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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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A"r sozialen Frage

die europäischer Fleiß hervorgebracht hat, verloren gehen werden. Min denke
sich nur einmal, diese Hunderte von Millionen wären bei einer gerechteren
uno humaneren Verteilung des Gesamtertrages in die Hände der Arbeiter
gekommen und hätten zur Aufbesserung ihres Verbrauchs gedient, sie wären
also für reichlichere und bessere Nahrung, vermehrten Verbrauch von Milch,
Butter, Fleisch und Zucker verwandt, für Cigarren und Bier, Kleidung und
Mobiliar ausgegeben worden; welch eine Nachfrage nach Gebrauchs- und
Verbranchsgegenständen aller Art würde dadurch hervorgerufen worden sein,
wie würden Kapitalien und Arbeitskräfte gesucht gewesen sein, um der ge¬
steigerten Nachfrage zu genügen! Was hat deun Deutschland davon, wenn die
großen inländischen Bankhäuser ihre Ersparnisse dieses Jahr in Südamerika
anlegen, die Zinsen in den nächsten Jahren vielleicht in China u. s. w.? Von
solcher Vermehrung des Kapitals haben wir gar nichts; die Zunahme des
inländischen Konsums aber belebt die gesamte Volkswirtschaft, indem Nach¬
frage geschaffen wird.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich das Mißverhältnis zwischen der Pro¬
duktion und der Konsumtion fort und fort steigern wird. Aderlässe, wie
europäische Kriege, durch die große Kapitalien zerstört werden, Zusammen¬
bruche gleich dem in Buenos Ayres, halten den Prozeß ans, aber nur für
einige Zeit. Die kapitalistische Produktion wird ans die Dauer immer dahin
führen, daß die Kanfkraft der arbeitenden Massen mit der Produktion nicht
Schritt hält. Jetzt bilden sich die Unternehmerknrtelle, teils um die Preise
ihrer Erzeugnisse festzustellen, teils um Konkurrenten zu vernichten. Indem
sie die Preise beherrsche", sogar die Produktion zu diesem Behufe einschränken,
verhindern und erschweren sie die Zunahme des Verbrauches. Sie tragen
dadurch aufs neue dazu bei, die wirtschaftliche Ordnung zu stören. Indem
sie die Preise hochhalten, schädigen sie -- z. B. dnrch Verteuerung des Eisens,
der Kohle, der Chemikalien -- andre Industrien; indem sie Konkurrenz ver¬
hindern, mehren sie die Zahl derer, die sich vergebens nach einer Lebensstellung
umsehen, und tragen zu dem Überfluß der nulagesucheuden Kapitalien bei.
Die Bildung der Kartelle der Aktiengesellschaften ist die letzte Konsequenz und
Spitze des Kapitalismus; sie wird aber unzweifelhaft zur Selbstvernichtung
dieses Systems führen. Der Kreislauf ist beendigt: die Gewerbefreiheit hat
durch den Kapitalismus zum Monopol zurückgeführt!

Die kapitalistische Produktion hat unzweifelhaft das Verdienst gehabt, zur
Massenproduktion zu führen und niedrige Preise zu ermöglichen. Zum Vor¬
wurf diente ihr, daß sie dadurch, daß sie die Maschine an die Stelle der
menschlichen Arbeitskraft setzte, das Massenproletariat erzeugte und bestündig
vermehrte. Sie konnte sich aber doch stets darauf berufen, daß sie unablässig
bestrebt sei, die Produktion zum Segen der Menschheit auszudehnen und
immer wohlfeiler zu erzeugen. Das ist nun vorbei. Fortan kann sich die


A«r sozialen Frage

die europäischer Fleiß hervorgebracht hat, verloren gehen werden. Min denke
sich nur einmal, diese Hunderte von Millionen wären bei einer gerechteren
uno humaneren Verteilung des Gesamtertrages in die Hände der Arbeiter
gekommen und hätten zur Aufbesserung ihres Verbrauchs gedient, sie wären
also für reichlichere und bessere Nahrung, vermehrten Verbrauch von Milch,
Butter, Fleisch und Zucker verwandt, für Cigarren und Bier, Kleidung und
Mobiliar ausgegeben worden; welch eine Nachfrage nach Gebrauchs- und
Verbranchsgegenständen aller Art würde dadurch hervorgerufen worden sein,
wie würden Kapitalien und Arbeitskräfte gesucht gewesen sein, um der ge¬
steigerten Nachfrage zu genügen! Was hat deun Deutschland davon, wenn die
großen inländischen Bankhäuser ihre Ersparnisse dieses Jahr in Südamerika
anlegen, die Zinsen in den nächsten Jahren vielleicht in China u. s. w.? Von
solcher Vermehrung des Kapitals haben wir gar nichts; die Zunahme des
inländischen Konsums aber belebt die gesamte Volkswirtschaft, indem Nach¬
frage geschaffen wird.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich das Mißverhältnis zwischen der Pro¬
duktion und der Konsumtion fort und fort steigern wird. Aderlässe, wie
europäische Kriege, durch die große Kapitalien zerstört werden, Zusammen¬
bruche gleich dem in Buenos Ayres, halten den Prozeß ans, aber nur für
einige Zeit. Die kapitalistische Produktion wird ans die Dauer immer dahin
führen, daß die Kanfkraft der arbeitenden Massen mit der Produktion nicht
Schritt hält. Jetzt bilden sich die Unternehmerknrtelle, teils um die Preise
ihrer Erzeugnisse festzustellen, teils um Konkurrenten zu vernichten. Indem
sie die Preise beherrsche«, sogar die Produktion zu diesem Behufe einschränken,
verhindern und erschweren sie die Zunahme des Verbrauches. Sie tragen
dadurch aufs neue dazu bei, die wirtschaftliche Ordnung zu stören. Indem
sie die Preise hochhalten, schädigen sie — z. B. dnrch Verteuerung des Eisens,
der Kohle, der Chemikalien — andre Industrien; indem sie Konkurrenz ver¬
hindern, mehren sie die Zahl derer, die sich vergebens nach einer Lebensstellung
umsehen, und tragen zu dem Überfluß der nulagesucheuden Kapitalien bei.
Die Bildung der Kartelle der Aktiengesellschaften ist die letzte Konsequenz und
Spitze des Kapitalismus; sie wird aber unzweifelhaft zur Selbstvernichtung
dieses Systems führen. Der Kreislauf ist beendigt: die Gewerbefreiheit hat
durch den Kapitalismus zum Monopol zurückgeführt!

