Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Moltkes Geschichte des deutsch-französischen Krieges

nicht geflohen waren, konnte man glauben in tiefem Frieden zu leben. Die treff¬
liche Mannszucht der Truppen gestattete deu Bürgern, ihren Geschäften in aller
Ruhe nachzugehen, die Wirte verdienten reichlich an der Einquartierung, und
der Landmann bestellte ungestört seine Felder und Garten. In Se. Cloud
zeigten sich alle Räume genau in der saubern Anordnung, wie die kaiserliche
Familie sie verlassen hatte, bis die Geschosse vom Mont Valörien diesen
reizenden Palast mit allen seinen Kunstschätzen in einen ausgebrannten
Trümmerhaufen verwandelten. Ebenso verwüsteten französische Granaten das
Schloß von Meudon, die Porzellanfabrik von Scwres und ganze Ortschaften
der nächsten Umgebung. Moltke tadelt an verschiednen Stellen seines Werkes
die strafwürdige Munitionsverschwendung der französischen Artillerie, die sich
darin zu gefallen schien, mit den schwersten Kalibern ohne Erfolg auf die
nichtigsten Gegenstände zu schießen. Dagegen hebt er an der deutscheu Be¬
lagerungsartillerie die Umsicht, die Treffsicherheit und die bedeutenden Erfolge
hervor. Am 27. Dezember eröffneten z. B. sechsundsiebzig Geschütze das Fetter
gegen den Mont Avron. Dichtes Schneegestöber gestattete ein genaues Eiu-
schießeu nicht und verhinderte die Beobachtung der Schußwirkung. Der Mont
Avron und eilest minder die Forts Nogent und Nosuh antworteten schnell
und lebhaft. Die deutschen Batterien verloren zwei Offiziere und fünfund¬
zwanzig Mann, mehrere Laffetten waren uuter dem eignen Feuer zusammen¬
gebrochen, und allgemein gab man sich der Ansicht hin, daß an diesem Tage
kein sonderlicher Erfolg erreicht worden sei. Aber die Batterien hatten besser
geschossen, als sie selbst vermutete". Das klare Wetter am 28. gestattete eine
genaue Korrektur, die preußischen Geschosse schlugen mit sichtbarer Wirkung
ein und richtete" auch uuter der starken und völlig schutzlosen Jnfautcrie-
besatzuug furchtbare Verwüstung an. Der Mont Avron verstummte, und nur
die Forts setzten ein schwaches Feuer fort.

Selbst uuter deu schwierigsten Verhältnissen wurde die Infanterie von
der dentschen Artillerie nicht verlassen. Nur ihrer Gewandtheit, Ausdauer und
Unerschrockenheit ist es nach Moltkes Ansicht zu verdanken, daß sich z. B. die
Armeeabteilung des Großherzogs in den Kämpfen vom 7. bis zum 10. Dezember
gegen drei feindliche Korps behaupten konnte. Ihr Material war in diese"
Kämpfen auch dergestalt in Anspruch genommen worden, daß schließlich die
stählerne" Rohre fast sämtlicher leichten Batterien der 22. Division und die
meisten bairischen dnrch Ausbrennen der Keillochflächen uubrnuchbar ge¬
worden waren.

Aber so anerkennend sich Moltke durchgehend über die deutschen Truppen
und ihre Unterführer ausspricht, so hat er es doch für seine Pflicht gehalten,
hie und da auf einige gefährliche Mißgriffe und Verabsänmnngen der höher"
Befehlshaber hinzuweisen; allerdings an Stelle" seines Werkes, wo man
über seine wichtige Kritik leicht als über etwas Nebensächliches hinwegliest,


Moltkes Geschichte des deutsch-französischen Krieges

nicht geflohen waren, konnte man glauben in tiefem Frieden zu leben. Die treff¬
liche Mannszucht der Truppen gestattete deu Bürgern, ihren Geschäften in aller
Ruhe nachzugehen, die Wirte verdienten reichlich an der Einquartierung, und
der Landmann bestellte ungestört seine Felder und Garten. In Se. Cloud
zeigten sich alle Räume genau in der saubern Anordnung, wie die kaiserliche
Familie sie verlassen hatte, bis die Geschosse vom Mont Valörien diesen
reizenden Palast mit allen seinen Kunstschätzen in einen ausgebrannten
Trümmerhaufen verwandelten. Ebenso verwüsteten französische Granaten das
Schloß von Meudon, die Porzellanfabrik von Scwres und ganze Ortschaften
der nächsten Umgebung. Moltke tadelt an verschiednen Stellen seines Werkes
die strafwürdige Munitionsverschwendung der französischen Artillerie, die sich
darin zu gefallen schien, mit den schwersten Kalibern ohne Erfolg auf die
nichtigsten Gegenstände zu schießen. Dagegen hebt er an der deutscheu Be¬
lagerungsartillerie die Umsicht, die Treffsicherheit und die bedeutenden Erfolge
hervor. Am 27. Dezember eröffneten z. B. sechsundsiebzig Geschütze das Fetter
gegen den Mont Avron. Dichtes Schneegestöber gestattete ein genaues Eiu-
schießeu nicht und verhinderte die Beobachtung der Schußwirkung. Der Mont
Avron und eilest minder die Forts Nogent und Nosuh antworteten schnell
und lebhaft. Die deutschen Batterien verloren zwei Offiziere und fünfund¬
zwanzig Mann, mehrere Laffetten waren uuter dem eignen Feuer zusammen¬
gebrochen, und allgemein gab man sich der Ansicht hin, daß an diesem Tage
kein sonderlicher Erfolg erreicht worden sei. Aber die Batterien hatten besser
geschossen, als sie selbst vermutete». Das klare Wetter am 28. gestattete eine
genaue Korrektur, die preußischen Geschosse schlugen mit sichtbarer Wirkung
ein und richtete» auch uuter der starken und völlig schutzlosen Jnfautcrie-
besatzuug furchtbare Verwüstung an. Der Mont Avron verstummte, und nur
die Forts setzten ein schwaches Feuer fort.

