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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homunculus und Herr Nemo

Simmer erwiderte umgehend:

Wenn ich den Traum nach Belieben einrichten kann, Weshalb sollte ich mir
nicht etwas so interessantes träumen lassen, als es mir Deine Güte in Aussicht
stellt? Ich danke dir bestens und werde nicht verfehlen, mich pünktlich einzufinden.


Der Deinige,
obgleich Du ihn nur für eine Maschine hältst,
Ernst Simmer.

Am nächsten Morgen zur festgesetzten Zeit stiegen die beiden Freunde die
Treppe in dem prächtigen Gebände hinauf, worin der Professor seine Wohnung
und sein Laboratorium eingerichtet halte. Der alte Herr empfing beide in
liebenswürdigster Weise und bat sie zunächst in seinem an das Laboratorium
anstoßenden Arbeitszimmer Platz zu nehmen, einem stattlichen Raum, worin
Simmer "eben den Büsten einiger neuern Gelehrten die Darwins und zu seiner
Verwunderung anch die Immanuel Kants bemerkte. Nach einigen einleitenden
Worten wandte sich das Gespräch bald auf die bevorstehende Demonstration. Ich
beabsichtige deu Herren zwei verschleime Arbeiten zu zeigen, sagte der Professor,
auf die ich in dem letzten Jahrzehnt meine ganze angestrengte Thätigkeit ver¬
wendet habe, und die beide heilte vollendet werden sollen. Die eine ist, wie
Ihnen bereits bekannt, der it0munouiu8, die andre behalte ich mir vor, zu
benennen. Sie, mein Verehrtester Herr Doktor, wandte er sich an den Philo¬
sophen, haben, wie ich aus Ihren Werken sehe, die Ausführbarkeit der erst¬
genannten Arbeit bestritten. Gestatten Sie mir, bevor ich die Möglichkeit
derselben praktisch zeige, Ihnen ganz kurz auseinanderzusetzen, von welchen
Anschauungen ich bei meinem Unternehmen ausgegangen bin.

Wie Ihnen bekannt ist, gelang es vor mehr als zweihundert Jahren dem
Engländer Darwin durch bahnbrechende Forschungen den Unterschied, den
man früher zwischen Mensch und Tier angenommen hatte, als nichtig nach¬
zuweisen, er zeigte, daß beide aus demselben Stamme entsprossen sind, und
daß der Mensch nur infolge günstigerer Umstünde einen Vorsprung in dem
Kampf ums Dasein erlangt hat und sich dadurch zu dem höher organisirten
Wesen hat ausbilden können, das er zweifellos ist. Und ebenso wie Mensch
und Tier, sind wiederum Tier und Pflanze nichts spezifisch verschiednes, anch
sie haben deu gleichen Ursprung und sind nur infolge zufälliger Umstände in
verschiedene Bahnen der Entwicklung gedrängt worden, in denen sie sich dann
nach den Gesetzen der Zuchtwahl, der Anpassung und der Vererbung immer
weiter von einander entfernen mußten.

Durch diese Theorie wurde der alte Glaube von dem übernatürlichen
Ursprung und der übernatürlichen Beschaffenheit der menschlichen Seele stark
erschüttert, mau konnte ihn nur halten, indem man diese beiden Eigenschaften
auf die ganze belebte Materie übertrug, also die Tier- und Pflanzenseele mit


Homunculus und Herr Nemo

Simmer erwiderte umgehend:

Wenn ich den Traum nach Belieben einrichten kann, Weshalb sollte ich mir
nicht etwas so interessantes träumen lassen, als es mir Deine Güte in Aussicht
stellt? Ich danke dir bestens und werde nicht verfehlen, mich pünktlich einzufinden.


Der Deinige,
obgleich Du ihn nur für eine Maschine hältst,
Ernst Simmer.

Am nächsten Morgen zur festgesetzten Zeit stiegen die beiden Freunde die
Treppe in dem prächtigen Gebände hinauf, worin der Professor seine Wohnung
und sein Laboratorium eingerichtet halte. Der alte Herr empfing beide in
liebenswürdigster Weise und bat sie zunächst in seinem an das Laboratorium
anstoßenden Arbeitszimmer Platz zu nehmen, einem stattlichen Raum, worin
Simmer »eben den Büsten einiger neuern Gelehrten die Darwins und zu seiner
Verwunderung anch die Immanuel Kants bemerkte. Nach einigen einleitenden
Worten wandte sich das Gespräch bald auf die bevorstehende Demonstration. Ich
beabsichtige deu Herren zwei verschleime Arbeiten zu zeigen, sagte der Professor,
auf die ich in dem letzten Jahrzehnt meine ganze angestrengte Thätigkeit ver¬
wendet habe, und die beide heilte vollendet werden sollen. Die eine ist, wie
Ihnen bereits bekannt, der it0munouiu8, die andre behalte ich mir vor, zu
benennen. Sie, mein Verehrtester Herr Doktor, wandte er sich an den Philo¬
sophen, haben, wie ich aus Ihren Werken sehe, die Ausführbarkeit der erst¬
genannten Arbeit bestritten. Gestatten Sie mir, bevor ich die Möglichkeit
derselben praktisch zeige, Ihnen ganz kurz auseinanderzusetzen, von welchen
Anschauungen ich bei meinem Unternehmen ausgegangen bin.

Wie Ihnen bekannt ist, gelang es vor mehr als zweihundert Jahren dem
Engländer Darwin durch bahnbrechende Forschungen den Unterschied, den
man früher zwischen Mensch und Tier angenommen hatte, als nichtig nach¬
zuweisen, er zeigte, daß beide aus demselben Stamme entsprossen sind, und
daß der Mensch nur infolge günstigerer Umstünde einen Vorsprung in dem
Kampf ums Dasein erlangt hat und sich dadurch zu dem höher organisirten
Wesen hat ausbilden können, das er zweifellos ist. Und ebenso wie Mensch
und Tier, sind wiederum Tier und Pflanze nichts spezifisch verschiednes, anch
sie haben deu gleichen Ursprung und sind nur infolge zufälliger Umstände in
verschiedene Bahnen der Entwicklung gedrängt worden, in denen sie sich dann
nach den Gesetzen der Zuchtwahl, der Anpassung und der Vererbung immer
weiter von einander entfernen mußten.

Durch diese Theorie wurde der alte Glaube von dem übernatürlichen
Ursprung und der übernatürlichen Beschaffenheit der menschlichen Seele stark
erschüttert, mau konnte ihn nur halten, indem man diese beiden Eigenschaften
auf die ganze belebte Materie übertrug, also die Tier- und Pflanzenseele mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/483>, abgerufen am 26.08.2024.