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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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und in einer Form, aus der nur der aufmerksame Leser die oft schweren An¬
schuldigungen herauszuerkennen vermag. Als in der Schlacht bei Spicheren
der General Frossard seinen linken Flügel auf anderthalb Divisionen verstärk!
hatte und nun angriffsweisc vorging, fehlte es auf deutscher Seite völlig an
irgend einer geschlossenen Abteilung, um dem zu widerstehen, und so gingen
hier alle bisher errungnen Vorteile wieder verloren. Entscheidend, sagt
Moltke, hätte jetzt die dreizehnte Division eingreifen und dem ganzen Gefecht
ein Ende machen können. Diese war, allerdings nach einem Marsch von vier
Meilen, bereits um ein Uhr in Püttlingen eingetroffen, kaum mehr als eine
Meile von Stiering entfernt. Als das Gefecht bei Saarbrücken vernommen
wurde, rückte auch wirklich die Avantgarde um vier Uhr nach Rössel vor.
Im dortigen Waldgelände soll Geschützfeuer nicht (!) hörbar gewesen sein, man
hielt den Kampf für beendet, und die Division bezog Biwaks bei Völklingen,
als dem Punkt, den das Kvrpskommando in einem früher erlassenen Befehl
als Marschziel bezeichnet hatte, freilich zu eiuer Zeit, wo die jetzt eingetretene
Situation nicht vorhergesehen werden konnte. Derselben dreizehnten Division,
die als Avantgarde gegen Forbach nach der Schlacht bei Spicheren vor¬
marschiert, macht er den Vorwurf, daß sie in die Stadt nicht eingerückt sei,
weil sie sich durch eine Handvoll französischer Dragoner habe täuschen lassen.
Desgleichen tadelt er, daß die dritte Armee nach dieser Schlacht mit dem
geschlagner Feinde keine Fühlung behalten und weder seinen aufgelösten
Zustand noch selbst die Richtung seines Rückzuges erkannt habe. Man er¬
wartete ihn jenseits der Vogesen zu erneutem Widerstande geordnet zu finden,
und da das Gebirge nnr in getrennten Kolonnen durchschritten werden konnte,
so wurde mit großer Vorsicht und in kurzen Tagemürschen vorgerückt. Obwohl
die gerade Entfernung von Neichshofen bis zur Saar nur sechs Meilen beträgt,
wurde dieser Fluß erst nach fünf(!) Tagen erreicht. Einen Feind hatte man
dabei nicht vorgefunden, außer in den kleinen, aber sturmfreien Plätzen, die
die Hauptstraßen im Gebirge sperrten. Zum erstenmal giebt Moltke in seinem
Werke eine Erklärung dafür, daß der General Vinoy nach der Schlacht bei
Sedan unbehindert nach Paris entkommen konnte, obgleich das preußische
sechste Korps schon ans der Nückzugslinie des Gegners stand. General v. Hoff-
mann hatte bei Rethel Stellung genommen und den Gegner erwartet, dessen
Anmarsch ihn: gemeldet worden war. Persönlich vorreitend überzeugte er sich
jedoch von der Seitwärtsbeweguug der Franzosen und marschierte nachmittags
vier Uhr nach Ecly, wo er spät abends eintraf. Ein Teil seiner Truppen
streifte noch gegen Ch-lteau Porcien vor.

Benachrichtigt, daß ihm auch diese Straße verlegt sei, verließ General
Vinoy bereits um eineinhalb Uhr nachts wieder sein Biwak, dessen Feuer
unterhalten blieben, und setzte nnter strömendem Regen und bei tiefer Dunkel¬
heit in einem zweiten Nachtmarsche die Bewegung fort.


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und in einer Form, aus der nur der aufmerksame Leser die oft schweren An¬
schuldigungen herauszuerkennen vermag. Als in der Schlacht bei Spicheren
der General Frossard seinen linken Flügel auf anderthalb Divisionen verstärk!
hatte und nun angriffsweisc vorging, fehlte es auf deutscher Seite völlig an
irgend einer geschlossenen Abteilung, um dem zu widerstehen, und so gingen
hier alle bisher errungnen Vorteile wieder verloren. Entscheidend, sagt
Moltke, hätte jetzt die dreizehnte Division eingreifen und dem ganzen Gefecht
ein Ende machen können. Diese war, allerdings nach einem Marsch von vier
Meilen, bereits um ein Uhr in Püttlingen eingetroffen, kaum mehr als eine
Meile von Stiering entfernt. Als das Gefecht bei Saarbrücken vernommen
wurde, rückte auch wirklich die Avantgarde um vier Uhr nach Rössel vor.
Im dortigen Waldgelände soll Geschützfeuer nicht (!) hörbar gewesen sein, man
hielt den Kampf für beendet, und die Division bezog Biwaks bei Völklingen,
als dem Punkt, den das Kvrpskommando in einem früher erlassenen Befehl
als Marschziel bezeichnet hatte, freilich zu eiuer Zeit, wo die jetzt eingetretene
Situation nicht vorhergesehen werden konnte. Derselben dreizehnten Division,
die als Avantgarde gegen Forbach nach der Schlacht bei Spicheren vor¬
marschiert, macht er den Vorwurf, daß sie in die Stadt nicht eingerückt sei,
weil sie sich durch eine Handvoll französischer Dragoner habe täuschen lassen.
Desgleichen tadelt er, daß die dritte Armee nach dieser Schlacht mit dem
geschlagner Feinde keine Fühlung behalten und weder seinen aufgelösten
Zustand noch selbst die Richtung seines Rückzuges erkannt habe. Man er¬
wartete ihn jenseits der Vogesen zu erneutem Widerstande geordnet zu finden,
und da das Gebirge nnr in getrennten Kolonnen durchschritten werden konnte,
so wurde mit großer Vorsicht und in kurzen Tagemürschen vorgerückt. Obwohl
die gerade Entfernung von Neichshofen bis zur Saar nur sechs Meilen beträgt,
wurde dieser Fluß erst nach fünf(!) Tagen erreicht. Einen Feind hatte man
dabei nicht vorgefunden, außer in den kleinen, aber sturmfreien Plätzen, die
die Hauptstraßen im Gebirge sperrten. Zum erstenmal giebt Moltke in seinem
Werke eine Erklärung dafür, daß der General Vinoy nach der Schlacht bei
Sedan unbehindert nach Paris entkommen konnte, obgleich das preußische
sechste Korps schon ans der Nückzugslinie des Gegners stand. General v. Hoff-
mann hatte bei Rethel Stellung genommen und den Gegner erwartet, dessen
Anmarsch ihn: gemeldet worden war. Persönlich vorreitend überzeugte er sich
jedoch von der Seitwärtsbeweguug der Franzosen und marschierte nachmittags
vier Uhr nach Ecly, wo er spät abends eintraf. Ein Teil seiner Truppen
streifte noch gegen Ch-lteau Porcien vor.