Selbst uuter deu schwierigsten Verhältnissen wurde die Infanterie von
der dentschen Artillerie nicht verlassen. Nur ihrer Gewandtheit, Ausdauer und
Unerschrockenheit ist es nach Moltkes Ansicht zu verdanken, daß sich z. B. die
Armeeabteilung des Großherzogs in den Kämpfen vom 7. bis zum 10. Dezember
gegen drei feindliche Korps behaupten konnte. Ihr Material war in diese»
Kämpfen auch dergestalt in Anspruch genommen worden, daß schließlich die
stählerne» Rohre fast sämtlicher leichten Batterien der 22. Division und die
meisten bairischen dnrch Ausbrennen der Keillochflächen uubrnuchbar ge¬
worden waren.

Aber so anerkennend sich Moltke durchgehend über die deutschen Truppen
und ihre Unterführer ausspricht, so hat er es doch für seine Pflicht gehalten,
hie und da auf einige gefährliche Mißgriffe und Verabsänmnngen der höher»
Befehlshaber hinzuweisen; allerdings an Stelle» seines Werkes, wo man
über seine wichtige Kritik leicht als über etwas Nebensächliches hinwegliest,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290313"/>
          <fw type="header" place="top"> Moltkes Geschichte des deutsch-französischen Krieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1619" prev="#ID_1618"> nicht geflohen waren, konnte man glauben in tiefem Frieden zu leben. Die treff¬<lb/>
liche Mannszucht der Truppen gestattete deu Bürgern, ihren Geschäften in aller<lb/>
Ruhe nachzugehen, die Wirte verdienten reichlich an der Einquartierung, und<lb/>
der Landmann bestellte ungestört seine Felder und Garten. In Se. Cloud<lb/>
zeigten sich alle Räume genau in der saubern Anordnung, wie die kaiserliche<lb/>
Familie sie verlassen hatte, bis die Geschosse vom Mont Valörien diesen<lb/>
reizenden Palast mit allen seinen Kunstschätzen in einen ausgebrannten<lb/>
Trümmerhaufen verwandelten. Ebenso verwüsteten französische Granaten das<lb/>
Schloß von Meudon, die Porzellanfabrik von Scwres und ganze Ortschaften<lb/>
der nächsten Umgebung. Moltke tadelt an verschiednen Stellen seines Werkes<lb/>
die strafwürdige Munitionsverschwendung der französischen Artillerie, die sich<lb/>
darin zu gefallen schien, mit den schwersten Kalibern ohne Erfolg auf die<lb/>
nichtigsten Gegenstände zu schießen. Dagegen hebt er an der deutscheu Be¬<lb/>
lagerungsartillerie die Umsicht, die Treffsicherheit und die bedeutenden Erfolge<lb/>
hervor. Am 27. Dezember eröffneten z. B. sechsundsiebzig Geschütze das Fetter<lb/>
gegen den Mont Avron. Dichtes Schneegestöber gestattete ein genaues Eiu-<lb/>
schießeu nicht und verhinderte die Beobachtung der Schußwirkung. Der Mont<lb/>
Avron und eilest minder die Forts Nogent und Nosuh antworteten schnell<lb/>
und lebhaft. Die deutschen Batterien verloren zwei Offiziere und fünfund¬<lb/>
zwanzig Mann, mehrere Laffetten waren uuter dem eignen Feuer zusammen¬<lb/>
gebrochen, und allgemein gab man sich der Ansicht hin, daß an diesem Tage<lb/>
kein sonderlicher Erfolg erreicht worden sei. Aber die Batterien hatten besser<lb/>
geschossen, als sie selbst vermutete». Das klare Wetter am 28. gestattete eine<lb/>
genaue Korrektur, die preußischen Geschosse schlugen mit sichtbarer Wirkung<lb/>
ein und richtete» auch uuter der starken und völlig schutzlosen Jnfautcrie-<lb/>
besatzuug furchtbare Verwüstung an. Der Mont Avron verstummte, und nur<lb/>
die Forts setzten ein schwaches Feuer fort.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1620"> Selbst uuter deu schwierigsten Verhältnissen wurde die Infanterie von<lb/>
der dentschen Artillerie nicht verlassen. Nur ihrer Gewandtheit, Ausdauer und<lb/>
Unerschrockenheit ist es nach Moltkes Ansicht zu verdanken, daß sich z. B. die<lb/>
Armeeabteilung des Großherzogs in den Kämpfen vom 7. bis zum 10. Dezember<lb/>
gegen drei feindliche Korps behaupten konnte. Ihr Material war in diese»<lb/>
Kämpfen auch dergestalt in Anspruch genommen worden, daß schließlich die<lb/>
