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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Körners Vater

Genau so lag der Fall bei Theodor Körners Vater. Die "Einzel¬
leistung", trotz äußern Druckes, war groß, weil sie der Allgemeinheit diente.
Und der leibliche und geistige Sohn des charaktervoller Vaters besiegelte die
ihm vom Vater eingeflößte Gesinnung mit seinem Herzblute. Der Vater aber
war ein deutscher Charakter durch und dnrch. Um dies zu erweisen, sei hier
in großen Zügen sein Lebens- und Entwicklungsgang geschildert.

Christian Gottfried Körner wurde am 2. Juli 1756 zu Leipzig geboren
als der Sohn eines strenggläubigen Geistlichen, der den beiden altberühmten
Leipziger Gotteshäusern, der Nikolai- und der Thomaskirche, angehörte. Schon
dieser, ein ehrenfester Charakter vom Schlage etwa des alten Lessing oder Goethe,
nahm in dem Leipzig jener Tage, das sich erst später zu einem Klein-Paris
umbildete, nicht bloß in geistlichen, sondern auch geistigen Dingen eine füh¬
rende Stellung ein. Reich an Titeln -- er war Dr, tdsol,, Archidiakonus
an der Thomaskirche, Superintendent, ordentlicher Professor, Assessor im
Konsistorium, zuletzt noch Domherr des Hochstifts zu Meißen -- fehlte es
ihm infolge seiner zahlreichen Ämter auch nicht an Mitteln, wozu kam, daß
er seine Lebensgefährtin, Sophie Margarete Reiner, aus einem gewichtigen
Leipziger Patrizierhanse erwählt hatte. Wenn ihn auch das Bewußtsein seines
Wertes nicht gerade verblendete, so meinte er doch, zumal da ihn seine tadel¬
lose Lebensführung vollends sicher machte, den Sohn die väterlichen Wege
führen zu müssen. Wie es indes oft zu geschehen Pflegt, stieß er ans Wider¬
stand. Ein unabhängiger Sinn geht eigne Bahnen.

Der dreizehnjährige Knabe bezog mit kurfürstlicher, ihm vom Vater er¬
wirkter Protektion die Landesschule zu Grimma', das Noläanum illustre.
Schon aus jener Zeit stammt ein Gedicht an eine Körnersche spätere "Erd¬
karte," Frau Christiane Sophie Ayrer in Zerbst, das nicht ungewandt abgefaßt
ist. Aber weit entfernt, sich dichterischen Schwärmereien hinzugeben, entwickelte
er, von Eltern und Lehrern vielfach angespornt, aber auch aus eignem An¬
triebe, einen ruhigen Fleiß und versagte sich selbst die unschuldigsten Ver¬
gnügungen. Dieser Eifer, der sich eigentlich niemals geungthuu konnte, zeichnete
ihn während seines ganzen Lebens aus.

Mit einer gründlichen klassischen Bildung ausgerüstet, sollte er sich nach
beendeten Schuljahren für einen Beruf entscheiden. Er würde, nach seinen
eignen Mitteilungen, dem väterlichen Beispiele gefolgt sein und die Theologie
erwählt haben, hätte nicht die Philosophie schon Zweifel in ihm wachgerufen.
Die unangenehme Situation der praktischen Ärzte verleidete ihm von vorn¬
herein die Medizin. So blieb, da für ihn nur drei Fakultäten in Betracht
kamen, noch die Jurisprudenz übrig. Weil ihn aber davon das "buntscheckige
Gewebe willkürlicher Sätze, die trotz ihrer Widersinnigkeit dem Gedächtnis
eingeprägt werden mußten," abstieß, so beschloß er, die Rechtsgelehrsamkeit
mehr nach der philosophischen und nationalökonomischen Seite zu betreiben,


Theodor Körners Vater

Genau so lag der Fall bei Theodor Körners Vater. Die „Einzel¬
leistung", trotz äußern Druckes, war groß, weil sie der Allgemeinheit diente.
Und der leibliche und geistige Sohn des charaktervoller Vaters besiegelte die
ihm vom Vater eingeflößte Gesinnung mit seinem Herzblute. Der Vater aber
war ein deutscher Charakter durch und dnrch. Um dies zu erweisen, sei hier
in großen Zügen sein Lebens- und Entwicklungsgang geschildert.

Christian Gottfried Körner wurde am 2. Juli 1756 zu Leipzig geboren
als der Sohn eines strenggläubigen Geistlichen, der den beiden altberühmten
Leipziger Gotteshäusern, der Nikolai- und der Thomaskirche, angehörte. Schon
dieser, ein ehrenfester Charakter vom Schlage etwa des alten Lessing oder Goethe,
nahm in dem Leipzig jener Tage, das sich erst später zu einem Klein-Paris
umbildete, nicht bloß in geistlichen, sondern auch geistigen Dingen eine füh¬
rende Stellung ein. Reich an Titeln — er war Dr, tdsol,, Archidiakonus
an der Thomaskirche, Superintendent, ordentlicher Professor, Assessor im
Konsistorium, zuletzt noch Domherr des Hochstifts zu Meißen — fehlte es
ihm infolge seiner zahlreichen Ämter auch nicht an Mitteln, wozu kam, daß
er seine Lebensgefährtin, Sophie Margarete Reiner, aus einem gewichtigen
Leipziger Patrizierhanse erwählt hatte. Wenn ihn auch das Bewußtsein seines
Wertes nicht gerade verblendete, so meinte er doch, zumal da ihn seine tadel¬
lose Lebensführung vollends sicher machte, den Sohn die väterlichen Wege
führen zu müssen. Wie es indes oft zu geschehen Pflegt, stieß er ans Wider¬
stand. Ein unabhängiger Sinn geht eigne Bahnen.

Der dreizehnjährige Knabe bezog mit kurfürstlicher, ihm vom Vater er¬
wirkter Protektion die Landesschule zu Grimma', das Noläanum illustre.
Schon aus jener Zeit stammt ein Gedicht an eine Körnersche spätere „Erd¬
karte," Frau Christiane Sophie Ayrer in Zerbst, das nicht ungewandt abgefaßt
ist. Aber weit entfernt, sich dichterischen Schwärmereien hinzugeben, entwickelte
er, von Eltern und Lehrern vielfach angespornt, aber auch aus eignem An¬
triebe, einen ruhigen Fleiß und versagte sich selbst die unschuldigsten Ver¬
gnügungen. Dieser Eifer, der sich eigentlich niemals geungthuu konnte, zeichnete
ihn während seines ganzen Lebens aus.

Mit einer gründlichen klassischen Bildung ausgerüstet, sollte er sich nach
beendeten Schuljahren für einen Beruf entscheiden. Er würde, nach seinen
eignen Mitteilungen, dem väterlichen Beispiele gefolgt sein und die Theologie
erwählt haben, hätte nicht die Philosophie schon Zweifel in ihm wachgerufen.
Die unangenehme Situation der praktischen Ärzte verleidete ihm von vorn¬
herein die Medizin. So blieb, da für ihn nur drei Fakultäten in Betracht
kamen, noch die Jurisprudenz übrig. Weil ihn aber davon das „buntscheckige
Gewebe willkürlicher Sätze, die trotz ihrer Widersinnigkeit dem Gedächtnis
eingeprägt werden mußten," abstieß, so beschloß er, die Rechtsgelehrsamkeit
mehr nach der philosophischen und nationalökonomischen Seite zu betreiben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/568>, abgerufen am 24.07.2024.