Benachrichtigt, daß ihm auch diese Straße verlegt sei, verließ General
Vinoy bereits um eineinhalb Uhr nachts wieder sein Biwak, dessen Feuer
unterhalten blieben, und setzte nnter strömendem Regen und bei tiefer Dunkel¬
heit in einem zweiten Nachtmarsche die Bewegung fort.


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[0545] und in einer Form, aus der nur der aufmerksame Leser die oft schweren An¬ schuldigungen herauszuerkennen vermag. Als in der Schlacht bei Spicheren der General Frossard seinen linken Flügel auf anderthalb Divisionen verstärk! hatte und nun angriffsweisc vorging, fehlte es auf deutscher Seite völlig an irgend einer geschlossenen Abteilung, um dem zu widerstehen, und so gingen hier alle bisher errungnen Vorteile wieder verloren. Entscheidend, sagt Moltke, hätte jetzt die dreizehnte Division eingreifen und dem ganzen Gefecht ein Ende machen können. Diese war, allerdings nach einem Marsch von vier Meilen, bereits um ein Uhr in Püttlingen eingetroffen, kaum mehr als eine Meile von Stiering entfernt. Als das Gefecht bei Saarbrücken vernommen wurde, rückte auch wirklich die Avantgarde um vier Uhr nach Rössel vor. Im dortigen Waldgelände soll Geschützfeuer nicht (!) hörbar gewesen sein, man hielt den Kampf für beendet, und die Division bezog Biwaks bei Völklingen, als dem Punkt, den das Kvrpskommando in einem früher erlassenen Befehl als Marschziel bezeichnet hatte, freilich zu eiuer Zeit, wo die jetzt eingetretene Situation nicht vorhergesehen werden konnte. Derselben dreizehnten Division, die als Avantgarde gegen Forbach nach der Schlacht bei Spicheren vor¬ marschiert, macht er den Vorwurf, daß sie in die Stadt nicht eingerückt sei, weil sie sich durch eine Handvoll französischer Dragoner habe täuschen lassen. Desgleichen tadelt er, daß die dritte Armee nach dieser Schlacht mit dem geschlagner Feinde keine Fühlung behalten und weder seinen aufgelösten Zustand noch selbst die Richtung seines Rückzuges erkannt habe. Man er¬ wartete ihn jenseits der Vogesen zu erneutem Widerstande geordnet zu finden, und da das Gebirge nnr in getrennten Kolonnen durchschritten werden konnte, so wurde mit großer Vorsicht und in kurzen Tagemürschen vorgerückt. Obwohl die gerade Entfernung von Neichshofen bis zur Saar nur sechs Meilen beträgt, wurde dieser Fluß erst nach fünf(!) Tagen erreicht. Einen Feind hatte man dabei nicht vorgefunden, außer in den kleinen, aber sturmfreien Plätzen, die die Hauptstraßen im Gebirge sperrten. Zum erstenmal giebt Moltke in seinem Werke eine Erklärung dafür, daß der General Vinoy nach der Schlacht bei Sedan unbehindert nach Paris entkommen konnte, obgleich das preußische sechste Korps schon ans der Nückzugslinie des Gegners stand. General v. Hoff- mann hatte bei Rethel Stellung genommen und den Gegner erwartet, dessen Anmarsch ihn: gemeldet worden war. Persönlich vorreitend überzeugte er sich jedoch von der Seitwärtsbeweguug der Franzosen und marschierte nachmittags vier Uhr nach Ecly, wo er spät abends eintraf. Ein Teil seiner Truppen streifte noch gegen Ch-lteau Porcien vor. Benachrichtigt, daß ihm auch diese Straße verlegt sei, verließ General Vinoy bereits um eineinhalb Uhr nachts wieder sein Biwak, dessen Feuer unterhalten blieben, und setzte nnter strömendem Regen und bei tiefer Dunkel¬ heit in einem zweiten Nachtmarsche die Bewegung fort. Gttiizl'öden 11l 1391 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/545>, abgerufen am 26.08.2024.