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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Naturheilkunde in der Medizin

sind die Massage, die Gymnastik, die Elektrizität, die Kaltwasserbehandlung.
Bäder u. a. in. Die Heilmittel für den Unfallverletzten in gehöriger Weise
auszunutzen sind aber sowohl die praktischen Ärzte wie die großen allgemeinen
Krankenhäuser und Kliniken ihrer ganzen Ausrüstung und Behandlungs-
weise nach nicht imstande. Mehr zu leisten vermögen schon die in neuerer
Zeit in vielen deutschen Städten errichteten medikv-mechanischen und chirurgisch-
orthopädischen Heilanstalten, die ausschließlich der Ausnutzung der genannten
Heilmittel dienen. Aber auch sie erweisen sich noch als unzulänglich u. s. w."

Es ist also klar, daß wenn sich die allgemeinen öffentlichen Krankenhäuser
der Städte auch ferner vor der methodischen Anwendung der physikalischen
Heilmethoden verschließen, sie bald keine allgemeinen Krankenhäuser mehr sein
werden, sondern daß die Berufsgenossenschaften und Ortskrankenkasfen eigne
Heilanstalten für ihre Kranken errichten werden, in denen für jene Heilmittel
in genügender Weise gesorgt ist.

Die Medizin unsrer Tage zersplittert sich zuviel in Spezial- und Lokal¬
kenntnisse und Spezial- und Lokaltherapien, wir haben eine spezielle Augen-,
Ohren-, Kehlkopf-, Magen-, Blascnkunde u. a. in. Die diätetischen und physi¬
kalischen Heilmethoden legen das Hauptgewicht auf die konstitutionelle Therapie,
sie greifen die örtlichen und Organkrankheiten nicht bloß und nicht vorzüglich
durch örtliche Mittel an, sondern nur unter Mitbehandlung des Gesamt¬
organismus.

Die moderne Therapie ist vorwiegend eine kausale und ätiologische ge¬
worden, sie geht den krankmachenden Mikroorganismen nach, sucht die Krankheits¬
keime auf ihren Wegen im Körper einzuholen und sie mit chemischen Mitteln
unschädlich zu machen, während die physikalischen Heilmethoden der inäivutiv
morbi mehr dnrch hygienisch wirkende Maßnahmen zu genügen und den Or¬
ganismus selbst in einen Zustand zu versetzen streben, der ihn befähigt, sich
mit seinen eignen Mitteln der eingedrungnen Schädlinge zu erwehren und sie
zu überwinden.

Aus dem übertriebnen Nihilismus der Medizin in der Mitte unsers Jahr¬
hunderts erwuchs die überwuchernde Medikasterei, die unberufne Arzneianwen¬
dung durch Laienärzte. Aus der modernen pharmazeutischen Polypraxie droht
jetzt wiederum ein cheiniatrischer Nihilismus der Naturärzte zu erwachsen.
Wir wollen hoffen, daß die medizinische Schule diese einseitige und übertriebne
Reaktion nicht zu einer Gegnerschaft heranwachsen läßt, sondern das, was in
ihr berechtigt und notwendig ist, beizeiten in ihre eignen Säfte und Kräfte
aufnimmt.


Th. Lhalybäus


Die Naturheilkunde in der Medizin

sind die Massage, die Gymnastik, die Elektrizität, die Kaltwasserbehandlung.
Bäder u. a. in. Die Heilmittel für den Unfallverletzten in gehöriger Weise
auszunutzen sind aber sowohl die praktischen Ärzte wie die großen allgemeinen
Krankenhäuser und Kliniken ihrer ganzen Ausrüstung und Behandlungs-
weise nach nicht imstande. Mehr zu leisten vermögen schon die in neuerer
Zeit in vielen deutschen Städten errichteten medikv-mechanischen und chirurgisch-
orthopädischen Heilanstalten, die ausschließlich der Ausnutzung der genannten
Heilmittel dienen. Aber auch sie erweisen sich noch als unzulänglich u. s. w."

Es ist also klar, daß wenn sich die allgemeinen öffentlichen Krankenhäuser
der Städte auch ferner vor der methodischen Anwendung der physikalischen
Heilmethoden verschließen, sie bald keine allgemeinen Krankenhäuser mehr sein
werden, sondern daß die Berufsgenossenschaften und Ortskrankenkasfen eigne
Heilanstalten für ihre Kranken errichten werden, in denen für jene Heilmittel
in genügender Weise gesorgt ist.

Die Medizin unsrer Tage zersplittert sich zuviel in Spezial- und Lokal¬
kenntnisse und Spezial- und Lokaltherapien, wir haben eine spezielle Augen-,
Ohren-, Kehlkopf-, Magen-, Blascnkunde u. a. in. Die diätetischen und physi¬
kalischen Heilmethoden legen das Hauptgewicht auf die konstitutionelle Therapie,
sie greifen die örtlichen und Organkrankheiten nicht bloß und nicht vorzüglich
durch örtliche Mittel an, sondern nur unter Mitbehandlung des Gesamt¬
organismus.

