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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Naturheilkunde in der Medizin

Schule beeinträchtigt. Denn diese ist es doch immer gewesen, die das neue
Verfahren zu einer wissenschaftlichen Methode ausgebildet und die Anzeigen
und Gegenanzeigen des neuen Mittels und damit seinen Wert festgestellt hat.

Wie wichtig es ist, daß die Ärzte das Wasserheilverfahren nicht allein,
sondern die physikalischen Heilmethoden überhaupt in der allgemeinen Praxis
und zwar in die Praxis der allgemeinen Krankenhäuser nicht weniger als in
die Hauspraxis einführen, das zeigt der Umstand, daß die Berufsgenossen-
schaften in vielen Orten mit dem Plane umgehen, besondre Heilanstalten zu
errichten, weil für diese die Behandlung in den bestehenden öffentlichen
Krankenanstalten nicht genüge oder ungeeignet sei. Auf dem in diesem Jahre
in München abgehaltnen Genosfeuschaftstage wurde die Zweckmäßigkeit und
Notwendigkeit solcher Heilanstalten für Unfallverletzte allseitig anerkannt, und
von verschiednen Seiten auf die nahe Verwirklichung des Planes in Rheinland
und Westfalen, in Stettin und Brandenburg und anderwärts hingewiesen.
In dem Bericht heißt es: "Die Gründe, die zur Errichtung solch besondrer
Heilanstalten Veranlassung geben, sind die Folgen, die das Unfallversicherungs¬
gesetz gezeitigt hat, und die in ihrem gegenwärtigen Zustande für die Ver¬
sicherten, sowie für die Berufsgenvffenschnften und das ärztliche Publikum in
gleicher Weise beschwerlich und nachteilig sind. Von allen beteiligten Seiten
wird offen zugestanden, daß die entstandnen Verhältnisse auf die Dauer un¬
haltbar sind und einer Umgestaltung dringend bedürfen. Es ist bekannt, daß
die Berufsgenossenschaften erst nach Ablauf der dreizehnten Woche nach der
Verletzung die Verpflichtung zur Behandlung der Unfallverletzten an Stelle
der Krankenkassen übernehmen. Diese zwiefache Art der sozialen Fürsorge für
den erkrankten Arbeiter hat zu mancherlei Mißständen geführt, im besondern
noch die gedachte Art der Zeitbemessung. Von den schweren Verletzungen
führen manche erst nach der doppelten oder dreifachen Zeit von dreizehn Wochen
zur Wiedererlangung der vollständigen Arbeitsfähigkeit, manche aber überhaupt
nie, sondern die Verletzten erleiden dauernd eine größere oder geringere Einbuße
an Arbeitsfähigkeit. Es ist nun für den Arzt eine der schwierigsten Aufgaben,
den Grad der Verminderung an Arbeitsfähigkeit festzustellen, und dadurch ist
unter den Unfallverletzten eine große Anzahl von Simulanten entstanden, die
eine schwere und teure Last für die Berufsgenossenschaft sind. Andrerseits ist
es unbestreitbar, daß die Zeit der Wiederherstellung zur Arbeitsfähigkeit sich
sehr verzögert durch den Mangel einer angemessenen Behandlung, ja viele der
Verletzten werden gerade dieses Umstandes wegen gar nicht oder weniger
arbeitsfähig, als sich bei besserer Art der Behandlung erreichen ließe. Vor
allem fehlt nämlich den Verletzten die nötige Nachbehandlung, die nach der
Heilung der Wunden noch notwendig erscheint zur Wiedergewinnung der nor¬
malen physiologischen Funktion der verletzten Gliedmaßen, Körperteile und der¬
gleichen. Die für diesen Zweck dem Arzte zur Verfügung stehenden Hilfsmittel


Die Naturheilkunde in der Medizin

Schule beeinträchtigt. Denn diese ist es doch immer gewesen, die das neue
Verfahren zu einer wissenschaftlichen Methode ausgebildet und die Anzeigen
und Gegenanzeigen des neuen Mittels und damit seinen Wert festgestellt hat.