Die kapitalistische Produktion hat unzweifelhaft das Verdienst gehabt, zur
Massenproduktion zu führen und niedrige Preise zu ermöglichen. Zum Vor¬
wurf diente ihr, daß sie dadurch, daß sie die Maschine an die Stelle der
menschlichen Arbeitskraft setzte, das Massenproletariat erzeugte und bestündig
vermehrte. Sie konnte sich aber doch stets darauf berufen, daß sie unablässig
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immer wohlfeiler zu erzeugen. Das ist nun vorbei. Fortan kann sich die


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[0564] A«r sozialen Frage die europäischer Fleiß hervorgebracht hat, verloren gehen werden. Min denke sich nur einmal, diese Hunderte von Millionen wären bei einer gerechteren uno humaneren Verteilung des Gesamtertrages in die Hände der Arbeiter gekommen und hätten zur Aufbesserung ihres Verbrauchs gedient, sie wären also für reichlichere und bessere Nahrung, vermehrten Verbrauch von Milch, Butter, Fleisch und Zucker verwandt, für Cigarren und Bier, Kleidung und Mobiliar ausgegeben worden; welch eine Nachfrage nach Gebrauchs- und Verbranchsgegenständen aller Art würde dadurch hervorgerufen worden sein, wie würden Kapitalien und Arbeitskräfte gesucht gewesen sein, um der ge¬ steigerten Nachfrage zu genügen! Was hat deun Deutschland davon, wenn die großen inländischen Bankhäuser ihre Ersparnisse dieses Jahr in Südamerika anlegen, die Zinsen in den nächsten Jahren vielleicht in China u. s. w.? Von solcher Vermehrung des Kapitals haben wir gar nichts; die Zunahme des inländischen Konsums aber belebt die gesamte Volkswirtschaft, indem Nach¬ frage geschaffen wird. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich das Mißverhältnis zwischen der Pro¬ duktion und der Konsumtion fort und fort steigern wird. Aderlässe, wie europäische Kriege, durch die große Kapitalien zerstört werden, Zusammen¬ bruche gleich dem in Buenos Ayres, halten den Prozeß ans, aber nur für einige Zeit. Die kapitalistische Produktion wird ans die Dauer immer dahin führen, daß die Kanfkraft der arbeitenden Massen mit der Produktion nicht Schritt hält. Jetzt bilden sich die Unternehmerknrtelle, teils um die Preise ihrer Erzeugnisse festzustellen, teils um Konkurrenten zu vernichten. Indem sie die Preise beherrsche«, sogar die Produktion zu diesem Behufe einschränken, verhindern und erschweren sie die Zunahme des Verbrauches. Sie tragen dadurch aufs neue dazu bei, die wirtschaftliche Ordnung zu stören. Indem sie die Preise hochhalten, schädigen sie — z. B. dnrch Verteuerung des Eisens, der Kohle, der Chemikalien — andre Industrien; indem sie Konkurrenz ver¬ hindern, mehren sie die Zahl derer, die sich vergebens nach einer Lebensstellung umsehen, und tragen zu dem Überfluß der nulagesucheuden Kapitalien bei. Die Bildung der Kartelle der Aktiengesellschaften ist die letzte Konsequenz und Spitze des Kapitalismus; sie wird aber unzweifelhaft zur Selbstvernichtung dieses Systems führen. Der Kreislauf ist beendigt: die Gewerbefreiheit hat durch den Kapitalismus zum Monopol zurückgeführt! Die kapitalistische Produktion hat unzweifelhaft das Verdienst gehabt, zur Massenproduktion zu führen und niedrige Preise zu ermöglichen. Zum Vor¬ wurf diente ihr, daß sie dadurch, daß sie die Maschine an die Stelle der menschlichen Arbeitskraft setzte, das Massenproletariat erzeugte und bestündig vermehrte. Sie konnte sich aber doch stets darauf berufen, daß sie unablässig bestrebt sei, die Produktion zum Segen der Menschheit auszudehnen und immer wohlfeiler zu erzeugen. Das ist nun vorbei. Fortan kann sich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/564>, abgerufen am 23.07.2024.