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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homunculus und Herr Nemo

den Geschmack zu haben uns einbilden. Ja nur scheint es in der That so,
der Geheimrat lächelte so eigentümlich, als er hinausging, es freut ihn, wie
sich von seinen drei Geschöpfen jedes für wirklich hält. Nein, es ist nichts
mehr sicher, weder Raum noch Zeit.

Lieber Freund -- sagte Wirklich und zündete sich eine Cigarette an --,
du verlierst die Ruhe, die der Philosoph bekanntlich immer bewahren
soll. Erlaube jetzt, daß ich dir ein wenig ins Geschäft pfusche. Ich
gebe zu: nach dem, was wir gesehen haben, können wir auch für uns
die Möglichkeit uicht ganz ausschließen, daß das, was wir unsre Ver¬
gangenheit nennen, nicht wirklich war, sondern nur eingebildet ist. Die Rea¬
lität von Zeit und Raum selbst wird aber dadurch nicht berührt. Denn an¬
genommen, ich wäre ein Homunculus, so wäre zwar die Vergangenheit, die
ich mir vorstelle, nicht gewesen, aber es war doch vor dem Jetzt eine andre
Zeit, nämlich die, wo ich hergestellt wurde, und an ihrer Realität wird nicht
gerüttelt. Noch weniger gerüttelt wird an der des Raumes, denn auch der
Homunculus muß sich in demselben Raume bewegen wie die andern, und
ganz unerschüttert endlich bleibt die Realität der Materie, denn sie ist es ja
gerade, ihre Allmacht, möchte ich sagen, ist es, die das, was wir eben gesehen
haben, möglich machte. Es werden dir also nicht, wie du eben sagtest, Raum
und Zeit gleichzeitig genommen, du wirst höchstens vor die Wahl gestellt, ob
du nach deiner alten Theorie den Raum für unwirklich, die Zeit dagegen für
wirklich halten willst, oder ob dn Raum und Zeit und, was in ihnen ist, für
wirklich erklärst, dafür aber die immerhin doch sehr unwahrscheinliche Möglich¬
keit hinnimmst, daß die Vergangenheit für dich selbst eine gewissermaßen per¬
sönliche Idealität haben könnte.

In diesem Augenblick steckte der Professor den Kopf durch die Thür:
Wenn es Ihnen gefällig ist, meine Herren, mich noch mein zweites Experi¬
ment zu sehen, es ist alles vorbereitet.

Man ging durch mehrere Räume des ausgedehnten Laboratoriums, und
Wirklich benutzte die Zeit noch zu eine Frage. Wie war es möglich, Herr
Geheimrat -- sagte er --, in einem Zeitraume vou zehn Jahren anßer allem
andern, was Sie an Ihrem Homunculus gethan haben, ihm anch noch die
Erinnerung an mehr als zwanzig Jahre mitzugeben, denn er macht doch den
Eindruck eines hohen Zwanzigers? Gehört nicht ebenso lange, wenn nicht eine
viel längere Zeit dazu, sich so ein ganzes Leben auszudenken und bis auf
jeden Tag und jede Stunde mit allem Erlebten dem Gedächtnis einzupflanzen?

So unbegreiflich, wie es Ihnen scheint -- erwiderte der Geheimrat --,
ist das doch nicht. Sie müssen bedenken, daß wir Menschen ein sehr verge߬
liches Geschlecht sind, und daß "/ig -- was sage ich: ^"<, von allem, was wir
erlebt haben, dem Gedächtnis wieder entschwindet. Ebenso steht es mit dem
gelesenen. Homunculus wird Ihnen von manchen Büchern sprechen, die er


Homunculus und Herr Nemo

den Geschmack zu haben uns einbilden. Ja nur scheint es in der That so,
der Geheimrat lächelte so eigentümlich, als er hinausging, es freut ihn, wie
sich von seinen drei Geschöpfen jedes für wirklich hält. Nein, es ist nichts
mehr sicher, weder Raum noch Zeit.

Lieber Freund — sagte Wirklich und zündete sich eine Cigarette an —,
du verlierst die Ruhe, die der Philosoph bekanntlich immer bewahren
soll. Erlaube jetzt, daß ich dir ein wenig ins Geschäft pfusche. Ich
gebe zu: nach dem, was wir gesehen haben, können wir auch für uns
die Möglichkeit uicht ganz ausschließen, daß das, was wir unsre Ver¬
gangenheit nennen, nicht wirklich war, sondern nur eingebildet ist. Die Rea¬
lität von Zeit und Raum selbst wird aber dadurch nicht berührt. Denn an¬
genommen, ich wäre ein Homunculus, so wäre zwar die Vergangenheit, die
ich mir vorstelle, nicht gewesen, aber es war doch vor dem Jetzt eine andre
Zeit, nämlich die, wo ich hergestellt wurde, und an ihrer Realität wird nicht
gerüttelt. Noch weniger gerüttelt wird an der des Raumes, denn auch der
Homunculus muß sich in demselben Raume bewegen wie die andern, und
ganz unerschüttert endlich bleibt die Realität der Materie, denn sie ist es ja
gerade, ihre Allmacht, möchte ich sagen, ist es, die das, was wir eben gesehen
haben, möglich machte. Es werden dir also nicht, wie du eben sagtest, Raum
und Zeit gleichzeitig genommen, du wirst höchstens vor die Wahl gestellt, ob
du nach deiner alten Theorie den Raum für unwirklich, die Zeit dagegen für
wirklich halten willst, oder ob dn Raum und Zeit und, was in ihnen ist, für
wirklich erklärst, dafür aber die immerhin doch sehr unwahrscheinliche Möglich¬
keit hinnimmst, daß die Vergangenheit für dich selbst eine gewissermaßen per¬
sönliche Idealität haben könnte.