Wie wichtig es ist, daß die Ärzte das Wasserheilverfahren nicht allein,
sondern die physikalischen Heilmethoden überhaupt in der allgemeinen Praxis
und zwar in die Praxis der allgemeinen Krankenhäuser nicht weniger als in
die Hauspraxis einführen, das zeigt der Umstand, daß die Berufsgenossen-
schaften in vielen Orten mit dem Plane umgehen, besondre Heilanstalten zu
errichten, weil für diese die Behandlung in den bestehenden öffentlichen
Krankenanstalten nicht genüge oder ungeeignet sei. Auf dem in diesem Jahre
in München abgehaltnen Genosfeuschaftstage wurde die Zweckmäßigkeit und
Notwendigkeit solcher Heilanstalten für Unfallverletzte allseitig anerkannt, und
von verschiednen Seiten auf die nahe Verwirklichung des Planes in Rheinland
und Westfalen, in Stettin und Brandenburg und anderwärts hingewiesen.
In dem Bericht heißt es: „Die Gründe, die zur Errichtung solch besondrer
Heilanstalten Veranlassung geben, sind die Folgen, die das Unfallversicherungs¬
gesetz gezeitigt hat, und die in ihrem gegenwärtigen Zustande für die Ver¬
sicherten, sowie für die Berufsgenvffenschnften und das ärztliche Publikum in
gleicher Weise beschwerlich und nachteilig sind. Von allen beteiligten Seiten
wird offen zugestanden, daß die entstandnen Verhältnisse auf die Dauer un¬
haltbar sind und einer Umgestaltung dringend bedürfen. Es ist bekannt, daß
die Berufsgenossenschaften erst nach Ablauf der dreizehnten Woche nach der
Verletzung die Verpflichtung zur Behandlung der Unfallverletzten an Stelle
der Krankenkassen übernehmen. Diese zwiefache Art der sozialen Fürsorge für
den erkrankten Arbeiter hat zu mancherlei Mißständen geführt, im besondern
noch die gedachte Art der Zeitbemessung. Von den schweren Verletzungen
führen manche erst nach der doppelten oder dreifachen Zeit von dreizehn Wochen
zur Wiedererlangung der vollständigen Arbeitsfähigkeit, manche aber überhaupt
nie, sondern die Verletzten erleiden dauernd eine größere oder geringere Einbuße
an Arbeitsfähigkeit. Es ist nun für den Arzt eine der schwierigsten Aufgaben,
den Grad der Verminderung an Arbeitsfähigkeit festzustellen, und dadurch ist
unter den Unfallverletzten eine große Anzahl von Simulanten entstanden, die
eine schwere und teure Last für die Berufsgenossenschaft sind. Andrerseits ist
es unbestreitbar, daß die Zeit der Wiederherstellung zur Arbeitsfähigkeit sich
sehr verzögert durch den Mangel einer angemessenen Behandlung, ja viele der
Verletzten werden gerade dieses Umstandes wegen gar nicht oder weniger
arbeitsfähig, als sich bei besserer Art der Behandlung erreichen ließe. Vor
allem fehlt nämlich den Verletzten die nötige Nachbehandlung, die nach der
Heilung der Wunden noch notwendig erscheint zur Wiedergewinnung der nor¬
malen physiologischen Funktion der verletzten Gliedmaßen, Körperteile und der¬
gleichen. Die für diesen Zweck dem Arzte zur Verfügung stehenden Hilfsmittel


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[0478] Die Naturheilkunde in der Medizin Schule beeinträchtigt. Denn diese ist es doch immer gewesen, die das neue Verfahren zu einer wissenschaftlichen Methode ausgebildet und die Anzeigen und Gegenanzeigen des neuen Mittels und damit seinen Wert festgestellt hat. Wie wichtig es ist, daß die Ärzte das Wasserheilverfahren nicht allein, sondern die physikalischen Heilmethoden überhaupt in der allgemeinen Praxis und zwar in die Praxis der allgemeinen Krankenhäuser nicht weniger als in die Hauspraxis einführen, das zeigt der Umstand, daß die Berufsgenossen- schaften in vielen Orten mit dem Plane umgehen, besondre Heilanstalten zu errichten, weil für diese die Behandlung in den bestehenden öffentlichen Krankenanstalten nicht genüge oder ungeeignet sei. Auf dem in diesem Jahre in München abgehaltnen Genosfeuschaftstage wurde die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit solcher Heilanstalten für Unfallverletzte allseitig anerkannt, und von verschiednen Seiten auf die nahe Verwirklichung des Planes in Rheinland und Westfalen, in Stettin und Brandenburg und anderwärts hingewiesen. In dem Bericht heißt es: „Die Gründe, die zur Errichtung solch besondrer Heilanstalten Veranlassung geben, sind die Folgen, die das Unfallversicherungs¬ gesetz gezeitigt hat, und die in ihrem gegenwärtigen Zustande für die Ver¬ sicherten, sowie für die Berufsgenvffenschnften und das ärztliche Publikum in gleicher Weise beschwerlich und nachteilig sind. Von allen beteiligten Seiten wird offen zugestanden, daß die entstandnen Verhältnisse auf die Dauer un¬ haltbar sind und einer Umgestaltung dringend bedürfen. Es ist bekannt, daß die Berufsgenossenschaften erst nach Ablauf der dreizehnten Woche nach der Verletzung die Verpflichtung zur Behandlung der Unfallverletzten an Stelle der Krankenkassen übernehmen. Diese zwiefache Art der sozialen Fürsorge für den erkrankten Arbeiter hat zu mancherlei Mißständen geführt, im besondern noch die gedachte Art der Zeitbemessung. Von den schweren Verletzungen führen manche erst nach der doppelten oder dreifachen Zeit von dreizehn Wochen zur Wiedererlangung der vollständigen Arbeitsfähigkeit, manche aber überhaupt nie, sondern die Verletzten erleiden dauernd eine größere oder geringere Einbuße an Arbeitsfähigkeit. Es ist nun für den Arzt eine der schwierigsten Aufgaben, den Grad der Verminderung an Arbeitsfähigkeit festzustellen, und dadurch ist unter den Unfallverletzten eine große Anzahl von Simulanten entstanden, die eine schwere und teure Last für die Berufsgenossenschaft sind. Andrerseits ist es unbestreitbar, daß die Zeit der Wiederherstellung zur Arbeitsfähigkeit sich sehr verzögert durch den Mangel einer angemessenen Behandlung, ja viele der Verletzten werden gerade dieses Umstandes wegen gar nicht oder weniger arbeitsfähig, als sich bei besserer Art der Behandlung erreichen ließe. Vor allem fehlt nämlich den Verletzten die nötige Nachbehandlung, die nach der Heilung der Wunden noch notwendig erscheint zur Wiedergewinnung der nor¬ malen physiologischen Funktion der verletzten Gliedmaßen, Körperteile und der¬ gleichen. Die für diesen Zweck dem Arzte zur Verfügung stehenden Hilfsmittel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/478>, abgerufen am 26.08.2024.