Die moderne Therapie ist vorwiegend eine kausale und ätiologische ge¬
worden, sie geht den krankmachenden Mikroorganismen nach, sucht die Krankheits¬
keime auf ihren Wegen im Körper einzuholen und sie mit chemischen Mitteln
unschädlich zu machen, während die physikalischen Heilmethoden der inäivutiv
morbi mehr dnrch hygienisch wirkende Maßnahmen zu genügen und den Or¬
ganismus selbst in einen Zustand zu versetzen streben, der ihn befähigt, sich
mit seinen eignen Mitteln der eingedrungnen Schädlinge zu erwehren und sie
zu überwinden.

Aus dem übertriebnen Nihilismus der Medizin in der Mitte unsers Jahr¬
hunderts erwuchs die überwuchernde Medikasterei, die unberufne Arzneianwen¬
dung durch Laienärzte. Aus der modernen pharmazeutischen Polypraxie droht
jetzt wiederum ein cheiniatrischer Nihilismus der Naturärzte zu erwachsen.
Wir wollen hoffen, daß die medizinische Schule diese einseitige und übertriebne
Reaktion nicht zu einer Gegnerschaft heranwachsen läßt, sondern das, was in
ihr berechtigt und notwendig ist, beizeiten in ihre eignen Säfte und Kräfte
aufnimmt.


Th. Lhalybäus


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[0479] Die Naturheilkunde in der Medizin sind die Massage, die Gymnastik, die Elektrizität, die Kaltwasserbehandlung. Bäder u. a. in. Die Heilmittel für den Unfallverletzten in gehöriger Weise auszunutzen sind aber sowohl die praktischen Ärzte wie die großen allgemeinen Krankenhäuser und Kliniken ihrer ganzen Ausrüstung und Behandlungs- weise nach nicht imstande. Mehr zu leisten vermögen schon die in neuerer Zeit in vielen deutschen Städten errichteten medikv-mechanischen und chirurgisch- orthopädischen Heilanstalten, die ausschließlich der Ausnutzung der genannten Heilmittel dienen. Aber auch sie erweisen sich noch als unzulänglich u. s. w." Es ist also klar, daß wenn sich die allgemeinen öffentlichen Krankenhäuser der Städte auch ferner vor der methodischen Anwendung der physikalischen Heilmethoden verschließen, sie bald keine allgemeinen Krankenhäuser mehr sein werden, sondern daß die Berufsgenossenschaften und Ortskrankenkasfen eigne Heilanstalten für ihre Kranken errichten werden, in denen für jene Heilmittel in genügender Weise gesorgt ist. Die Medizin unsrer Tage zersplittert sich zuviel in Spezial- und Lokal¬ kenntnisse und Spezial- und Lokaltherapien, wir haben eine spezielle Augen-, Ohren-, Kehlkopf-, Magen-, Blascnkunde u. a. in. Die diätetischen und physi¬ kalischen Heilmethoden legen das Hauptgewicht auf die konstitutionelle Therapie, sie greifen die örtlichen und Organkrankheiten nicht bloß und nicht vorzüglich durch örtliche Mittel an, sondern nur unter Mitbehandlung des Gesamt¬ organismus. Die moderne Therapie ist vorwiegend eine kausale und ätiologische ge¬ worden, sie geht den krankmachenden Mikroorganismen nach, sucht die Krankheits¬ keime auf ihren Wegen im Körper einzuholen und sie mit chemischen Mitteln unschädlich zu machen, während die physikalischen Heilmethoden der inäivutiv morbi mehr dnrch hygienisch wirkende Maßnahmen zu genügen und den Or¬ ganismus selbst in einen Zustand zu versetzen streben, der ihn befähigt, sich mit seinen eignen Mitteln der eingedrungnen Schädlinge zu erwehren und sie zu überwinden. Aus dem übertriebnen Nihilismus der Medizin in der Mitte unsers Jahr¬ hunderts erwuchs die überwuchernde Medikasterei, die unberufne Arzneianwen¬ dung durch Laienärzte. Aus der modernen pharmazeutischen Polypraxie droht jetzt wiederum ein cheiniatrischer Nihilismus der Naturärzte zu erwachsen. Wir wollen hoffen, daß die medizinische Schule diese einseitige und übertriebne Reaktion nicht zu einer Gegnerschaft heranwachsen läßt, sondern das, was in ihr berechtigt und notwendig ist, beizeiten in ihre eignen Säfte und Kräfte aufnimmt. Th. Lhalybäus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/479>, abgerufen am 23.07.2024.