Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Theodor Körners Vater

damals noch etwas neues. In Verbindung damit befleißigte er sich dann
aber auch der Naturwissenschaften und der Mathematik, namentlich in ihren
Anwendungen auf die Bedürfnisse und Gewerbe der Menschen, ein Gebiet, das
man heutzutage Technologie nennen würde.

Bei feinen Studien leitete ihn nicht die Absicht, durch die Erlangung
besondrer Fachkenntnisse später in seiner Laufbahn schneller vorwärts zu
kommen, sondern das Streben, auf unbekanntem Bahnen zu forschen. Im
allgemeinen war es der Trieb nach Erkenntnis und Wahrheit, der ihn beseelte.
Von vornherein hatte er sich den Wahlspruch erkoren, der Wahrheit das Leben
zu widmen (viwni iinxsnäsrv ve-ro), ganz im Sinne des um jene Zeit von
G. E. Lessing in seiner Duplik gegen Goeze aufgestellten Forschergrundsatzes,
daß nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend jemand sei oder zu sein ver¬
neine, sondern die aufrichtige Mühe, die er aufgewendet habe, hinter die
Wahrheit zu kommen, den Wert eines Menschen ausmache.

Nachdem Körner seine Studien in Leipzig begonnen und in Göttingen
fortgesetzt hatte, kehrte er 1777 in seine Vaterstadt zurück, um sie dort ab¬
zuschließen. Im folgenden Jahre wurde er Magister in der philosophischen
Fakultät und erwarb sich 1779 die Erlaubnis, juristische Vorlesungen zu
halten, nachdem er vorher die Würde eines Doktors beider Rechte erlangt
hatte. Aber Zuhörer wollten nicht kommen. Nach einem Jahrzehnt schrieb
er mit gutmütiger Selbstverspottung an Schiller, den angehenden Geschichts¬
professor: "Mit mehr Geräusch hättest du deine neue Laufbahn nicht beginnen
können. Ich kann mich desto besser in deinen Fall denken, da ich selbst etliche
male zu Anfang des halben Jahres am Fenster gelauert habe, wobei jedes
Stiefeltratfchen mir willkommene Musik war." Zuvor erhielt er noch Ge¬
legenheit, außer der vielseitig gelehrten sich auch eine weltmännische Bildung
anzueignen. Im Herbst desselben Jahres (1779) begleitete er einen jungen
Grafen (Schönburg-Glauchau) als Mentor auf dessen "Kavaliertvur." Die
Reise dauerte ungefähr vierzehn Monate, und er lernte auf ihr außer einem
großen Teile Deutschlands Holland, England, Frankreich, die Niederlande
und die Schweiz kennen. Nach der guten Sitte der damaligen Zeit führte er
ein eingehendes Neisetagebuch, worin er sich in verständigem Ton und ohne viele
Redensarten über Land und Leute, Kunst und Industrie ausspricht.

Schon 1781 verzichtete er darauf, in seinem Auditorium die Studenten
vergeblich zu erwarten, und wurde Konsistorialadvokat in Leipzig. Da er sich
guter Empfehlungen zu erfreuen hatte und auch wirklich bald als brauchbarer
Beamter erkannt wurde, erstieg er bereits uach zwei Jahren eine höhere Stufe
und ward als jüngster, auf jeden Fall sehr junger Rat, an das Oberkon¬
sistorium nach Dresden berufen.

Der Abschied aus seiner Vaterstadt wurde ihm schwer, besonders auch
deshalb, weil ihn dort die Liebe gefesselt hielt. Schon 1782 hatte er sich mit


Gvenzbvten III 1891 71
Theodor Körners Vater

damals noch etwas neues. In Verbindung damit befleißigte er sich dann
aber auch der Naturwissenschaften und der Mathematik, namentlich in ihren
Anwendungen auf die Bedürfnisse und Gewerbe der Menschen, ein Gebiet, das
man heutzutage Technologie nennen würde.

Bei feinen Studien leitete ihn nicht die Absicht, durch die Erlangung
besondrer Fachkenntnisse später in seiner Laufbahn schneller vorwärts zu
kommen, sondern das Streben, auf unbekanntem Bahnen zu forschen. Im
allgemeinen war es der Trieb nach Erkenntnis und Wahrheit, der ihn beseelte.
Von vornherein hatte er sich den Wahlspruch erkoren, der Wahrheit das Leben
zu widmen (viwni iinxsnäsrv ve-ro), ganz im Sinne des um jene Zeit von
G. E. Lessing in seiner Duplik gegen Goeze aufgestellten Forschergrundsatzes,
daß nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend jemand sei oder zu sein ver¬
neine, sondern die aufrichtige Mühe, die er aufgewendet habe, hinter die
Wahrheit zu kommen, den Wert eines Menschen ausmache.