In diesem Augenblick steckte der Professor den Kopf durch die Thür:
Wenn es Ihnen gefällig ist, meine Herren, mich noch mein zweites Experi¬
ment zu sehen, es ist alles vorbereitet.

Man ging durch mehrere Räume des ausgedehnten Laboratoriums, und
Wirklich benutzte die Zeit noch zu eine Frage. Wie war es möglich, Herr
Geheimrat — sagte er —, in einem Zeitraume vou zehn Jahren anßer allem
andern, was Sie an Ihrem Homunculus gethan haben, ihm anch noch die
Erinnerung an mehr als zwanzig Jahre mitzugeben, denn er macht doch den
Eindruck eines hohen Zwanzigers? Gehört nicht ebenso lange, wenn nicht eine
viel längere Zeit dazu, sich so ein ganzes Leben auszudenken und bis auf
jeden Tag und jede Stunde mit allem Erlebten dem Gedächtnis einzupflanzen?

So unbegreiflich, wie es Ihnen scheint — erwiderte der Geheimrat —,
ist das doch nicht. Sie müssen bedenken, daß wir Menschen ein sehr verge߬
liches Geschlecht sind, und daß »/ig — was sage ich: ^„<, von allem, was wir
erlebt haben, dem Gedächtnis wieder entschwindet. Ebenso steht es mit dem
gelesenen. Homunculus wird Ihnen von manchen Büchern sprechen, die er


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[0528] Homunculus und Herr Nemo den Geschmack zu haben uns einbilden. Ja nur scheint es in der That so, der Geheimrat lächelte so eigentümlich, als er hinausging, es freut ihn, wie sich von seinen drei Geschöpfen jedes für wirklich hält. Nein, es ist nichts mehr sicher, weder Raum noch Zeit. Lieber Freund — sagte Wirklich und zündete sich eine Cigarette an —, du verlierst die Ruhe, die der Philosoph bekanntlich immer bewahren soll. Erlaube jetzt, daß ich dir ein wenig ins Geschäft pfusche. Ich gebe zu: nach dem, was wir gesehen haben, können wir auch für uns die Möglichkeit uicht ganz ausschließen, daß das, was wir unsre Ver¬ gangenheit nennen, nicht wirklich war, sondern nur eingebildet ist. Die Rea¬ lität von Zeit und Raum selbst wird aber dadurch nicht berührt. Denn an¬ genommen, ich wäre ein Homunculus, so wäre zwar die Vergangenheit, die ich mir vorstelle, nicht gewesen, aber es war doch vor dem Jetzt eine andre Zeit, nämlich die, wo ich hergestellt wurde, und an ihrer Realität wird nicht gerüttelt. Noch weniger gerüttelt wird an der des Raumes, denn auch der Homunculus muß sich in demselben Raume bewegen wie die andern, und ganz unerschüttert endlich bleibt die Realität der Materie, denn sie ist es ja gerade, ihre Allmacht, möchte ich sagen, ist es, die das, was wir eben gesehen haben, möglich machte. Es werden dir also nicht, wie du eben sagtest, Raum und Zeit gleichzeitig genommen, du wirst höchstens vor die Wahl gestellt, ob du nach deiner alten Theorie den Raum für unwirklich, die Zeit dagegen für wirklich halten willst, oder ob dn Raum und Zeit und, was in ihnen ist, für wirklich erklärst, dafür aber die immerhin doch sehr unwahrscheinliche Möglich¬ keit hinnimmst, daß die Vergangenheit für dich selbst eine gewissermaßen per¬ sönliche Idealität haben könnte. In diesem Augenblick steckte der Professor den Kopf durch die Thür: Wenn es Ihnen gefällig ist, meine Herren, mich noch mein zweites Experi¬ ment zu sehen, es ist alles vorbereitet. Man ging durch mehrere Räume des ausgedehnten Laboratoriums, und Wirklich benutzte die Zeit noch zu eine Frage. Wie war es möglich, Herr Geheimrat — sagte er —, in einem Zeitraume vou zehn Jahren anßer allem andern, was Sie an Ihrem Homunculus gethan haben, ihm anch noch die Erinnerung an mehr als zwanzig Jahre mitzugeben, denn er macht doch den Eindruck eines hohen Zwanzigers? Gehört nicht ebenso lange, wenn nicht eine viel längere Zeit dazu, sich so ein ganzes Leben auszudenken und bis auf jeden Tag und jede Stunde mit allem Erlebten dem Gedächtnis einzupflanzen? So unbegreiflich, wie es Ihnen scheint — erwiderte der Geheimrat —, ist das doch nicht. Sie müssen bedenken, daß wir Menschen ein sehr verge߬ liches Geschlecht sind, und daß »/ig — was sage ich: ^„<, von allem, was wir erlebt haben, dem Gedächtnis wieder entschwindet. Ebenso steht es mit dem gelesenen. Homunculus wird Ihnen von manchen Büchern sprechen, die er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/528>, abgerufen am 26.08.2024.