stählerne» Rohre fast sämtlicher leichten Batterien der 22. Division und die<lb/>
meisten bairischen dnrch Ausbrennen der Keillochflächen uubrnuchbar ge¬<lb/>
worden waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1621" next="#ID_1622"> Aber so anerkennend sich Moltke durchgehend über die deutschen Truppen<lb/>
und ihre Unterführer ausspricht, so hat er es doch für seine Pflicht gehalten,<lb/>
hie und da auf einige gefährliche Mißgriffe und Verabsänmnngen der höher»<lb/>
Befehlshaber hinzuweisen; allerdings an Stelle» seines Werkes, wo man<lb/>
über seine wichtige Kritik leicht als über etwas Nebensächliches hinwegliest,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0544] Moltkes Geschichte des deutsch-französischen Krieges nicht geflohen waren, konnte man glauben in tiefem Frieden zu leben. Die treff¬ liche Mannszucht der Truppen gestattete deu Bürgern, ihren Geschäften in aller Ruhe nachzugehen, die Wirte verdienten reichlich an der Einquartierung, und der Landmann bestellte ungestört seine Felder und Garten. In Se. Cloud zeigten sich alle Räume genau in der saubern Anordnung, wie die kaiserliche Familie sie verlassen hatte, bis die Geschosse vom Mont Valörien diesen reizenden Palast mit allen seinen Kunstschätzen in einen ausgebrannten Trümmerhaufen verwandelten. Ebenso verwüsteten französische Granaten das Schloß von Meudon, die Porzellanfabrik von Scwres und ganze Ortschaften der nächsten Umgebung. Moltke tadelt an verschiednen Stellen seines Werkes die strafwürdige Munitionsverschwendung der französischen Artillerie, die sich darin zu gefallen schien, mit den schwersten Kalibern ohne Erfolg auf die nichtigsten Gegenstände zu schießen. Dagegen hebt er an der deutscheu Be¬ lagerungsartillerie die Umsicht, die Treffsicherheit und die bedeutenden Erfolge hervor. Am 27. Dezember eröffneten z. B. sechsundsiebzig Geschütze das Fetter gegen den Mont Avron. Dichtes Schneegestöber gestattete ein genaues Eiu- schießeu nicht und verhinderte die Beobachtung der Schußwirkung. Der Mont Avron und eilest minder die Forts Nogent und Nosuh antworteten schnell und lebhaft. Die deutschen Batterien verloren zwei Offiziere und fünfund¬ zwanzig Mann, mehrere Laffetten waren uuter dem eignen Feuer zusammen¬ gebrochen, und allgemein gab man sich der Ansicht hin, daß an diesem Tage kein sonderlicher Erfolg erreicht worden sei. Aber die Batterien hatten besser geschossen, als sie selbst vermutete». Das klare Wetter am 28. gestattete eine genaue Korrektur, die preußischen Geschosse schlugen mit sichtbarer Wirkung ein und richtete» auch uuter der starken und völlig schutzlosen Jnfautcrie- besatzuug furchtbare Verwüstung an. Der Mont Avron verstummte, und nur die Forts setzten ein schwaches Feuer fort. Selbst uuter deu schwierigsten Verhältnissen wurde die Infanterie von der dentschen Artillerie nicht verlassen. Nur ihrer Gewandtheit, Ausdauer und Unerschrockenheit ist es nach Moltkes Ansicht zu verdanken, daß sich z. B. die Armeeabteilung des Großherzogs in den Kämpfen vom 7. bis zum 10. Dezember gegen drei feindliche Korps behaupten konnte. Ihr Material war in diese» Kämpfen auch dergestalt in Anspruch genommen worden, daß schließlich die stählerne» Rohre fast sämtlicher leichten Batterien der 22. Division und die meisten bairischen dnrch Ausbrennen der Keillochflächen uubrnuchbar ge¬ worden waren. Aber so anerkennend sich Moltke durchgehend über die deutschen Truppen und ihre Unterführer ausspricht, so hat er es doch für seine Pflicht gehalten, hie und da auf einige gefährliche Mißgriffe und Verabsänmnngen der höher» Befehlshaber hinzuweisen; allerdings an Stelle» seines Werkes, wo man über seine wichtige Kritik leicht als über etwas Nebensächliches hinwegliest,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/544
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/544>, abgerufen am 26.08.2024.