Nachdem Körner seine Studien in Leipzig begonnen und in Göttingen
fortgesetzt hatte, kehrte er 1777 in seine Vaterstadt zurück, um sie dort ab¬
zuschließen. Im folgenden Jahre wurde er Magister in der philosophischen
Fakultät und erwarb sich 1779 die Erlaubnis, juristische Vorlesungen zu
halten, nachdem er vorher die Würde eines Doktors beider Rechte erlangt
hatte. Aber Zuhörer wollten nicht kommen. Nach einem Jahrzehnt schrieb
er mit gutmütiger Selbstverspottung an Schiller, den angehenden Geschichts¬
professor: „Mit mehr Geräusch hättest du deine neue Laufbahn nicht beginnen
können. Ich kann mich desto besser in deinen Fall denken, da ich selbst etliche
male zu Anfang des halben Jahres am Fenster gelauert habe, wobei jedes
Stiefeltratfchen mir willkommene Musik war." Zuvor erhielt er noch Ge¬
legenheit, außer der vielseitig gelehrten sich auch eine weltmännische Bildung
anzueignen. Im Herbst desselben Jahres (1779) begleitete er einen jungen
Grafen (Schönburg-Glauchau) als Mentor auf dessen „Kavaliertvur." Die
Reise dauerte ungefähr vierzehn Monate, und er lernte auf ihr außer einem
großen Teile Deutschlands Holland, England, Frankreich, die Niederlande
und die Schweiz kennen. Nach der guten Sitte der damaligen Zeit führte er
ein eingehendes Neisetagebuch, worin er sich in verständigem Ton und ohne viele
Redensarten über Land und Leute, Kunst und Industrie ausspricht.

Schon 1781 verzichtete er darauf, in seinem Auditorium die Studenten
vergeblich zu erwarten, und wurde Konsistorialadvokat in Leipzig. Da er sich
guter Empfehlungen zu erfreuen hatte und auch wirklich bald als brauchbarer
Beamter erkannt wurde, erstieg er bereits uach zwei Jahren eine höhere Stufe
und ward als jüngster, auf jeden Fall sehr junger Rat, an das Oberkon¬
sistorium nach Dresden berufen.

Der Abschied aus seiner Vaterstadt wurde ihm schwer, besonders auch
deshalb, weil ihn dort die Liebe gefesselt hielt. Schon 1782 hatte er sich mit


