den alten
Mann ungern in unserm Freundeskreise entbehrt. Er that auch keinem Men¬
schen etwas, und er war so einsam und allein, wie wenige. Früher, als er
noch gehen konnte, war er aufs Laud gewandert, um alte Freunde zu besuchen,
auch wohl hin und wieder etwas zu betteln; aber jetzt versagten ihm die
Glieder, und er sah sich auf die Mildthätigkeit seiner Mitmenschen angewiesen.
Nur daß er manchmal einen Dank aussprechen mußte, wo ihm eine Gabe halb
widerstrebend, halb gleichgiltig gereicht worden war, das machte ihm verdrießlich
und gallig, das fraß an ihm, sodaß er dann böse Worte sprach, die ihn: selbst
am meisten schadeten. Denn das Geschlecht der Wohlthäter ist von jeher ein
anspruchsvolles gewesen, das mit Samiuetpfötchen angefaßt werden will, wenn
es nicht, über den Undank der ganzen Welt schreiend, mit stvlzerhvbuem Haupte
sich vou allein Geben zurückziehen soll. Wir Kinder aber verlangten keine
gerührten Dankeshymnen, wenn wir Großvaters Köchin allerlei Gutes für
unsern Freund abgeschwätzt hatten. Wir waren ja satt, Nur brauchten die
Lebensmittel nicht, die wir lustig davontrugen, unsrer Ansicht nach war unser
Großvater ein reicher Mann, dem es nicht darauf ankommen konnte, ein paar
Arme satt zu machen, und mit strahlenden Gesichtern polterten wir zu Mühl-
mann hinein: Hier ist etwas für dich! Slina wollte es uns nicht geben;
aber wir liefen damit weg, und sie konnte uns nicht einholen! Dann lüftete
der Alte den Korbdeckel, um den Duft der Speise einzuatmen. Gebratne
Klöße! sagte er schmunzelnd. Mit Speck gebraten! Kinners, nun werd ich
mal wieder gesund! Deal was die echten, rechte» Klöße sind, mit denen muß
mau einen erwachsene» Kerl ein Loch in den Kopf smeißen können. Und wer
die aufm Totenbett zu essen kriegt, der lebt noch wenigstens ein Jahr länger,
so gesund sind sie! Abers mit Speck müssen sie gebraten sein, mit richtigem
Sweinespeck, sonst is das nix!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/620>, abgerufen am 23.07.2024.