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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ain- Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

reicht, so würde er ihn trinken. Um es also kurz zu sagen: vor der drohenden
Gefahr, mit dem Papste ihre Kirche zu verlieren, haben sich die deutscheu
Katholiken in den Schutz des Unfehlbarer geflüchtet; ist der Papst unfehlbar,
so -- kaun ja das Schreckliche, was die Geschichtswissenschaft enthüllt, gar
nicht wahr sein!

Die beiden Artikel über die Inquisition bilden zusammen eine kurze
quellenmäßige Geschichte dieses Haifisches uuter den menschlichen Einrichtungen.
Professor Neusch sollte sie in einen verarbeiten und besonders Herausgeber.
Das würde ein etwa hundert Seiten starkes Büchlein ergeben, von dem
mindestens zehnmal so viel Exemplare verkauft werden würden, wie von dem
vorliegenden ziemlich dicken Bande. Der Protestant findet darin das schlimmste,
was er sich von der Sache gedacht hat, urkundlich bestätigt. Es werden in
besondern Abschnitten abgehandelt: die ältere zur Ausrottung der Katharer,
Patarener und Waldenser eingeführte, dann die spanische Inquisition, die Ein¬
führung der Hexenprozesse lind die zur Unterdrückung des Protestantismus
wiederhergestellte römische Inquisition. Um einige Ziffern anzuführen, so sind
unter Torquemada während der vierzig Jahre von 1480 bis 1520 in der
einen Stadt Sevilla viertausend Menschen lebendig verbrannt, über dreißig-
tnuseud "Bußfertige" zu Kerker oder Galeere und öffentlicher Beschimpfung
verurteilt worden. Die Zahl der Verurteilungen in der ganzen Diözese Se¬
villa beläuft sich für den angegebnen Zeitraum auf hunderttausend und darüber.
Jsabella hat sich doch einigermaßen im Gewissen beunruhigt gefühlt. Sie
schreibt einmal nach Rom: "Ich habe großes Unglück verursacht, habe Städte
und Länder, Provinzen und Königreiche entvölkert, doch alles aus Liebe zu
Christus und seiner jungfräulichen Mutter." Gewiß eine wunderbare Liebe!
Übrigens scheinen die Anwandlungen von Neue, deren diese vom Fanatismus
verschrobne Seele noch fähig war, mehr politischer als menschlicher Natur ge¬
wesen zu sein; die Entvölkerung und Verwüstung ihres Staates schmerzt sie,
daß sie jedoch mit den gemarterten Menschen, worunter sich zarte Kinder und
kranke Greisinnen befanden, Mitleid gefühlt hätte, ist nicht zu erkennen. Beim
Regierungsantritt Karls V. gaben sich die Cortes große Mühe, einige Milde¬
rungen des Verfahrens durchzusetzen: dein Angeklagten, hieß es in einer vom
Rechtsgelehrten Juan Selvagio aufgesetzte" Schrift, sollten wenigstens die
Denunzianten genannt, die Inquisitoren sollten nicht aus dem Vermögen der
Angeklagten bezahlt, sondern vom Staate besoldet, die Juquisitivnsgerichte alle
zwei Jahre einer Visitation unterworfen werden. "Einkerkerungen sollten nur
auf hinreichend begründete Indizien erfolgen, die Gefangnen in erträglichen
Kerkern verwahrt und ihnen der Gottesdienst und der Gebrauch der kirchlichen
Heilsmittel verstattet werde". Die Folter solle nur mit Mäßigung, nicht
wiederholt und mit Beseitigung der neu erfundnen grausamen Peinignngs-
mittel angewendet werden. Mau hätte erwarten sollen, daß ein junger, fern


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reicht, so würde er ihn trinken. Um es also kurz zu sagen: vor der drohenden
Gefahr, mit dem Papste ihre Kirche zu verlieren, haben sich die deutscheu
Katholiken in den Schutz des Unfehlbarer geflüchtet; ist der Papst unfehlbar,
so — kaun ja das Schreckliche, was die Geschichtswissenschaft enthüllt, gar
nicht wahr sein!

Die beiden Artikel über die Inquisition bilden zusammen eine kurze
quellenmäßige Geschichte dieses Haifisches uuter den menschlichen Einrichtungen.
Professor Neusch sollte sie in einen verarbeiten und besonders Herausgeber.
Das würde ein etwa hundert Seiten starkes Büchlein ergeben, von dem
mindestens zehnmal so viel Exemplare verkauft werden würden, wie von dem
vorliegenden ziemlich dicken Bande. Der Protestant findet darin das schlimmste,
was er sich von der Sache gedacht hat, urkundlich bestätigt. Es werden in
besondern Abschnitten abgehandelt: die ältere zur Ausrottung der Katharer,
Patarener und Waldenser eingeführte, dann die spanische Inquisition, die Ein¬
führung der Hexenprozesse lind die zur Unterdrückung des Protestantismus
wiederhergestellte römische Inquisition. Um einige Ziffern anzuführen, so sind
unter Torquemada während der vierzig Jahre von 1480 bis 1520 in der
einen Stadt Sevilla viertausend Menschen lebendig verbrannt, über dreißig-
tnuseud „Bußfertige" zu Kerker oder Galeere und öffentlicher Beschimpfung
verurteilt worden. Die Zahl der Verurteilungen in der ganzen Diözese Se¬
villa beläuft sich für den angegebnen Zeitraum auf hunderttausend und darüber.
Jsabella hat sich doch einigermaßen im Gewissen beunruhigt gefühlt. Sie
schreibt einmal nach Rom: „Ich habe großes Unglück verursacht, habe Städte
und Länder, Provinzen und Königreiche entvölkert, doch alles aus Liebe zu
Christus und seiner jungfräulichen Mutter." Gewiß eine wunderbare Liebe!
Übrigens scheinen die Anwandlungen von Neue, deren diese vom Fanatismus
verschrobne Seele noch fähig war, mehr politischer als menschlicher Natur ge¬
wesen zu sein; die Entvölkerung und Verwüstung ihres Staates schmerzt sie,
daß sie jedoch mit den gemarterten Menschen, worunter sich zarte Kinder und
kranke Greisinnen befanden, Mitleid gefühlt hätte, ist nicht zu erkennen. Beim
Regierungsantritt Karls V. gaben sich die Cortes große Mühe, einige Milde¬
rungen des Verfahrens durchzusetzen: dein Angeklagten, hieß es in einer vom
Rechtsgelehrten Juan Selvagio aufgesetzte» Schrift, sollten wenigstens die
Denunzianten genannt, die Inquisitoren sollten nicht aus dem Vermögen der
Angeklagten bezahlt, sondern vom Staate besoldet, die Juquisitivnsgerichte alle
zwei Jahre einer Visitation unterworfen werden. „Einkerkerungen sollten nur
auf hinreichend begründete Indizien erfolgen, die Gefangnen in erträglichen
Kerkern verwahrt und ihnen der Gottesdienst und der Gebrauch der kirchlichen
Heilsmittel verstattet werde». Die Folter solle nur mit Mäßigung, nicht
wiederholt und mit Beseitigung der neu erfundnen grausamen Peinignngs-
mittel angewendet werden. Mau hätte erwarten sollen, daß ein junger, fern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/606>, abgerufen am 26.08.2024.