Gvenzbvten III 1891 71
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290338"/>
          <fw type="header" place="top"> Theodor Körners Vater</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1693" prev="#ID_1692"> damals noch etwas neues. In Verbindung damit befleißigte er sich dann<lb/>
aber auch der Naturwissenschaften und der Mathematik, namentlich in ihren<lb/>
Anwendungen auf die Bedürfnisse und Gewerbe der Menschen, ein Gebiet, das<lb/>
man heutzutage Technologie nennen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1694"> Bei feinen Studien leitete ihn nicht die Absicht, durch die Erlangung<lb/>
besondrer Fachkenntnisse später in seiner Laufbahn schneller vorwärts zu<lb/>
kommen, sondern das Streben, auf unbekanntem Bahnen zu forschen. Im<lb/>
allgemeinen war es der Trieb nach Erkenntnis und Wahrheit, der ihn beseelte.<lb/>
Von vornherein hatte er sich den Wahlspruch erkoren, der Wahrheit das Leben<lb/>
zu widmen (viwni iinxsnäsrv ve-ro), ganz im Sinne des um jene Zeit von<lb/>
G. E. Lessing in seiner Duplik gegen Goeze aufgestellten Forschergrundsatzes,<lb/>
daß nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend jemand sei oder zu sein ver¬<lb/>
neine, sondern die aufrichtige Mühe, die er aufgewendet habe, hinter die<lb/>
Wahrheit zu kommen, den Wert eines Menschen ausmache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1695"> Nachdem Körner seine Studien in Leipzig begonnen und in Göttingen<lb/>
fortgesetzt hatte, kehrte er 1777 in seine Vaterstadt zurück, um sie dort ab¬<lb/>
zuschließen. Im folgenden Jahre wurde er Magister in der philosophischen<lb/>
Fakultät und erwarb sich 1779 die Erlaubnis, juristische Vorlesungen zu<lb/>
halten, nachdem er vorher die Würde eines Doktors beider Rechte erlangt<lb/>
hatte. Aber Zuhörer wollten nicht kommen. Nach einem Jahrzehnt schrieb<lb/>
er mit gutmütiger Selbstverspottung an Schiller, den angehenden Geschichts¬<lb/>
professor: &#x201E;Mit mehr Geräusch hättest du deine neue Laufbahn nicht beginnen<lb/>
können. Ich kann mich desto besser in deinen Fall denken, da ich selbst etliche<lb/>
male zu Anfang des halben Jahres am Fenster gelauert habe, wobei jedes<lb/>
Stiefeltratfchen mir willkommene Musik war." Zuvor erhielt er noch Ge¬<lb/>
legenheit, außer der vielseitig gelehrten sich auch eine weltmännische Bildung<lb/>
anzueignen. Im Herbst desselben Jahres (1779) begleitete er einen jungen<lb/>
Grafen (Schönburg-Glauchau) als Mentor auf dessen &#x201E;Kavaliertvur." Die<lb/>
Reise dauerte ungefähr vierzehn Monate, und er lernte auf ihr außer einem<lb/>
großen Teile Deutschlands Holland, England, Frankreich, die Niederlande<lb/>
und die Schweiz kennen. Nach der guten Sitte der damaligen Zeit führte er<lb/>
ein eingehendes Neisetagebuch, worin er sich in verständigem Ton und ohne viele<lb/>
Redensarten über Land und Leute, Kunst und Industrie ausspricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1696"> Schon 1781 verzichtete er darauf, in seinem Auditorium die Studenten<lb/>
vergeblich zu erwarten, und wurde Konsistorialadvokat in Leipzig. Da er sich<lb/>
guter Empfehlungen zu erfreuen hatte und auch wirklich bald als brauchbarer<lb/>
Beamter erkannt wurde, erstieg er bereits uach zwei Jahren eine höhere Stufe<lb/>
und ward als jüngster, auf jeden Fall sehr junger Rat, an das Oberkon¬<lb/>
sistorium nach Dresden berufen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1697" next="#ID_1698"> Der Abschied aus seiner Vaterstadt wurde ihm schwer, besonders auch<lb/>
deshalb, weil ihn dort die Liebe gefesselt hielt. Schon 1782 hatte er sich mit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gvenzbvten III 1891 71</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0569] Theodor Körners Vater damals noch etwas neues. In Verbindung damit befleißigte er sich dann aber auch der Naturwissenschaften und der Mathematik, namentlich in ihren Anwendungen auf die Bedürfnisse und Gewerbe der Menschen, ein Gebiet, das man heutzutage Technologie nennen würde. Bei feinen Studien leitete ihn nicht die Absicht, durch die Erlangung besondrer Fachkenntnisse später in seiner Laufbahn schneller vorwärts zu kommen, sondern das Streben, auf unbekanntem Bahnen zu forschen. Im allgemeinen war es der Trieb nach Erkenntnis und Wahrheit, der ihn beseelte. Von vornherein hatte er sich den Wahlspruch erkoren, der Wahrheit das Leben zu widmen (viwni iinxsnäsrv ve-ro), ganz im Sinne des um jene Zeit von G. E. Lessing in seiner Duplik gegen Goeze aufgestellten Forschergrundsatzes, daß nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend jemand sei oder zu sein ver¬ neine, sondern die aufrichtige Mühe, die er aufgewendet habe, hinter die Wahrheit zu kommen, den Wert eines Menschen ausmache. Nachdem Körner seine Studien in Leipzig begonnen und in Göttingen fortgesetzt hatte, kehrte er 1777 in seine Vaterstadt zurück, um sie dort ab¬ zuschließen. Im folgenden Jahre wurde er Magister in der philosophischen Fakultät und erwarb sich 1779 die Erlaubnis, juristische Vorlesungen zu halten, nachdem er vorher die Würde eines Doktors beider Rechte erlangt hatte. Aber Zuhörer wollten nicht kommen. Nach einem Jahrzehnt schrieb er mit gutmütiger Selbstverspottung an Schiller, den angehenden Geschichts¬ professor: „Mit mehr Geräusch hättest du deine neue Laufbahn nicht beginnen können. Ich kann mich desto besser in deinen Fall denken, da ich selbst etliche male zu Anfang des halben Jahres am Fenster gelauert habe, wobei jedes Stiefeltratfchen mir willkommene Musik war." Zuvor erhielt er noch Ge¬ legenheit, außer der vielseitig gelehrten sich auch eine weltmännische Bildung anzueignen. Im Herbst desselben Jahres (1779) begleitete er einen jungen Grafen (Schönburg-Glauchau) als Mentor auf dessen „Kavaliertvur." Die Reise dauerte ungefähr vierzehn Monate, und er lernte auf ihr außer einem großen Teile Deutschlands Holland, England, Frankreich, die Niederlande und die Schweiz kennen. Nach der guten Sitte der damaligen Zeit führte er ein eingehendes Neisetagebuch, worin er sich in verständigem Ton und ohne viele Redensarten über Land und Leute, Kunst und Industrie ausspricht. Schon 1781 verzichtete er darauf, in seinem Auditorium die Studenten vergeblich zu erwarten, und wurde Konsistorialadvokat in Leipzig. Da er sich guter Empfehlungen zu erfreuen hatte und auch wirklich bald als brauchbarer Beamter erkannt wurde, erstieg er bereits uach zwei Jahren eine höhere Stufe und ward als jüngster, auf jeden Fall sehr junger Rat, an das Oberkon¬ sistorium nach Dresden berufen. Der Abschied aus seiner Vaterstadt wurde ihm schwer, besonders auch deshalb, weil ihn dort die Liebe gefesselt hielt. Schon 1782 hatte er sich mit Gvenzbvten III 1891 71

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/569
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/569>, abgerufen am 24.07.2024.